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Kultur: Viel Schall um Rauch

Wenn die Räume immer enger werden – Bekenntnisse eines zum Rückzug gezwungenen Zigarettenkonsumenten

Es ist so beim Verfasser der nun folgenden Zeilen: Am Anfang steht die Flamme. Und die Flamme entzündet die Zigarette. Dann ist es so: Der Verfasser schaut auf die weiße Fläche des Computers. In früheren Zeiten war es das weiße Blatt Papier. Der Rauch der Zigarette steigt vor dem Computer nach oben, windet sich mal hier hin, mal da hin, ein bisschen so, wie die Gedanken spielen. Der Mann lehnt sich zurück, zieht den Rauch tief ein. Er inhaliert. Dann stößt er den Rauch aus, nicht mehr wahllos sich selbst überlassen, sondern punktgenau in einem Strahl.

Der Text fängt an. Punktgenau in einem Strahl. Die Zigarette vor dem ersten Wort, das ist wie die Sammlung des Klavierspielers vor dem ersten Ton.

Und das ist natürlich vollkommener Quatsch. Die Worte fließen oder sie fließen nicht, mit der Zigarette hat das nichts zu tun. Nur die Einbildung funktioniert. Der Verfasser teilt das Büro mit einer Nichtraucherin. Es ist keine militante Nichtraucherin, aber als sie kürzlich nach Abwesenheit vermeinte, kalten Rauch im Zimmer zu verspüren, da schrieb sie schon einen scharfen Kommentar ans gemeinsame schwarze Brett und drohte mit Liebesentzug: „Bei Rauch nix mehr Schatzi!“

Raucht der Verfasser nun weniger? Mitnichten, denn die Einbildung des Genusses ist, er muss es wohl an dieser Stelle eingestehen, nur ein Euphemismus für Sucht. Ja, für Abhängigkeit. Da hilft Albert Einstein nicht drüber hinweg: „Bevor man eine Frage beantwortet, sollte man immer erst seine Pfeife anzünden.“ Und auch nicht Jeanne Moreau: „Männer, die sich das Rauchen abgewöhnt haben, sind mir unheimlich.“ Und was nutzt es schon, dass es anderen auch nicht anders ging? Von Johnny Cash geht die Mär, dass er auf einer rauchfreien Party, als ihm die Zigaretten ausgegangen waren, demjenigen das Wechselgeld von 1000 Dollar bot, der ihm eine Packung Zigaretten besorgte. Kurzum: Der Verfasser beugt sich der Gewalt des Nichtraucherzimmers, die Sucht aber holt sich ihre Nahrung aushäusig.

Vertriebene. Wir sind Verstoßene, Ausgesetzte. Man jagt uns vor die Tür, in die Kälte, auf Flure, und auf Flughäfen in Pferche, die mancherorts Tierschutzbestimmungen unterwandern. Das Gespenst, das umgeht in Europa und schon Iren und Italiener, Spanier und Schweden, sogar Franzosen aus Kneipen und öffentlichen Räumen getrieben hat, erreicht langsam Deutschland. Noch scheut sich die Republik, die Luftreinheit per Gesetz zu verordnen. Aber die Einschläge kommen näher. Der Gaststätten-Verband hat sich eine Selbstverpflichtung auferlegt, nach der Zug um Zug (!) den Rauchern die Plätze entzogen werden. In den Zügen quetschen sich die Raucher in die wenigen Abteile der Freiheit. Bahnhöfe, und sind sie noch so winddurchpustet, rauchfrei sind sie nicht minder. Auch der Verfasser dieser Zeilen muss zum Rauchen auf den Flur. Dort trifft er die anderen Parias. Wir Genussmenschen.

Das ist ein Skandal. Der Skandal im Skandal ist aber: Wir Raucher haben keine Argumente, allenfalls solche, die auf ähnlichem intellektuellen Niveau wandeln wie ’Freie Fahrt für freie Bürger’. Autoabgase verpesten auch die Luft, werden aber nicht verdammt? Ja, nun, das hat so viel Durchschlagskraft wie Marlboro Light. Fastfood macht fett, ist ekelig und der Verzehr für Mitmenschen ein Gräuel? Ja, stimmt, aber die erquickende Zigarette danach macht es nicht besser.

