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Viennale: Knistern im Plüsch

Erfolgsfilme, Fundstücke und Experimentelles: Die Viennale feierte ihre 50. Ausgabe.

Immer wieder müssen Kultur- und Kunststätten Investoreninteressen weichen. Kinosäle, die von Partyveranstaltern oder Läden übernommen werden, gibt es alle Tage. Doch dass ein Filmfestival ein Kino kauft? Das klingt wie ein süßer Traum, ist in Wien aber Wirklichkeit geworden, als 2002 das ehrwürdige Gartenbaukino in die Insolvenz ging. Mit tatkräftiger Unterstützung der Stadt Wien wurde das prächtige Eckgebäude am Ring zum Eigentum der Viennale. Seitdem besitzt das größte und traditionsreichste Filmfestival Österreichs ein eigenes Kino. Und was für eins! Denn das 1960 eröffnete 736-Platz-Premierenkino prunkt nicht nur mit einer riesigen Leinwand, auch das komplette Sechziger-Jahre-Interieur samt Wandtäfelungen, Mokkabar und Schminkräumen in den Damentoiletten ist noch vorhanden.

Auch die anderen vier über die Innenstadt verteilten Festivalkinos können sich allesamt mehr als sehen lassen: Vom 1893 als „modernes Theater“ eröffneten rotplüschigen Metro in der Johannesgasse bis zum Künstlerhaussaal am Karlsplatz mit seinen düsteren allegorischen Wandgemälden und Reliefs aus den vierziger Jahren – das atmet Kinogeschichte.

Ganze fünfzig Ausgaben (nicht Jahre, zweimal ist es in der Zwischenzeit ausgefallen) zählt auch schon das Filmfestival selbst, das 1960 als Wiener Filmwoche gestartet war und mittlerweile zu einem nach allen Seiten ausufernden Kulturereignis gewachsen ist, das heimisches Publikum und Filmliebhaber aus aller Welt in Scharen lockt. Denn die Viennale hat zwar seit einigen Jahren auch Preise zu vergeben, ist aber kein sogenanntes A-Festival mit strengen Premierenregeln, die etwa in Cannes oder Berlin Filmauswahl und Wettbewerbe bestimmen. Ein Luxus, der größtmögliche kuratorische Freiheit gewährt: Denn so lassen sich Erfolgsfilme eben aus Venedig oder Cannes ebenso präsentieren wie Raritäten, routiniertes Publikumsqualitätskino steht neben experimentellen Dokumentarfilmen oder Fundstücken vergangener Kinojahrzehnte.

Gerade hier lassen sich – wie beim Stöbern in einer gut sortierten Buchhandlung – immer wieder unverhoffte Entdeckungen machen: Dieses Jahr etwa bei einem Streifzug in die Geschichte des portugiesischen Kinos. Da hatte nämlich Festivaldirektor Hans Hurch von dem portugiesischen Regisseur und Stammgast Miguel Gomes den Hinweis auf den in Portugal hochverehrten doch in Resteuropa wenig bekannten Kollegen Manuel Mozos bekommen. Der wurde prompt eingeladen, und hatte neben eigenen Arbeiten fünf Filme aus den letzten fünf Jahrzehnten portugiesischer Filmgeschichte mitgebracht, die nun wiederum das aktuelle portugiesische Kino in ganz neuem Licht betrachten lassen. António Reis’ „Trás-Os-Montes“ etwa, ein stiller, intensiver, gemäldehaft schöner Film aus dem Jahr 1976, der kurz nach der Nelkenrevolution eine noch unentdeckte Landschaft und ihre Bewohner lebendig werden lässt – vorgeführt von einer in ihrer analogen Altersschwäche zusätzlich anrührenden Zelluloidkopie.

Mit seltenen Kopien glänzte auch die von dem Berliner Regisseur und Horrorspezialisten Jörg Buttgereit kuratierte „Kleine Geschichte des Unheimlichen“, die von Klassikern wie Mario Bavas „Planet of the Vampires“ bis zu Buttgereits eigenem Kurzfilm „Ein Moment der Stille am Grab von Ed Gein“ reichte, in dem der Filmemacher das Grab des Mannes besucht, der Vorbild für „Psycho“ oder „Das Schweigen der Lämmer“ war. Begleitet wird die Viennale traditionell von einer vierwöchigen Retrospektive im Filmmuseum Wien, die diesmal dem gebürtigen Wiener Fritz Lang gewidmet war.

Unter den Filmemachern (oft sind es Macher, ein Rasierwasserduft von Männerfreundschaft liegt über dem Festival) sind viele treue Gäste, James Benning war wieder mit insgesamt vier Arbeiten zu Gast, der deutsche Filmer Klaus Wyborny hatte diesmal – leibhaftig – den Poeten Durs Grünbein mitgebracht, dessen im Film verlesene Poeme verbale Grundlage seines neuen Films „Syrakus“ sind und mit ihrer satten Bildungsbeflissenheit auch Wybornys gewohnt offen strukturierte Montage infizieren: Ein interessanter Effekt negativer Synergie. Konsequent auf die kompositorische Arbeit am Filmmaterial konzentriert dagegen immer noch Peter Kubelka. Der wohl berühmteste aller Wiener Experimentalfilmer wurde sowohl mit einem eigenen Abend im Gartenhauskino wie mit einem ihm gewidmeten fast vierstündigen Dokumentarfilm („Fragments of Kubelka“, Martina Kudlácek) geehrt.

Statt der sonst bei solchen Jubiläen üblichen Retrospektiven feiert sich die Viennale mit einem über das Jahr gestreckten Strauß von „50 Projekten“, die von einer DVD-Edition bis zur Sonderbriefmarke reichen. Mit dabei auch ein Konzert von Patti Smith im intimen Rahmen des Metrokinos, dessen Tickets gratis verlost werden.

Doch Festivaldirektor Hans Hurch steht auch in der Kritik, besonders nachdem diesen Sommer sein Vertrag bis 2016 verlängert worden war. Dabei geht es einerseits um Querelen zwischen Festivalchef und österreichischen Filmemachern, die ihre Arbeiten nicht nur auf dem nationalen Filmfestival Diagonale in Graz, sondern auch in Wien prominenter platziert sehen wollen. Dieses Jahr gipfelte dieser Konflikt darin, dass Ulrich Seidl seinen Film aus dem Programm zurückzog. Andererseits wird der selbstherrliche Stil des seit 1997 amtierenden Festivalchefs kritisiert, der – ganz ohne die sonst meist übliche Kommission – die Programmgewalt patriarchal in seiner Hand hält. Ein Missverhältnis zwischen hehren Ansprüchen, inhaltlichem Stillstand und ausufernden Marketingpraktiken mit permanentem Eventgedudel beklagte der Publizist Stefan Grissemann zuletzt im Magazin „Profil“.

Trotz eigenem Kino ist die Finanzierung ein kniffliger Balanceakt für das Festival, das sein Budget von knapp drei Millionen Euro neben Förderung der Stadt Wien vor allem mit Sponsorengeldern bestreitet. Stimmt ja: Ein bisschen rummelig ist das Ganze schon. Eine echte Plage waren etwa die von einem Hauptsponsor großzügig in den Kinofoyers ausgelegten Plastiktütchen mit Süßkram, die zu einem flächendeckenden Dauerknistern sowie zu einem erhöhten Aggressionspegel führten. Vielleicht wäre hier ein Machtwort des Chefs an die Förderer fällig. Manchmal hilft doch nur harte Autorität.

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