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Kultur: Vom Licht träumen

Huldigung in Nahaufnahmen: Wie Heidi Specker eine Mies van der Rohe-Villa fotografiert hat

Aus einer Entfernung von einigen Metern scheint das Geheimnis offenbart. Vorbehaltlos öffnet sich das Bild dem Betrachter. Er liest aus der unebenen Oberflächenstruktur, den changierenden Rot- und Erdtönen, den Moosflecken im milden, klaren Licht einen sanften Mut, eine heitere Aufrichtigkeit. Ganz so, als wäre dies keine Fotografie einer backsteinernen Hauswand, sondern eines Menschen. Eines nicht mehr ganz jungen und doch der Veränderung zugewandten Menschen. Man möchte näher heran an diese Wärme, an dieses so vertrauensvoll preisgegebene Wissen und erlebt eine Überraschung: In gleichem Maße, wie sich die räumliche Distanz zu der Fotografie verringert, vergrößert sich die gefühlte Entfernung zwischen Objekt und Subjekt. Das Geheimnis entzieht sich, es lässt sich nicht vereinnahmen.

Vielleicht hat diese Wahrnehmung etwas mit dem Respekt zu tun, mit dem die Berliner Fotografin Heidi Specker an ihre Motive herantritt. Die Achtung der Grenzen zwischen sich und der von ihr fotografierten Welt bewahrt sie nicht, indem sie die Objekte auf einen Sockel stellt, sie der Subjektivität zu entziehen versucht. Sie geht, im Gegenteil, ganz nah an den Gegenstand heran, betrachtet ihn auf Augenhöhe, wählt oft einen diagonalen, im mehrfachen Sinne schrägen Standpunkt dazu. Mit jedem Druck auf den Auslöser ihrer Digitalkameras, einer Leica und einer Hasselblad, sagt sie sichtbar „Ich“. „Diese Subjektivität gewährt die Authentizität meiner Aufnahmen. Es kann keine geben, die frei sind vom intuitiv interpretierenden Blick des Fotografen“, sagt Specker.

Auch während der Arbeit an ihrer aktuellen Ausstellung „Landhaus Lemke“ hat die 46-jährige Künstlerin sich auf ihre Intuition und Empathie verlassen. Sie hat sich vorgestellt, wie Martha Lemke, die gemeinsam mit ihrem Mann, dem Druckereibesitzer Karl Lemke, von 1933 bis 1945 das von Ludwig Mies van der Rohe entworfene Haus in der Oberseestraße bewohnte, ihr Heim wohl betrachtet haben mag. Mit Vergnügen, ein wenig Stolz, einem Gefühl der Kameradschaft? Oft mag die Ehefrau allein gewesen sein in diesen Räumen, die jeden so offen, transparent und freundlich empfangen. „Was hat Martha Lemke in diesen Stunden gesehen?“, fragt Heidi Specker.

Ihre 22 Fotografien des Hauses sind in den alten Werkstätten der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, wo die Fotografin seit drei Jahren lehrt, im zeitaufwendigen Handoffset-Verfahren gedruckt worden. Sie nähern sich über den Detailreichtum der Oberflächen und Materialien der Geschichte und ja, der Seele des Hauses, indem sie die minimalistische Leichtigkeit und kontemplative Ruhe der lichtdurchfluteten Zimmer einfangen. Specker hat auch die von Mies van der Rohe und Lilly Reich entworfenen Möbel fotografiert, die heute im Berliner Kunstgewerbemuseum ausgestellt sind, und diese Aufnahmen in den Zimmern aufgehängt, in denen Herrensessel, Schreibtisch, Sofa und Lampen ursprünglich zu Hause waren.