Man könnte es auch mit politischer Korrektheit versuchen: Wenn die Nazis gegen das Rauchen waren, und das waren sie nachweislich, dann muss man sich doch nachgerade eine anzünden. Ja, ja, und dann haut man sich ein paar Kilo Fleisch rein, weil Hitler doch Vegetarier war? Selbst der passionierteste Raucher muss zugeben, dass diese Argumentation äußerst dünn ist, nicht mal fürs Rauchen taugen die Nazis. Auch auf der anderen Seite der Politkultur ist seit langem nichts mehr zu holen? Fidel Castro aus der Tabakhochburg Kuba hat sich längst das Rauchen abgewöhnt, weil es nicht gut ist für ihn und damit schlecht für die Revolution. Und was ist mit der Selbstbestimmung: Ich rauche, also bin ich? Grundsätzlich ist nichts dagegen zu sagen. Aber die 3300 Nichtraucher, die nach Untersuchung des Deutschen Krebsforschungszentrums jährlich an den Folgen des Passivrauchens sterben, sind definitiv 3300 zu viel. Es hilft wohl alles nichts, wir Hedonisten sind intellektuell und faktisch klar unterlegen. Rauchen ist schädlich, es stinkt, es ist verachtenswert!

Wehmut ist es, was uns Rauchern bleibt, Melancholie für ein zu Ende gehendes, in diesem Zusammenhang muss es wohl heißen, verglühendes Kulturgut. „Dont’ bogart that joint, my friend, pass it over to me“, singt Fraternity of Man dazu. Und Iggy Pop röchelt Tom Waits zu: „Coffee and Cigarettes, that’s the combination.“

Den Joint und den Kaffee vergessen wir mal. The Cigarettes. Sie haben selbst sprachliche Kreativität. ’bogart’, das Verb aus der Liedzeile und dem Film „Easy Rider“ gab es gar nicht, bis Humphrey Bogart seine Zigaretten cool und lässig im Mundwinkel verwehen ließ. Damit hat er sogar Lauren Bacall rumgekriegt, und das ist jeden Raucherhusten wert. The Cigarettes. Sie haben auch Selbstironie. Oder ist es etwa nicht wunderbar, wenn Tom Waits Iggy Pop in dem Film „Coffee and Cigarettes“ von Jim Jarmusch antwortet: „You know, the beauty of quitting is, that, now, that I quit, I can have one, because I quit.“ Ja, wenn’s mal so wäre, mit Rauchen aufhören, damit man mal eine rauchen kann, weil man aufgehört hat. Und überhaupt, was wäre Tom Waits ohne Zigaretten? Irgendein Neil Diamond.

Aber man sieht schon, das ist alles Polemik, bestenfalls sentimentaler Unsinn. Die Fakten liegen anders, die Fakten liefern die USA, die vor gut zehn Jahren angefangen haben „the land of the free“ umzuwandeln ins Land der Nichtraucher. In den ersten Jahren hat der Hinweis auf diese Textstelle der Hymne noch ausgereicht, um dem Verfasser dieser Zeilen nach langem rauchfreien Flug im eigentlich rauchfreien Taxi die Nikotinzufuhr zu ermöglichen. Aber nun ist der Wandel fast vollzogen. Bei einem New York-Besuch im Februar des vergangenen Jahres fand der Verfasser exakt ein kleines Restaurant, in dem ihm ab 18 Uhr das Rauchen gestattet wurde. Das war in Little Italy, und es war höchst illegal. Ansonsten: Der Drink zur Nacht in den wunderschönsten Bars musste ohne Zigarette genommen werden.

Amerikas Nichtrauchergemeinde hat gewonnen. Seit 1998 ist der Verkauf von Zigaretten um 20 Prozent gesunken. 378,6 Milliarden Zigaretten haben die Amerikaner im Jahr 2005 in die Luft gepustet. Das wird sich nicht wiederholen, es werden immer weniger. Das nächste Ziel ist für 2010 anvisiert: Dann sollen nur noch 15 Prozent der Jugendlichen und 12 Prozent der Erwachsenen in den Staaten rauchen (vorausgesetzt, dass sie nicht vorher am Cheeseburger erstickt sind oder von der Fettleibigkeit ins Grab gedrückt wurden – aber das ist auch wieder nur eine billige Polemik). Schon jetzt hat auch Sergej Lawrow, der russische Außenminister, seinen Kampf verloren. Der hatte sich 2003 Kofi Annan widersetzt, als der in der New Yorker UN-Zentrale ein Rauchverbot durchsetzen wollte: „Dieses Haus gehört allen Mitgliedern der UN, und ihr Generalsekretär ist nur der Verwalter.“ Der Verwalter hat sich durchgesetzt. Dass in den Staaten zum Tode verurteilten Verbrechern die letzte Zigarette wegen Gesundheitsgefährdung verweigert wird, ist zwar absurd – auch wenn es dabei um die Gesundheitsgefährdung des Henkers geht – passt aber in die Politik.

