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Kultur: Vom reichen B. B.

Internationale Gastspiele im Berliner Ensemble

An Shakespeare kann man sich nur vergreifen, wenn man das kann. Hat Brecht einmal sinngemäß gesagt. An Brecht vergreifen wollten sich die vom Berliner Ensemble zum 50. Todestag des Dichters eingeladenen Theater aus Zagreb, Tokio und Florenz ganz offensichtlich nicht. Sie unterwerfen sich der Strenge, der Disziplin des Vorbilds, nutzen aber auch Spaß und List, die Brecht anbietet.

Für das Städtische Theater Komedija aus Zagreb ist „Mutter Courage und ihre Kinder“ die passende Gelegenheit, sich des eigenen Kriegstraumas zu stellen, mit Kraft und Leidenschaft, und den Krieg als immerwährende Gefahr darzustellen, lastend auf jedem Befreiungsversuch. Nicht die Händlerin Courage steht im Mittelpunkt, sondern eine kleine Gemeinschaft, die gegen das Verhängnis von Grausamkeit und Tod kämpft, in flüchtigen Momenten Glück genießen darf, um dann wieder hineingerissen zu werden in den Strudel sinnlosen Mordens. Am Anfang und am Ende stehen alle Darsteller der Zagreber Inszenierung (Regie: Kresimir Dolencic) auf der Bühne vor einer braunen, ins Goldene spielenden Wand, sie machen das Schicksal ihrer Figuren zur Botschaft an die Zuschauer, zeigen das Unabwendbare des Krieges mit einer hohen emotionalen Beteiligung. An Brechts Text ist kaum etwas geändert, alle Szenen fließen ineinander, durch ausführliche Zeit- und Ortsbestimmungen erläutert. Und nur im Hintergrund spielt ein aufgetakeltes Handwägelchen mit, der Besitz der Courage ist von Anfang an äußerst bescheiden. Der Krieg bleibt, und die Welt ist nicht veränderbar. In kaum einem anderen Stück zieht Brecht die Zuversicht über die Macht der Klugheit und der Vernunft so in Zweifel wie in „Leben des Galilei“. Der temperamentgeladene, fröhliche Gelehrte, der allen sinnlichen Genüssen Hingegebene, kühn in ein neues Zeitalter aufbrechend, verflucht im Alter, fast erblindet, die Naturwissenschaft. Weil sie in Gefahr steht, ihre einzige Aufgabe zu verfehlen: die Mühsal der menschlichen Existenz zu erleichtern.

Das Tokyo Engeki Ensemble, seit seiner Gründung 1954 mit Brechts dramatischem Werk eng verbunden, drängt diese Zweifel zurück. Auch Regisseur Tsunetoshi Hirowatari vertraut dem Text. Brechts getüftelte Beweisführungen, die jedes Argument gnadenlos und immer wieder neu durchleuchten, werden geradezu mit Ehrfurcht entgegengenommen und dargeboten. Hirowatari zwingt zum Zuhören, fordert Konzentration, macht die Bühne zum Hörsaal. Zwei hohe weiße Stege durchschneiden in Kreuzform den Raum der Probebühne des Berliner Ensembles, ermöglichen ein hervorgehobenes, fast zeremonielles, temperamentgezügeltes Spiel, das stets der Klarheit des Wortes untergeordnet ist. Die in Tokyo vierstündige, in Berlin zweieinhalbstündige Aufführung bleibt einfach, von einer anrührenden Klarheit in Bewegung, Kostüm, Musik, sie begegnet Brecht mit rückhaltlosem Vertrauen.

Die Compagnia Lombardi-Tiezzi aus Florenz sucht sich, anders als die in Ehrfurcht verharrenden japanischen Theaterleute, ganz entschlossen und furchtlos einen eigenen Weg. Brechts „Antigone des Sophokles“ wird in einen dunklen, geschlossenen Raum verpflanzt – Bunker, Befehlsstand, Anatomie. Ein durchweg schwarz gekleideter Chor, Männer und Frauen, Junge und Alte, treibt hier mit fahrbaren Metallbetten sein streng choreografiertes Unwesen, es wird schnell mal einer erschlagen und auf den Seziertisch gewuchtet. Regisseur Federico lässt die große Tragödie spielen, den Aufstand der in leuchtendes Rot gekleideten Antigone gegen die Arroganz der Macht und den korrumpierten Chor, bemüht dazu Opern- und Passionsmusik, verharrt aber nicht im Feierlichen, Klagenden, Pathetischen. Die Wende kommt mit dem Auftritt des Tiresias. Das ist ein in Weiß gekleideter, schmiegsam beweglicher Mann, auf einer Schubkarre hereingefahren. Kein Altersweiser, sondern ein Komödiant, dem Arlecchino nah verwandt. Tiezzi setzt den hohen Ton der vielfach geschichteten, in der Katastrophe endenden Dichtung am Ende mit plebejischer Überlegenheit außer Kraft – die Herrscher kommen und gehen.

Das Theater der Welt, so war es in drei Wochen am Schiffbauerdamm zu erleben, ist noch längst nicht fertig mit Brecht. Die Neugier auf ein großes dramatisches Werk mit seinen Geschichten und Vorschlägen bleibt, ob es nun Jubiläen gibt oder nicht.

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