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Kultur: Vom Abschied eines Zerrissenen

KLASSIK

Ob Wagner oder Thomas Mann: Wer was zu sagen hat im deutschen Bildungsbürgertum, muss sich zu Beethovens späten Streichquartetten äußern – namentlich zu deren heimlicher Krone. In seiner Zerissenheit und geschichtlichen Referenzialität hat sich das cis-moll Quartett als zeitlose Projektionsfläche großer Geister bewährt: ein Werk in dem man sich „zu Abenteuern und Schicksalen bestimmt“ erkennen darf, für die man „in seiner idyllischen Unschuld keinesfalls geboren scheint“ oder in dessen introspektivem Adagio wir uns mit Wagner zutrauen, „einen Blick ins Innere der Welt“ zu werfen. Dennoch ist das cis-moll Quartett kein „closed shop“: was Beethoven am Ende seines depressiv zerfasernden Lebens in die existenzielle Form zwang, beflügelt Computerprogrammierer bei der Arbeit ebenso wie es Klassik-Ignoranten in Lebenskrisen aus dem Radio heraus am Herzen packt.

Wie ging nun bei seinem Berlin-Gastspiel im Kammermusiksaal das große Juilliard Quartet dieses zentrale Werk an? Jenseits aller Vorbelastungen wagte man es – wie zuvor im ersten Streichquartett von Bartók, das sich auf Beethoven bezieht – mit Offenheit sowie vibrato- und legatoreich polierter Schönheit. Hier sprach jener Beethoven, der bald darauf seine legendär-verbissene Große Fuge durch einen eingängigen Rondosatz ersetzte und mit diesem Abschied vom Streichquartett die Kenner gründlicher provozierte denn je. Eine legitime Interpretation also, die nur dort nicht aufging, wo das Ensemble im Ausdruck hinter dem brillanten Solistenton des ersten Geigers Joel Smirnoff verschwand.

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