Wir Raucher sagen, dass dies eine Politik ist, die in Deutschland nicht möglich ist. Das ist, bei klarer Sicht, eine etwas vernebelte Ansicht. Einen Dreistufenplan gibt es hier auch schon. Bis zum März dieses Jahres haben sich die Wirte von 30 Prozent aller Speiselokale mit mehr als 40 Sitzplätzen freiwillig verpflichtet, 30 Prozent Nichtraucherplätze einzurichten. In einer zweiten Stufe der Raucherverdammnis werden es 60 Prozent aller Speiselokale sein, die dann 40 Prozent nikotinfrei halten, bis März 2008 sollen 90 Prozent mindestens die Hälfte aller Plätze sauber halten – wir Raucher werden dann wohl draußen bleiben müssen. Da muss der Staat gar nichts zu beitragen.

Und tut er es doch, er würde sich durchsetzen. Der Staat hat sich auch anderswo durchgesetzt. Wer hätte gedacht, dass Irland, das Land der Säufer und Denker, so viel Disziplin aufbringt. 2004 wurde dort das Rauchen in öffentlichen Räumen, am Arbeitsplatz, in Pubs, Diskos und Restaurants verboten. Kein George Bernard Shaw ätzte dagegen an, kein James Joyce begehrte auf, Irland erträgt die rauchfreie Luft in rauchgeschwängerten Pubs. 1998 rauchten noch 31 Prozent der Iren, jetzt ist die Quote auf 25 Prozent gesunken. Schwer vorstellbar, dass der Rückgang mit den drakonischen Strafen zu tun hat, die verhängt werden, sollte sich einer dem Verbot widersetzen. Eine Zigarette im Pub kann bis zu 3000 Euro kosten. Wer nicht zahlen kann, wandert ein. Dort, im Gefängnis, immerhin, darf er dann rauchen, der Knast ist die letzte Zuflucht der irischen Raucher.

Australien, konnte Australien das Rauchverbot umsetzen? Es war schon im Jahr 2000, als die Australier rechtzeitig zu den Olympischen Spielen Zigaretten und Zigarren im öffentlichen Raum auslöschen wollten. Es kam am Abend in den Restaurants zu heimlichen Absprachen, es fanden sich Gleichgesinnte, auch Wirte rauchten mit – it’s over. Die etwas kindische Rebellion wider die Obrigkeit in Downunder ist zerschlagen, es darf nicht mehr geraucht werden, es wird nicht mehr geraucht.

Oder wer hätte gedacht, dass sich die Italiener beugen. Sie tun es, seit vor 14 Monaten das entsprechende Gesetz verabschiedet wurde. Eine halbe Million Italiener hörte gleich auf, zu rauchen. Und die Wirte haben im Herbst und Winter Heizstrahler vor die Türe gestellt, weil es inzwischen zur Gewohnheit geworden ist, zwischen den Menügängen zum Rauchen auf die Straße zu gehen. Was das für die Kommunikationsfreudigkeit der Italiener bedeutet, ist noch nicht abzusehen. Der Gesundheitsaspekt schon: In vier Testregionen nahm die Zahl der Herzinfarkte seit dem Rauchverbot um sieben Prozent ab. Die Stigmatisierung des Rauchens und der Raucher zeigt Wirkung.

