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Screenshot aus David OReillys Animation "Everything".

© David OReilly

Virtual Reality und die Folgen: Entgrenzt euch!

Der Martin-Gropius-Bau lädt im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Immersion" zur Konferenz „Into Worlds“ ein.

Bis zur Nordsee schickt die Performance-Künstlerin Isabel Lewis die Aufmerksamkeit der Zuschauer. Durch die Wände des Martin-Gropius-Baus hindurch sollen sie ihren Blick richten, zu einem weit entfernten Punkt und dann wieder zurück, direkt in die Augen des Gegenübers. In einer Art meditativen Reise versucht Lewis die Gäste der „Into Worlds“-Konferenz dazu zu bringen, sich des eigenen Sehens bewusst zu werden. Gleichzeitig lernt man vielleicht das Gefühl kennen, bei sich selbst und doch in sinnlicher Gemeinschaft zu sein.

An diesem Wochenende geht es im Lichthof des Ausstellungshauses und den angrenzenden Sälen um das große Thema, das sich die Berliner Festspiele seit 2016 mit einer Programmreihe auf die Fahnen geschrieben haben – die Immersion, das Eintauchen in künstliche Welten. Künstler, Wissenschaftler, Performer und Musiker probieren es noch bis zum heutigen Sonntag (10– 17 Uhr) gemeinsam mit dem Publikum aus.

Auch die Bundeszentrale für politische Bildung ist beteiligt. Deren Präsident Thomas Krüger schlägt in seiner Eröffnungsrede die Brücke ins politische Feld. Wir leben und agieren zunehmend in sozialen und politischen Teilwelten, so Krüger. Um aber Demokratie zu leben, müssen wir temporäre Kooperationsbeziehungen aufbauen, um allgemeine Angelegenheiten zu regeln. Die Distanznahme zur eigenen Welt, die Fähigkeit, ein- und aufzutauchen, könnten wir mittels der Kunst erproben, so seine Hoffnung.

„Handwerk der Entgrenzung“ lautet auf der Konferenz das Stichwort. Gemeint ist nicht nur der Umgang mit Virtual-Reality-Programmen und 3-D-Brillen. Die Idee der Immersion ist alt. Der Science-Fiction-Autor Hugo Gernsback schlug bereits 1925 eine mit Sauerstoff gefüllte Haube vor, um sich von der Fülle der Welt abzuschneiden und bei sich selbst zu landen. Bei Jahrmarktsattraktionen passiert genau das Gegenteil: statt Deprivation Reizüberflutung.

Immersion ist ambivalent. Diese Stoßrichtung schlägt auch der Hauptredner des ersten Abends, der Soziologe Richard Sennett, ein. In seinem Vortrag „Touch“ plädiert er dafür, sich der Außenwelt nicht zu entziehen, sondern wieder auf die Welt der Dinge einzulassen. Sennett erklärt das anhand seiner Leidenschaft, dem Cellospiel. Man müsse viele Stunden lang üben, um mit der linken Hand ein gutes Vibrato hinzukriegen. Im konzentrierten Tun, in der Auseinandersetzung mit dem Material gelangten wir in einen Zustand der inneren Freiheit. Mit den heute so gern propagierten userfreundlichen Designs gingen wir hingegen jedem Widerstand aus dem Wege, so Sennett These. Weltabgeschnittenheit sei die Folge.

Im Rahmen der „Immersion“-Reihe hat der Gropius-Bau bereits Filme von Omer Fast und Mona El Gammals Narration „Rhizomat“ vorgestellt, die von der realen Welt in den virtuellen Raum überführt ist. Anlässlich der Konferenz werden erneut Video- und Virtual-Reality-Arbeiten präsentiert. Lange Schlangen bilden sich vor Björks VR-Musikvideo „Notget VR“, bei dem die Besucher mittels VR-Brillen auf den Grund des Meeres abtauchen können. In einem dystopischen Video von Jon Rafman sind alle Menschen nur noch Avatare. Man sieht Menschlein zu Tausenden gegen Wände klatschen und durch computergenerierte Speiseröhren und Verdauungstrakte schlittern. Für immer den Launen einer künstlichen Intelligenz ausgeliefert. Dann doch lieber – ran an die Cellos!

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