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Kultur: Vom Leiden an der Liebe

Land der Engel: Julio Médems „Tierra“ von 1996 predigt die Erlösung von fleischlicher Lust

In Spanien geschehen noch Wunder, zumindest im Film. Wo eine Koma-Patientin Mutter wird, wie bei Almodóvar, kann sich ein junger Mann auch verdoppeln. Und wenn ein Blitz vom Himmel herabfährt, um einen Macho zu bestrafen, so liegt dies in der Logik einer Dramaturgie, die mit allen Mitteln Zeichen setzen will.

Angel, ein Mann von Mitte Dreißig (Carmelo Gómez), soll Weinberge von wimmelnden Asseln befreien. Mit seinem Fernrohr schaut er unter die Erdkruste, aber oft auch hinauf zu den Sternen. Er ist halb Mensch, halb Engel. Bei der Ankunft im Dorf verliebt sich sein engelhafter Teil in die Bauersfrau Angela (Emma Suárez), die unter ihrem wilden Ehemann Patricio (Karra Elejalde) leidet. Angel verehrt Angela mehr, als dass er sie begehrt. Heftig fühlt sich der Schädlingsbekämpfer dagegen zu der lockenden Mari (Hornillos Klein) hingezogen, auf die ebenfalls Patricio Anspruch erhebt.

Muss ein Mann eine gespaltene Persönlichkeit haben, um sich gleichzeitig in eine sanfte und in eine temperamentvolle Frau zu verlieben? Für Julio Médem, dessen dritter Spielfilm aus dem Jahr 1996 nun nach den späteren Erfolgswerken „Die Liebenden des Polarkreises“ und „Lucia und der Sex“ in unsere Kinos kommt, führt der Mensch eine Doppelexistenz im Spannungsfeld zwischen Himmel und Erde. Auch wer Angel heißt, kann nicht als Engel leben, und wie geht es erst der liebestollen Mari, die gern ihr Lustverlangen dämpfen würde, das heiße Blut aber durch Selbstverweigerung nur noch mehr zum Kochen bringt. Zentimeter müssen, bestimmt sie, ihren und Angels nackten Körper in einer Nacht voneinander trennen. Dass es Angel danach doppelt zu der in sich ruhenden Ángela zieht, versteht sich.

Julio Médems Konstrukt ist ein dichtes Bildopus (Kamera: Javier Aguirresarobe), an dem die ahnungsvolle, präzise einsetzende Musik von Alberto Iglesias hohen Anteil hat. Die starken Bilder lassen das Mysterium des Leidens an der Erotik besonders nachhaltig erscheinen. Der pseudophilosophische Gehalt weist ins Mittelalter zurück, wo die Heiligen um Erlösung von der Verführung des Fleisches rangen. Am Schluss sieht man Angel, vom wütenden Steinwurf eines beleidigten Zigeuners an der Stirn verletzt, im Krankenhaus liegen. Die schöne Mari besucht ihn, reine Güte vortäuschend. Das Spiel geht weiter, so wie es beim Vorbild Buñuel („Dieses obskure Objekt der Begierde“) nicht enden wollte. Doch wer derart unter Druck steht, könnte einmal aus der Haut fahren. Medems Zitate aus Hitchcocks „Vertigo“ und „Die Vögel“ erinnern deutlich daran. Nur, was der Spanier auch tut, Angel und die anderen kommen nie vom Gerüst seines Konstrukts frei. Es ist ihr Kreuz.

fsk am Oranienplatz, Hackesche Höfe, Neue Kant Kinos, alle OmU

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