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Kultur: Viele Köche, kein Brei

Lob der Vandalen: Jochen Gerz über „Mahnmal oder Peinlichkeit“

Nein, die Diskussion ist keineswegs gelaufen. Es gäbe wohl kein Thema, musste Akademiepräsident Adolf Muschg gleich zu Beginn bekennen, bei dem der Grundsatz der Themenreihe „Kontrapunkt Akademie“, einen Schritt von der Aktualität zurückzutreten, schwerer falle als hier. Über „Mahnmal und Peinlichkeit. Widersprüche der Erinnerungskultur“ zu sprechen, ohne dass die Rede auf jüngste Rücktritte bei der „Topographie des Terrors" komme – der „Verein aktives Museum“ hatte zuvor Protesterklärungen verteilt, die vor dem „Anfang vom Ende der Stiftung Topographie des Terrors“ warnten –, oder auf den Skandal, dass eine Firma wie Degussa mit der Imprägnierung der Mahnmal-Stelen beauftragt wurde, gar nicht zu reden von Witzen, denn bei diesem Thema gebe es keinen „befreienden Humor, nicht einmal aus dem Mund eines Juden“, sei, so Muschg, ein Ding der Unmöglichkeit. Da musste man noch nicht einmal, wie Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmer, die Debatte über das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas zur „eigentlichen sozialen Skulptur“ erklären, um klarzumachen, dass die Diskussion noch lange nicht beendet ist.

Überraschenderweise war es jedoch der geladene Diskussionsgast Jochen Gerz, von dem die erhellendsten, und, wie Muschg es am Ende zusammenfasste, „befreiendsten“ Äußerungen zum Thema kamen. Gerz, der seit seiner an die Opfer des Faschismus gemahnenden Stele in Hamburg-Harburg als Spezialist in Erinnerungskultur gelten darf und mit seinem Mahnmal-Entwurf, der das Wort „Warum?“ in allen Sprachen der ermordeten Juden auf Licht-Stelen vereinen sollte, damals in die engere Auswahl kam, plädierte leidenschaftlich für ein Ende der Debattenkultur. Eine Debatte, so der 1940 geborene und heute in Paris lebende Künstler, sei nur sinnvoll, wenn sie in ein Tun münde, sonst könne sie auch eine negative Funktion, eine Anstatt-Funktion bekommen. „Wenn Sie ein Koch sind, und zwischen Ihnen und dem Kochtopf stehen 500 Menschen, die diskutieren, werden Sie nicht mehr dazu kommen, zum Löffel zu greifen“, charakterisierte er die Fruchtlosigkeit einer deutschen Debatte, die eine „palavernde, relativierende, pathologische Dimension“ erreicht habe.

Gerichtet war das gegen Bedenkenträger, die, wie Muschg oder der ebenfalls an der Diskussion beteiligte Pädagoge Hartmut von Hentig, vor einer „Schändung“ des Mahnmals durch Vandalen warnten und eine „Mahnwache“ vorschlugen. „Es gibt für mich keine Vandalen, sondern nur Teilnehmer der Diskussion“, hielt Gerz dagegen, dessen Harburger Mahnmal, eine im Boden versinkende Stele, mehrfach Ziel von Angriffen war. Es gehe ihm bei einem Mahnmal nicht darum, ein möglichst gutes, sondern ein realistisches Abbild der Gesellschaft zu liefern. Und „wenn ich einen Schwamm in die Gesellschaft halte, darf ich mich nicht beschweren, wenn er danach die Spuren der Gesellschaft trägt“. So gesehen, sei gerade der Vandale Adressat seiner Arbeit: „Ein Vandale ist für mich ein junger Mensch, der außerhalb der Gesellschaft steht und mit seinem Zerstörungswerk auf etwas aufmerksam machen möchte. Mit ihm möchte ich ins Gespräch kommen. Ich brauche die Vandalen.“ Er wird sie bekommen.

Christina Tilmann

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