Historisch gesehen hat die Prohibition allerdings noch nie etwas gebracht. Auch dem Pionier des europäischen Rauchens wurde der Garaus gemacht, das Rauchen aufhalten konnte es nicht. Rodrigo de Jerez war einer von zwei Getreuen, die Kolumbus ausschickte, um die merkwürdige Sitte der kubanischen Ureinwohner zu erkunden, in Palmblätter gewickelte Tabakpflanzen zu rauchen. Als Rodrigo dann daheim in Spanien das Rauchen vorführte, ihm der Rauch aus Mund und Nase fuhr, da warf ihn die Inquisition für fünf Jahre in den Kerker. Später ließen türkische Sultane Raucher foltern und hinrichten. Im Zarenreich gab es den Nasenaufschlitzer. Man sieht, uns Rauchern des neuen Jahrtausends geht es noch gut.

Der Tabak und das Rauchen widerstanden allen Anfeindungen. Zumal es wundersame Zeiten gab, in denen das rauchen als gesundheitsfördernd galt. Cornelius Boutekoe, der Leibarzt des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm diagnostizierte 1685: „Nichts ist dem Leben und der Gesundheit so nötig und dienlich als der Rauch des Tabaks, der das Leben und die Gesundheit so sehr erhält und hundert Dienste tut.“ Das war offensichtlich eine Irrlehre. Ebenso falsch wie die Ansicht von Jean Nicot, der als französischer Gesandter in Lissabon weilte und seiner Königin Katharina von Medici 1561 die Tabakpflanze mitbrachte und deren Heilfähigkeit pries. Geblieben ist von ihm nur der Name des wesentlichen Gifts im Tabak, Nikotin.

Nikotin! Verengt die Blutgefäße, führt zur Abhängigkeit, sorgt für Durchblutungsstörungen und Bluthochdruck, vermindert die Versorgung des Körpers mit Sauerstoff, bewirkt allgemeinen Leistungsabfall, schafft Herzrhythmusstörungen, ist nur eine von 5000 zum Teil hochgiftigen Substanzen in der Zigarette. Jajajaja. Ist ja schon gut.

Wissen wir alles. Kein Raucher hat behauptet, Rauchen sei gesund. „Einer der studiert, muss notwendig viel Tabak rauchen, damit die Geister nicht verloren gehen, oder da sie anfangen zu langsam umzulaufen, weshalb der Verstand, sonderlich wenn er schwere Sachen nicht wohl faßt, wieder möge erweckt werden.“ Das schrieb Beintema von Peima zum Thema, der war Niederländer, Arzt und dieser tröstlichen Meinung schon 1690. Allein, es stimmt ja nicht. Wir wissen es heute ja besser.

Nein, wir Raucher kommen nicht weiter. Nicht mit alten Wissenschaftlern, nicht mit alten Weisheiten. „Alkohol und Nikotin rafft die halbe Menschheit hin. Doch nach einem alten Brauch, stirbt die andere Hälfte auch.“ Es ist nur so, dass die andere Hälfte für sich das Recht reklamiert, etwas später zu sterben, und nicht befördert durch passives Rauchen. Denn das tun wir Raucher den Nichtrauchern an: Schon kurzer Aufenthalt in verräucgerten Räumen kann zu Kurzatmigkeit führen, erhöht die Infektanfälligkeit, verursacht Kopfschmerzen, kann Lungenkrebs befördern und Schäden am Herz-Kreislauf-Systems. Wir bekennen.

Die Einsicht ist also da, allein die Willenskraft fehlt. Groß ist die Trauer über das, was wir missen werden, wenn das Rauchen im öffentlichen Raum nicht mehr möglich ist. All die zerredeten Nächte, mit viel Bier und viel Qualm. Die Momente der Entspannung. Die Zigarette nach getaner Arbeit. Die Rauchpause. Die Zigarette zum Flirt? Wie flirtet man, wenn man kein Feuer mehr geben kann? Wie, wenn man um kein Feuer mehr fragen kann? Fragen über Fragen. Und alle sind Unsinn. Wie das Rauchen an sich.

Was noch fehlen wird ohne Rauchen im öffentlichen Raum? Abgestandener Rauch. Volle, stinkende Aschenbecher. Verdreckte Fußböden. Atemnot. Streit. Eigentlich gar nicht so schlecht.

Es gibt keine Friedenspfeife mehr.

Helmut Schümann, 50, raucht seit seinem 19. Lebensjahr. Anzahl der bisherigen Entwöhnungsversuche: 6. Derzeitiger Tageskonsum: über 30.

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