Die Fotografin selbst ist seit 15 Jahren in Berlin beheimatet. Im niedersächsischen Damme geboren, studiert sie nach einer abgebrochenen Schneiderlehre in Bielefeld Fotografie und geht dann für kurze Zeit nach Hannover. „Ein Preis der Landesstadtsparkasse wäre dort das maximal Erreichbare gewesen“, sagt sie. Sie will der gefühlten Enge entrinnen und zieht 1993 nach Kreuzberg. Voller Lebenshunger taucht die damals 31-jährige Neuberlinerin in die noch ganz und gar unfertige Stadt ein, in die fiebrige Welt der Techno-Clubs Tresor und WMF, in die Künstlerszenen und auch in die enormen Möglichkeiten, die Computer plötzlich schaffen, gerade für die digitale Bildbearbeitung. Mit ihrer ersten Digitalkamera beschreitet sie 1994 noch unverbautes Terrain. „Viele Menschen hatten Angst vor der Manipulation der Bilder durch den Computer. Das ist Blödsinn“, sagt Specker. Seit jeher würden Fotos beeinflusst, allein die Entscheidung, einen Abzug hell oder dunkel zu machen, sei Manipulation. Niemals ist eine Fotografie für sie ein „echtes Dokument“.

Mit ihrer ersten größeren Arbeit begibt Specker sich Mitte der Neunziger auf Spurensuche im Hansaviertel. In den „Speckergruppen“ zeigt sie Teile von Gebäuden der klassischen Moderne, die wie Bäume in den Himmel ragen. Viele Objekte sind unscharf, wirken flächig. Oft weiß der Betrachter nicht, wo er steht – ein typisches Merkmal der Speckerschen Fotografien. Das Licht, da es kaum Abstufungen gibt, ist unwirklich, wie in einem futuristischen Traum. Zunächst ist die Stadt als abstrakte Idee Heidi Speckers großes Thema. Der Körperlichkeit und Vitalität des urbanen Materials widmet sie mehrere Arbeiten, darunter die Beton-Huldigungen „Teilchentheorie“ (1998) und „Concrete“ (2002). Von Beginn an spielt sie auch mit den Analogien zwischen Natur und Kultur, stellt neben die weiche Furchen-Struktur einer Baumrinde die organisch anmutende Unebenheit einer Hausfassade.

Vor fünf Jahren dann bezieht die Fotokünstlerin erstmals ein Atelier: Das ehemalige Atelierhaus von Arno Breker in Dahlem steht direkt am Grunewald. Aus den großen Fenstern der hinteren Erdgeschossräume blickt man auf Birken und Sträucher. Hier ist die Natur viel präsenter als am Prenzlauer Berg, wo Speckers Privatwohnung liegt. Diese neuen Eindrücke bleiben nicht ohne Einfluss: Die mit dem Deutschen Fotobuchpreis 2005 ausgezeichnete Arbeit „Im Garten“ zeigt Natur in der Stadt durch Speckers Augen und auch, wie in jeder ihrer Arbeiten, ihre Suche nach einem einheitlichen Gestaltungsrhythmus. Dazu fügt sie das Einzelne – Baumstämme, Betonblumen, vierspurige Straßen, gesäumt von Grün – zu einer abstrakten Melodie zusammen.

Noch näher rückt ihr aktuelles Projekt „D’Elsi“ mit Aufnahmen aus Davos der Gewalt und Zärtlichkeit von Landschaften auf den Leib. Doch die Annäherung ist beidseitig: Der einmal beschrittene Weg in die Natur führt die Fotografin auch zurück zu ihren Wurzeln. Derzeit arbeitet sie an einer Ausstellung über Damme und seine Umgebung. Neu erbaute Supermärkte oder Tankstellen sind genauso mögliche Motive wie Rehe, ein Schwarm Kraniche oder das Moor. „Mit diesen Reisen zu meinem Ursprung reiße ich Grenzen ein, die ich einst selbst gesetzt habe“, sagt sie. Auf einem Tisch ihres Ateliers stehen neue grüne Gummistiefel – für ausgedehnte Wanderungen mit der Kamera. Für den Blick zurück nach vorn.

Landhaus Lemke – Mies van der Rohe, Oberseestraße 60 (Hohenschönhausen), bis 1. März; Di.–So. 11–17 Uhr, außer 24.–26. 12. und 31. 12.–1. 1. 2009. Informationen unter Tel. 97000618 oder auf www.heidispecker.de.

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