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Kultur: Vivat M. M. !

Die Geisterdebatte um die Büchner-Preisrede

Von Gregor Dotzauer

Nennen wir die Debatte ruhigen Gewissens einen Spuk, ihren Initiator einen zwischen diskurspolitischen Quellwölkchen herumhuschenden Oberluftgeist und seine dienstfertigen Hilfsgespenster die Fata-Morgana-Truppe. Zwischen Altlinken (Christian Semler, taz) und Neurechten (Lorenz Jäger, FAZ) hat Martin Mosebach mit seiner Büchner-Preisrede alle Lager aufgeschreckt und den Berliner Historiker Heinrich August Winkler im Deutschlandradio zum Einspruch gegen ein vermeintlich gefährliches Stück „Geschichtsklitterung“ herausgefordert.

Im engeren Sinn geht es dabei um die angemessene Interpretation von Büchners Drama „Dantons Tod“, in dem die zum Tode verurteilte Lucile die konterrevolutionären Worte ausruft: „Es lebe der König!“ Mosebach liest sie als Bannspruch wider den nihilistischen Sog der Französischen Revolution.

Im weiteren Sinn geht es jedoch um eine Linie, die er an einer Stelle vom Tugendterroristen Saint-Just („Soll eine Idee nicht ebenso gut wie ein Gesetz der Physik vernichten dürfen, was ihr widersetzt?“) zum SS-Reichsführer Heinrich Himmler zieht. Robespierres terreur mit Hitlers Holocaust gleichzusetzen, wäre tatsächlich ein geschichtspolitisches Verbrechen. Nur: Diese Anklage gibt eine genaue Lektüre gar nicht her – höchstens eine bewusst ressentimenthaltige Unschärfe, was die Verwendung der Begriffe Aufklärung und Revolution betrifft. Im Grunde hat er nichts anderes getan als Dantons berühmten Satz „Die Revolution ist wie Saturn, sie frißt ihre eignen Kinder“ mit Horkheimer/Adornos nicht weniger berühmter Diagnose aus der „Dialektik der Aufklärung“ zu verquicken: „Aber die vollends aufgeklärte Erde strahlt im Zeichen triumphalen Unheils.“

Nein, politisch ist Mosebach gewiss kein Revisionist. Doch es bereitet ihm – und das ist ärgerlich genug – Vergnügen, als solcher betrachtet zu werden. Er ist ein intellektueller Spieler, der seine Position am liebsten unkenntlich macht und je nach Bedarf als Demokratieskeptiker, charmanter Anwalt großbürgerlicher Werte und Weihrauch schwenkender Ministrant im Dienst des Herrn auftritt – und als Ausweis seiner Liberalität auch mal eine Verteidigungsrede für die unzeitgemäß klassische Bildung des sozialistischen Betonkopfs Peter Hacks hält.

Missverständnisse sind da unvermeidlich. In seiner Rede hat Mosebach „eine politische Betrachtung “ geleistet und im selben Atemzug hinzugefügt: „Eine poetische bringt aber vielleicht noch größeren Ertrag“ – und ausführlich „die unsichtbare Fee“ der Absurdität in Büchners Werk beschworen. Die Kommentatoren haben sich natürlich allein auf das Politische gestürzt. Mosebach, der heute Abend in der Berliner Akademie der Künste liest, hat aber auch keinen Versuch unternommen, die beiden Stränge zusammenzuführen, was für „Es lebe der König!“ vielleicht nur die bestürzend banale Paraphrase ergeben hätte: „Bevor ich mich den blutigen Gesetzen der neuen Welt ergebe, singe ich das Lob der alten.“ In diesem paradoxen Sinn hat sich Mosebach noch nie so unverstellt geäußert wie durch Luciles Mund. Rufen wir also: Lang lebe Mosebach! Vielleicht bewahrt es uns vor Schlimmerem. Gregor Dotzauer

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