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Kultur: Vom Teilen

Juden und Araber: Martin Bubers Nahost-Ideen sind aktueller denn je

Es ist die Stunde Martin Bubers, doch keiner erwähnt ihn. Kaum einer, der öffentlich Stellung zum Krieg im Nahen Osten nimmt, Israel verteidigt oder verurteilt, scheint seine Schriften gelesen zu haben. Schon gar nicht jene Politiker, die sich an Konferenztischen versammeln, um den Konflikt zu entschärfen, aber oft nichts anderes tun, als Öl ins Feuer zu gießen. Das dürfte kein Zufall sein. Denn Buber provoziert mit seinen Ideen all jene, die die Sphären Moral und Politik trennen wollen.

Buber war deutsch-jüdischer Philosoph aus Wien und Zionist, den die Nazis 1938 nach Jerusalem vertrieben hatten. Als Zionist war er der schärfste Kritiker des Zionismus, wie er von den Gründern des Staates Israel in die Tat umgesetzt wurde. Er stand von Anfang an im Widerspruch zu denjenigen, die sich dem Kalkül einer Machtpolitik verschrieben hatten, die Versöhnung und Ausgleich, Verständigung und Frieden, wenn nicht ausschloss, so doch erheblich erschwerte.

Die Einsamkeit Bubers war umso größer, als ein arabisches Pendant fehlte, ein geistiger Anführer von Format, der sein Gesprächspartner auf der anderen Seite hätte sein können. Wer heute seine Schriften, Reden und Briefe liest, die er von 1918 bis zu seinem Tod 1965 zum jüdisch-arabischen Konflikt in Palästina verfasste, wer sich seine Vorschläge für die Lösung des Konflikts vergegenwärtigt, findet einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis des heutigen Nahost-Konflikts. Und er wird auch auf einen kritischen Umgang mit politischer Vernunft aufmerksam, der angesichts des moralischen Verfalls im politischen Denken der Machthaber in Ost und West geradezu alarmiert.

Die Gründung Israels 1948 und die erfolgreiche Abwehr arabischer Aggression gegen den jungen Staat wurde oft als Niederlage des politischen Denkens von Buber interpretiert. Hatten die Machtpolitiker nicht recht behalten, die auf eine Strategie der Konfrontation und der Stärke setzten? Nein, im Gegenteil. Sie schwächten und schwächen sich von Sieg zu Sieg.

1950 schreibt Martin Buber: „Einst wird uns wohl der Triumphweg, auf den unser Volk so stolz ist, als grausamer Umweg erscheinen.“ Wird dieser Umweg nicht bis heute fortgesetzt? Bubers Weisheit speist sich aus vielen Quellen. Das jüdische Erbe und die deutsche Aufklärung, die Mystik und das Gesetz kommunizieren unentwegt miteinander, inspirieren sich gegenseitig. Der jüdische Humanismus erweist sich dabei als ein Grundpfeiler der Moderne, an den heute von vielen die Axt der Ignoranz angelegt wird. Doch wenn der Pfeiler stürzt, begräbt er nicht nur die Feinde der Aufklärung unter sich, sondern auch diejenigen, die er trägt.

Wer ungerufen in ein Land kommt, in dem schon andere leben, hat zwei Möglichkeiten. Er vertreibt die anderen und lässt sich an deren Stelle nieder; die Folge sind Rüstung und Krieg. Oder aber er versucht, mit den anderen zu teilen, sucht das Gespräch, den Ausgleich. Teilen heißt in letzter Konsequenz auch Teil werden. Einwandern in diesem Sinne bedeutet: das Hemd des Fremden ablegen.

Heute herrscht im Nahen Osten die Logik der ersten Variante, der Unvereinbarkeit der Gegensätze. Frieden wird verstanden als ein Weg, um das Unrecht zu legitimieren. Aber da Unrecht sich auf Dauer nicht legitimieren lässt, wird es nie zum Frieden kommen. Die Machtpolitik versucht, Frieden zu diktieren, doch das Diktat endet in noch mehr Leid und Verwüstung. Israel hat sich in eine Sackgasse begeben, gerade weil sich die politischen Verantwortlichen, aber auch die geistige Intelligenz des Landes vom Denken Bubers verabschiedet zu haben scheinen.

In den USA wird seit geraumer Zeit darüber diskutiert, ob sich die amerikanische Politik zu sehr vor den Karren israelischer Interessen hat spannen lassen. Verhält es sich nicht genau anders herum? Israel wird zunehmend Opfer einer verfehlten, moralisch und strategisch unhaltbaren US-Machtpolitik im Nahen Osten. Es ist zum Gefangenen amerikanischer Interessen in der Region geworden, die mittlerweile sogar seine Existenz bedrohen.

Buber hatte etwas anderes im Sinn: die zivilisatorische Wiedergeburt des Vorderen Orients als jüdisch-arabisches Projekt. Angesichts der doppelbödigen US- Politik lohnt es sich,dies in Erinnerung zu rufen. Wie wichtig wären seine Ideen gerade für die arabische Seite! Denn Buber hat Vorbildcharakter für das, was auf muslimischer Seite erst noch geschaffen werden muss: die Überführung der Tradition in die Gegenwart, das Fortdenken religiöser Überzeugungen im Licht der Aufklärung. Mit Petrodollars kann man moderne Waffensysteme kaufen, aber Hochtechnologie und Raketen ersetzen nicht die Mühen einer Modernisierung des Geistes. Sie kann nicht importiert werden, sondern stammt aus eigenem Anbau und entwickelt sich in der offenen Auseinandersetzung mit anderen Kulturen. Der Dialog mit dem anderen setzt immer auch das kritische Selbstgespräch voraus.

Noch heute, mehr als vierzig Jahre nach seinem Tod, hätte Buber kaum gleichwertige Gesprächspartner auf arabischer Seite. Wer sich allzu schnell dazu verleiten lässt, israelisches Vorgehen im Nahen Osten einseitig zu verurteilen, sollte auch diese bittere Tatsache bedenken.

Der Autor lebt als Schriftsteller in Berlin. Zuletzt erschien von ihm „Zungenentfernung“ (Babel Verlag, München).

Der jüdische Philosoph Martin Buber

(1878–1965) schrieb unter anderem:

Ein Land und zwei

Völker. Zur jüdisch-

arabischen Frage.

(Jüdischer Verlag, Frankfurt/M. 1993)

Zafer Senocak

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