zum Hauptinhalt
Ritual und Routine. Beschneidungsmesser, wie Juden und Muslime es verwenden.

© dpa

Vom guten Leben: Ethikrat diskutiert die Beschneidung

Kann ein Gesetz den Streit um weltliche Werte und religiöse Rituale beilegen? Der Ethikrat diskutiert die Beschneidung.

Der deutsche Ethikrat war 2007 als Moralkompass auf dem neuen Feld der Biotechnologie installiert worden. Statt mit moderner Lebenswissenschaft – die bei Themen wie der Stammzellenforschung oder der Präimplantationsdiagnostik immer auch religiöse Fragen berührt – sieht sich das Gremium nun direkt mit einem Glaubensthema konfrontiert: Am Donnerstag griff der Rat in der Berlin-Brandenburger Akademie der Wissenschaften den Streit um die Beschneidung auf, den ein Urteil des Landgerichts Köln ausgelöst hatte. Das religiöse Ritual bei Juden und Muslimen soll danach strafbar sein. So wurde der Ethikrat einmal mehr zum Vermittlungsausschuss im Disput um weltliche und religiöse Normen.

Dabei geht es auch um die Verständigung über die Grundlagen unseres Zusammenlebens in Deutschland. Welche Werte hält die Gesellschaft zusammen? Wie viel Pluralität und kulturelle Fremdheit lassen wir zu, wie viel religiöse Vielfalt verträgt oder braucht eine säkulare Gesellschaft? Wenn bei solchen Großdebatten alle Argumente in der Politik und den Medien ausgetauscht sind, tagen Expertengremien oder Kommissionen: eine ebenso symbolische wie folgenreiche kollektive Selbstverständigung der Nation. So war es bei der jahrelangen Auseinandersetzung um das Holocaust-Mahnmal, so war es bei bioethischen Grundsatzfragen, bei Sterbehilfe oder Hirnforschung. Letztlich geht es um die ewig aktuelle Frage: Wie gelingt gutes Leben?

Das hohe Gremium soll den Gesetzgeber beraten. Was diesmal schwer fällt, denn der hat sich im Prinzip schon entschieden. Beschneidung muss möglich bleiben, lautet eine Bundestagsresolution. Bloß wie? Drei Grundrechte stehen im Widerstreit: Das Recht auf körperliche Unversehrtheit, das Recht der elterlichen Fürsorge und die Religionsfreiheit.

Im Video: Ein Interview mit einem Arzt zum Thema Beschneidung:

Für den Hamburger Strafrechtler und Rechtsphilosophen Reinhard Merkel sind Zehntausende unbeschnittene Juden und Millionen unbeschnittener Muslime Grund genug, die Unumstößlichkeit des religiösen Gebots anzuzweifeln. Ohne Narkose sei der Eingriff nicht nur gewalttätig, sondern auch „qualvoll“ und könne das Schmerzempfinden für immer verändern.

Die Cremes, die jüdische Beschneider zur örtlichen Betäubung einsetzten, seien ineffektiv. Obendrein verweist Merkel auf eine „hohe Dunkelziffer“ bei Komplikationen und zeigt Fotos von Jungen, denen der Penis amputiert wurde. Iranerinnen hätten ihm die Bilder geschickt. Rein positivistisch könne man das allerdings nicht betrachten, gibt Merkel zu: Aufgrund seiner Geschichte hat Deutschland eine „weltweit einzigartige Verantwortung für jüdisches Leben“ . Die Folge: ein „rechtspolitischer Notstand“.

Gibt es überhaupt Daten, die nicht interessegeleitet sind?

Verfassungsrechtler Wolfram Höfling hält dagegen: Die Erziehung von Kindern bringt es mit sich, dass Grundrechte der Kinder missachtet werden. Aber das Grundgesetz erkennt an, dass es unterschiedliche Erziehungskonzepte gibt. Für religiöse Menschen ist die Religion Kern des guten Lebens; der Staat habe Kinder aber vor Übergriffen und Missbrauch zu schützen. Weil bei der Beschneidung jedoch weder die Intensität des Eingriffs noch die Umstände ein Einschreiten rechtfertigen, hält Höfling das Kölner Urteil für abwegig. Nur wenige Verfassungsrechtlern sehen das anders.

