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Kultur: Von Genmäusen und Erdferkeln

Darf man glauben, was man sieht? Ist das Wirkliche auch das Abbildbare?

Darf man glauben, was man sieht? Ist das Wirkliche auch das Abbildbare? Unser Verstand hat zwar gelernt, diese Fragen zu verneinen, seit wir wissen, daß der Himmel nicht nur oben und die Erde keine flache Scheibe ist; für unsere Orientierung im Alltag aber sind wir trotzdem auf die Informationen des Augensinns angewiesen (Achtung Tischkante! Nicht gegenrennen!).

Die Verunsicherung über den Zusammenhang zwischem Sichtbarem und Wirklichkeit, die durch die Entwicklung der Medien noch einmal eine Beschleunigung erfährt, macht sich die Malerin Margarete Hahner zunutze.Ist Realismus in der Kunst möglich? Einfach verneinen läßt sich diese Frage nicht, denn vom Unglaubwürdigsten ihrer Motive, einer Maus mit Menschenohr, weiß man, daß sie nicht der Phantasie der Malerin, sondern der realen Manipulation im Genlabor entsprungen ist.Einfach bejahen aber läßt sich die Frage ebensowenig, denn wie Hahner die Entstehung des afrikanischen Erdferkels schildert, kann nur eine völlig der Logik der Bilder hingegebene Phantasie nachvollziehen.

Die Evolutionstheoretiker brachte das Erdferkel in Verlegenheit, weil sie keine Verwandten fanden.Die Malerin läßt den rosa Leib mit Rüssel und Känguruhschwanz in einer Bildergeschichte nun aus der Form eines umgedrehten Bootes hervorgehen.In dem Boot saßen ein Bild zuvor noch vier Mädchen, die am Schluß zu den Beinen des Ferkels mutiert sind.Im ersten Bild sah man die Kinder im Meer mit den Wellen kämpfen und glaubte kaum an Rettung.Am Ende der Sequenz befinden sich zwei Bilder mit rennenden Kindern, deren Beziehung sich erst über den Titel erschließt: Als "Hänsel und Gretel" nehmen sie das Motiv der verlorenen Kinder wieder auf.Dieser Wechsel zwischen visuellen Assoziationen über formale Ähnlichkeiten und Anknüpfungen, die sich erst über die Versprachlichung des Gesehenen erschließen, vertraut auf die Lust des Betrachters, den Code zu knacken.

Auf den Wänden der Galerie hat Hahner ihre Bilder mit Pfeilen und Balken verbunden wie in einem Diagramm aus Natur- und Sozialkunde-Büchern.Diese Didaktik hat etwas von der Agitation eines GewerkschaftsAbends, wenn vom "Vorarbeiter" Pfeile in Richtung "Fabrik" und "Demonstration" weisen.Doch etwas geht immer schief bei der Verwandlung von Natur in Kultur, Arbeit in Kapital.Dem Zweifel an der Effizienz der Zivilisation steht allein die Hoffnung gegenüber, durch Umarrangieren des Materials und die Beteiligung des Zufalls im Experimentierfeld des Lebens die Geschichte doch noch zu einem guten Ende zu bringen.

Insofern ist die Malerei von Margarete Hahner ein Modell, wie man aus den Fehlinterpretationen des Gesehenen, aus verschobenen Bedeutungen und losen Enden der theoretischen Denkketten die Chance erhält, das Spiel neu aufzubauen und die Regeln zu überdenken.Ihre Kunst enthält den Trost, daß auch in verfahrenen Situationen ein Ausweg möglich ist.Dafür sind ihre Bilder, die zwischen 900 DM und 4500 DM kosten, nicht teuer.

KBM

Zwinger Galerie, Gipsstraße 2, bis 6.März;Dienstag bis Freitag 14-19 Uhr, Sonnabend 11-17 Uhr.

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