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Kultur: Von der Not eines sympathischen Frauenhelden

Hans-Peter Kunisch Am 1. Dezember 1909 heiratet der dreiundzwanzigjährige Hermann Broch, Mitglied des Verwaltungsrats der gutgehenden familieneigenen Spinnereifabrik in Teesdorf bei Wien, die zwei Jahre ältere Franziska von Rothermann, Tochter eines in den Ritterstand erhobenen, wohlhabenden Zuckerfabrikanten.

Hans-Peter Kunisch

Am 1. Dezember 1909 heiratet der dreiundzwanzigjährige Hermann Broch, Mitglied des Verwaltungsrats der gutgehenden familieneigenen Spinnereifabrik in Teesdorf bei Wien, die zwei Jahre ältere Franziska von Rothermann, Tochter eines in den Ritterstand erhobenen, wohlhabenden Zuckerfabrikanten. 11 Monate später, am 4. Oktober 1910, kann das junge Paar die Geburt des Sohnes Hermann Friedrich Maria feiern.

Wie sollte eine Biographie hübscher klingen? Auch daß der später berühmte Schriftsteller Hermann Broch seine wenig an geistigen Dingen interessierte Frau schon nach kurzer Zeit als eher eintönig empfindet, daß er sich, wie Franziska selbst, nach anderen erotischen Zielen umzusehen beginnt (die Ehe wird 1923 geschieden), paßt in die Konventionen der Zeit. Neben der Tätigkeit als Familien-Industrieller studiert Broch Mathematik und Ökonomie, schreibt eine Abhandlung über "Theorie der Geschichtsschreibung und Geschichtsphilosophie", pflegt Kontakt zu den lebhaften intellektuellen Zirkeln des damaligen Wien. In einem der Salons lernt er die attraktive, von Männern umschwärmte Ea von Allesch kennen, die beiden beginnen ein Verhältnis, die Beziehung dauert an, auch als Broch schon andere Freundinnen hat.

Doch es ist nicht das Glück des Verführers, sondern "das Bild eines fürchterlichen Inferioritätsgefühls", das den so selbstverständlich arrivierten jungen Mann schon damals mit unglaublicher Zähigkeit begleitet. Die Mutter war dem älteren ihrer beiden Söhne nur mit Kälte entgegengekommen, was sich als bürgerliche Katastrophe erweisen sollte, denn sie installierte damit in Hermann Broch ein Gefühl der "Liebes-Unwürdigkeit". "Soweit ich mich erinnern kann", so Broch, habe er sich seinem Vater und seinem Bruder, "diesen beiden Männern" gegenüber, als "Un-Mann", als "impotent" betrachtet. Eine Vorstellung, die Hermann Broch sein Leben lang hemmte, andererseits zu immer neuen Beweisen von "Überpotenz" trieb (mit sozial "niedrigeren" Frauen, Dienstmädchen, Huren), die aber gar "nichts bewiesen", die nichts ausrichten konnten gegen das Gefühl eines Nicht-Genügens.

Das liest man in der erst jetzt vollständig veröffentlichten "Psychischen Selbstbiographie", die der mit seiner "Trilogie der Schlafwandler" schon bekannt gewordene Schriftsteller Herman Broch 1942 im amerikanischen Exil verfaßte. Der Text war kaum für eine Veröffentlichung gedacht. Als Briefbeilage ging er nur an zwei New Yorker Emigranten-Freundinnen (Ruth Norden und Annemarie Maier-Graefe), sowie an den Psychoanalytiker Paul Federn, bei dem sich Broch eventuell einer Analyse unterziehen wollte (was er anschließend tatsächlich tat).

Die "Impotenz", von welcher der sympathische Frauenheld Broch spricht ("es ist nicht leicht zu sagen, warum er auf Frauen eine solche Wirkung ausübte", erinnert sich eine amerikanische Freundin), ist, das merkt man bald, keine Koketterie. Ganz im Gegenteil: sie ist das ebenso heimliche wie erniedrigende Hauptthema einer scheinbar gelungenen Existenz. Sie führt zu einer dramatischen Distanz zwischen öffentlicher Erscheinung und Selbstgefühl.

Wie die schon veröffentlichte, hier mitabgedruckte "Autobiographie als Arbeitsprogramm", die ein Jahr vor der "Selbstbiographie" entstand und das Individuum ausschließlich zum Träger allgemeiner Ideen macht, wirkt diese intime Darstellung der eigenen Psyche wie eine extremistische Sprengung der Gattungsvorstellung, die nichts so sehr meidet wie den "mittleren" Bereich des Common Sense. Den Bericht über persönliche Treffen mit bedeutenden Männern, den unglaublich langweiligen Höhepunkt vieler Memoiren, findet man bei Broch allenfalls in Briefen.

