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Kultur: Vierzig Jahre und ein bisschen leise

Von Nadine Lange Wenn Popmusiker ihre Spiritualität entdecken, hat das meist unüberhörbare Folgen. Bei den nach Indien reisenden Beatles war das so, beim christlichen Bob Dylan und der yogabegeisterten Madonna.

Von Nadine Lange

Wenn Popmusiker ihre Spiritualität entdecken, hat das meist unüberhörbare Folgen. Bei den nach Indien reisenden Beatles war das so, beim christlichen Bob Dylan und der yogabegeisterten Madonna. Nun hat es auch die Red Hot Chili Peppers erwischt: Bis auf Drummer Chad Smith kennen sich alle Bandmitglieder mit Meditation oder Yoga aus, Sänger Anthony Kiedis hatte sogar eine Audienz beim Dalai Lama. Zur Veröffentlichung ihres neuen Albums „By the Way" (Warner) verschickten die Chili Peppers einen Brief mit „Grüßen aus der Dimension der unsichtbaren Formen und Farben“.

Für eine Rockband klingt das alles ein wenig bedenklich. Andererseits kann man bei einer Gruppe wie den Red Hot Chili Peppers eigentlich froh sein, wenn sie sich langsam beruhigt. Turbulent, laut und lebensgefährlich waren die Zeiten lange genug. Ihren ersten Gitarristen verloren sie durch Heroin, den jetzigen um ein Haar ebenfalls. Die Bandbiografie ist voll von Umbesetzungen, Motorradunfällen und Drogenproblemen: Eigentlich ist es ein kleines Wunder, dass das kalifornische Quartett nächstes Jahr sein 20-jähriges Jubiläum feiert. Da ist es verständlich, dass die Musiker dankbar von ihrer „perfekten Chemie“ schwärmen und es als „Gottesgeschenk“ ansehen, dass sie zusammen Musik machen dürfen.

Soviel Harmonie war nie – auch auf keinem Album der Band. „By the Way“, das sofort nach Erscheinen den ersten Platz der deutschen Charts eroberte, ist beseelt vom Willen zum Schönklang. Anthony Kiedis hat seinen Gesang so weit verfeinert, dass er stets zart, süß und melancholisch klingt. Und wenn er doch einmal seinen wortspeienden Sprechgesang riskiert, wie etwa beim Titelsong oder dem vielschichtigen „Can´t stop“, tut er das so zurückhaltend, dass es nur noch vage an die Kraft von Hits wie „Give it away“ oder den aggressiv-hibbeligen Stil des Albums „Mother´s Milk“ (EMI, 1989) erinnert.

Die eingängigen Refrains werden von Gitarrist John Frusciantes unterstützt. Auf nahezu jedem Track sind im Hintergrund seine „Uhhhs“ und „Ahhhhs“ zu hören. Er hat sich vor und während der Aufnahmen des neunten Chili-Peppers-Albums (das vierte mit Produzentenlegende Rick Rubin) intensiv mit Harmonielehre und Musik aus den sechziger Jahren befasst. Das hat deutliche Spuren hinterlassen: Die Beatles lugen um die Ecke, Streicher und Keyboards spielen prominente Gastrollen, und manchmal klingen die Kalifornier sogar wie Brit-Pop-Nachwuchs. Lediglich das Bassspiel von Flea ist immer noch relativ auffällig und melodiebetont.

Mutig entfernen sich die Red Hot Chili Peppers einen weiteren riesigen Schritt von ihren Funk-Punk-Wurzeln, aber auch vom Vorgängeralbum „Californication“ (Warner, 1999), das sich zwölf Millionen Mal verkaufte. Statt weiter auf Midtempo-Rockballaden und gelegentliche kontrollierte Ausbrüche zu setzen, dreht die Band weiter an der Popschraube – und probiert zudem völlig Neues aus: So gibt es mit „Cabron“ einen netten Latino-Song, und mit „On Mercury“ ein Ska-Stück, das den Chilischoten ganz neue Fans einbringen könnte.

Völlig überraschend ist die Entwicklung zum Ruhigeren, Melodiöseren nicht. Schließlich hatte die Band ihren ersten Top-Ten-Hit 1991 mit der grandiosen Schmerzensballade „Under the Bridge“ vom Album „Blood, Sugar, Sex, Magic“, das noch zwei weitere Songs von ähnlichem Format enthielt. Und natürlich spielt auch das Alter eine Rolle: Drei der vier Bandmitglieder werden in diesem Jahr 40. Da schreit man eben nicht mehr „Nobody weird like me“ oder „There’s a Devil in my Dick“, sondern wäre lieber „A Rainbow in your Jail Cell“ oder beteuert gar: „I could die for you.“ Auch Kiedis Kinderwunsch ist auf das Album gebrannt.

Weil seine Freundin keinen Nachwuchs wollte, verließ der Sänger sie. Während der Aufnahmen, die teilweise im Hotel Chateau Marmont in Hollywood stattfanden, kamen viele Erinnerungen an die Beziehung wieder hoch: „Ich habe bei den Aufnahmen zu ´By the Way‘ mehr geweint als bei irgendeinem unserer Alben zuvor. Es war sehr, sehr emotional“, gestand er in einem Interview. Dass aus den Chili Peppers esoterische Heulsusen geworden sind, braucht man allerdings nicht zu befürchten. Bei einem Open-Air-Konzert Anfang des Monats in Hamburg präsentierte sich das Quartett dynamisch, laut und wütend wie eh und je. Schließlich waren die vier immer eine der physischsten Bands, die im Rockzirkus herumturnten. Legendär sind ihre Auftritte, die sie nur mit einer Basketball-Socke bekleidet bestritten, oder ihr Gig auf dem roten Platz in Moskau, bei dem sie riesige Glühbirnen auf den Köpfen trugen.

Mit solchen Eskapaden werden die Chili Peppers wahrscheinlich auf der Welttournee im nächsten Jahr nicht mehr erfreuen. Aber zumindest ihre kunstvoll tätowierten Oberkörper werden die Herren sicher mal herzeigen. Das reicht vielleicht auch – das Publikum wird schließlich auch älter.

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