Der Sozialethiker Peter Dabrock blickt wiederum mit Skepsis auf die Forschung: „Wir haben viele Studien und einen Streit der verschiedenen Rechts- und Medizinschulen, aber keine Daten, die nicht interessegeleitet sind.“ Juden und Muslime würden es zurecht als Kulturimperialismus empfinden, wenn ihre Riten als „verhandelbares Brauchtum“ gelten. In der Diskussion ist man sich schließlich einig, den Streit um Werte nicht in einen Disput um Begriffe ausarten zu lassen. „Sexuelle Gewalt“ oder „barbarisches Ritual“ sind die falschen Formeln – was die Debatte aber nicht von ihren Tücken befreit.

Der jüdische Arzt Leo Latasch und der muslimische Medizinethiker Ilhan Ilkilic betonen die Unverhandelbarkeit des Rituals. Ein jüdisches Kind wird erst mit der Beschneidung in die Gemeinschaft aufgenommen; auch für Muslime ist es das entscheidende „Zeichen der persönlichen Gottesbeziehung“, so Ilkilic. „Ein Nichtbeschnittener ist kein Jude“, sagt Latasch; Alternativen gebe es keine, auch keine symbolischen „kleinen Schnitte“. Es ist eine Ungeduld bei ihm spürbar, wenn auf Runde Tische und weitere Forschung verwiesen wird: Neue Argumente wird es auch in zehn Jahren nicht geben.

Unverhandelbar, das ist für Ärzte auch die Gesundheit ihrer Patienten. Vor allem, wenn sie gar keine krank sind. Eingriffe bei Gesunden müssen besonders erklärt werden, betont Eckhard Nagel von der Essener Uniklinik. Er hält es für riskant, „das Kindeswohl in einen kulturell-religiösen Kontext zu stellen“. Auch die Ohrfeige wird heute nicht mehr akzeptiert, obwohl sie früher Brauchtum war.

Bischof Wolfgang Huber widerspricht verhalten: Es geht um das Elternrecht, aber auch um Glaubensfreiheit, die als Minderheitenrecht erkämpft wurde. Er kritisiert die These, dass es sei für ein Kind nutzlos sei, einer Religionsgemeinschaft anzugehören. Deutschland verfüge über eine starke säkulare Option, daneben stehe aber die religiöse Option. Die Debatte, so Huber, ist den Gläubigen „mit einem Stück Mutwillen aufgezwungen worden, wenn man betrachtet, wie das Urteil des Landgerichts publizistisch prominent gemacht wurde“. Er warnte davor, nur unter medizinethischen Gesichtspunkten zu diskutieren.

Toleranz bedeutet, auch das irritierend Fremde anzunehmen, erst dann entsteht gemeinsamer Reichtum, sagt der Freiburger Theologe Eberhard Schockenhoff. Die Grenze sieht er erst dort gekommen, wo die Menschenrechtsverletzung beginnt. Dass Beschneidung eine sei, hält er für eine „abstruse Behauptung“.

Was nun? Reinhard Merkel warnt vor einem „religiösen Sonderrecht“; das sehen auch andere Juristen so, etwa der Medizinrechtler Jochen Taupitz oder der frühere rheinland-pfälzische Justizminister Herbert Mertin. Der Eingriff sei erklärungsbedürftig, medizinische Standards seien zu sichern. An der Notwendigkeit eines Gesetzes zweifeln einige. Staatsrechtler Höfling hält es jedenfalls für besser, den Streit den Gerichten zu überlassen, „ehe wir ein schnelles Gesetz machen, das meistens ein schlechtes Gesetz ist“.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false