Doch "die härteste Realität", schreibt Broch kurz vor Ende der "Selbstbiographie", "ist wohl die apokalyptische Zeit, in der wir leben. Und fast ist es beschämend, sich mit diesen persönlichen und privatesten Problemen in einer solchen Zeit abzugeben." Die "Realität", das ist für den früh zum Katholizismus konvertierten jüdischen Emigrant Broch der Faschismus, der Zweite Weltkrieg, und er fügt hinzu: Wenn es dennoch geschehe, daß er sich mit eigenen Problemen abgebe, "so geschieht es wohl, weil selbst inmitten der Apokalypse die kleine persönliche Glückssehnsucht des Menschen nicht völlig zum Schweigen zu bringen ist. Und es geschieht auch, weil gerade in einer Zeit schärfster Anspannung und schärfster Forderungen an die persönliche Arbeitskraft ein seelisches Ordnungsmachen notwendiger denn je geworden ist, damit die Arbeitskraft nicht noch mehr, als es ohnehin durch die äußeren Ereignisse getan wird, geschädigt und beeinträchtigt werde."

Die Glückssehnsucht "zum Schweigen bringen". Hier ist das ungeheure Pflicht-Ethos spürbar, das den "privaten" Broch bis zur Verkrampfung bestimmte; das er in den Seiten zuvor gerade selber als Ausdruck der eigenen Deformation gedeutet hatte. Denn jene erniedrigende Erfahrung in der Kindheit, die Broch, vielleicht aus Berührungsscheu oder verdrängender Erinnerung, nie genau benennt, führt ja nicht nur zu einer bis zum "physischen Ekel" gehenden "Schüchternheit" vor anderen Menschen und dem Traum einer "weißen", körperlosen Ehe.

Nein. Das Erlebnis damals ist, so Broch, eher die "winzige Spitze einer umgekehrten Pyramide", eines monströsen Systems von Verpflichtungen, das keine Wünsche erlaubt, nur Aufopferung und Verantwortung für die Familie, den Staat; am besten im Zeichen von übergroßen Zielen, die die ganze Menschheit erlösen könnten, und die nur eines zur Folge haben: das Individuum, das diese Ziele verzweifelt zu tragen versucht, zu erdrücken.

So arbeitete Broch achtzehn Jahre lang für das Familienunternehmen, obwohl er keine Lust hatte; versuchte, anderen Emigranten bis zur Selbstaufgabe zu helfen; schrieb 1937 die antifaschistische Völkerbund-Resolution; arbeitete an einem Gemeinschafts-Projekt zur Weltdemokratie und an einer Massenwahntheorie; schrieb seinen antiliterarischen Roman "Der Tod des Vergil" und gegen das "private" Schreiben; dichtete politisch und liebte so viele Frauen wie möglich, die er alle nicht enttäuschen durfte - was wieder nur zu Gewissensbissen gegen die jeweils anderen führte ("wenn andere Männer zur Geliebten sich hinstehlen, so schleiche ich mich zur Erfüllung moralischer Verpflichtungen"); und litt doch an Schuldbewußtsein, da ganz ohne Leistung.

Montaigne nannte sein persönliches Werk kokett "aufrichtig". Als Autobiographie ist Brochs Text, wie die "Essais", in jedem Fall eine Konstruktion. Es gibt sogar offensichtliche Lücken (der Hinweis auf die sonnig-"unschuldige" Päderastie des lebensstrotzenden Vaters fehlt). Doch gerade daß Broch nicht nur leidet und sich anklagt, sondern seine Zwänge mit unterwürfiger Bescheidenheit immer wieder verteidigt (das Gefühl moralischer Verpflichtungen gegen andere habe auch etwas Positives) macht die "Selbstbiographie" in ihrer "peinlichen" Ehrlichkeit sichtbar.

Nicht das Neurotische dieses mit 64 Jahren durch einen Herzanfall unauffällig beendeten Lebens ist das Erschreckende an diesem einzigartigen Text. Es ist der gespenstische Hintergrund einer durchaus funktionierenden Normalität, in den der Leser blickt.Hermann Broch: Psychische Selbstbiographie. Herausgegeben von Paul Michael Lützeler. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1999. 214 Seiten, 44 Mark. Die Monster der Verpflichtungen © 1999

Hans-Peter Kunisch

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