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Von Haiti nach Papua-Neuguinea: Hans Christoph Buch und das Lob des Langschweins

Tropische Abschweifungen: Hans Christoph Buch fabuliert sich von Haiti nach Papua-Neuguinea.

Wenn Hans Christoph Buch von sich erzählt, hat er allen Grund, weit auszuholen. In „Haiti Chérie“ und „Die Hochzeit von Port-au-Prince“ setzte er seiner Großtante ein Denkmal, die in Haiti eine 1900 vom Urgroßvater gegründete Apotheke betrieb. Er kann von Südamerika berichten, das er vom Amazonas bis zum Rio Grande bereiste und ihn zu seiner Form von magischem Realismus inspirierte. Von Nordamerika, wo er an Universitäten lehrte, oder von den Bürgerkriegsregionen Kongo, Liberia und Sudan, von wo aus er während der neunziger Jahre in Texten berichtete, die unter dem Titel „Apokalypse Afrika“ erschienen.

Wer hätte gedacht, dass es für Buch, den poeta doctus unter den Kriegsreportern mit Blut im Schuh, noch neue Länder zu erforschen gibt. Genau das geschieht in seinen beiden autobiografischen Fiktionen „Nolde und ich“ sowie „Baron Samstag oder das Leben nach dem Tod“. Letzteres scheint zunächst auf das Terrain Haiti zurückzuführen.

Die Rede ist von Totenbeschwörungen, Voodoo-Ritualen, dem Kult des „Baron Samedi“, hinter dessen Skelett sich abwechselnd Jesus, Robespierre, der Diktator Papa Doc Duvalier mit seiner Tonton-Macoute-Miliz oder das Alter Ego des Autors verbergen. Ein apokalyptisches Rollenspiel, in dem die jüngsten Erdbebentrümmer und Spukgeschichten von Mord, Totschlag, Korruption nur Glieder in der Kette eines sich beschleunigenden Elends sind.

Buchs „Baron Samstag“ bewegt sich in konzentrischen Ringen durch drei Erzählebenen, die im Tod des Autors „H. C. Buch“ zusammenfließen – eine literarische Selbstexekution am von Piranhas und Untergrundkämpfern wimmelnden Amazonas. Stellt sich ein „Altachtundsechziger“ (Buch über sich selbst) so sein eigenes Ende vor? Pikanterweise ist dem toten Autor dessen Exfrau auf der Spur, mit der er zu Anfang im Provencekloster St. Baume noch „den Jahrestag seiner Scheidung oder Hochzeit feierte: Erstere lag zehn, letztere dreißig Jahre zurück.“

Ironisch bilanziert der Erzähler: „H. C. war Karnevalskritiker von Beruf, vergleichender Karnevalskritiker genauer gesagt: Er verglich den Karneval in Rio de Janeiro, Trinidad, New Orleans und Port-au-Prince mit dem Kölner Karneval, der Mainzer Fastnacht, dem Fasching in München und der Basler Fasnacht – auch die Echternacher Springprozession und die römischen Saturnalien bezog er in seine Untersuchungen ein … und er hatte gelernt, Verbindungslinien zu ziehen zwischen der von Michail Bachtin analysierten Lachkultur der Renaissance und den Gottsuchern und Narren in Christo der russischen Literatur, von Rabelais bis Gogol, Dostojewski und Tolstoi.“

Buchs Autofiktion vom in immer neuen Masken Grimassen schneidenden Baron Samedi ist entsprechend eine Form von Karneval, und es ist nur folgerichtig, wenn Buch von „H. C. Buch“ in der dritten, von Dracula hingegen in der ersten Person fabuliert, wenn er lebensprall behauptet „Haiti gibt es nicht“, oder wenn er Begegnungen zwischen Aldous Huxley, Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger und Klaus Mann 1933 in Sanary-surmer aus der Perspektive Sibylle Bedfords resümiert, als sei er ganz an ihrer Seite gewesen.

Ein anderer Karneval zieht durch die Seiten von „Nolde und ich“, ein Buch, in dessen Zentrum Papua-Neuguinea steht. Als die Geschichte ihren Ausgang nimmt, hieß das Archipel noch „Kaiser-Wilhelms-Land“. Buch begibt sich auf die Spuren des Malers Emil Noldes, der sich 1913/14 mit seiner Frau Ada einer deutschen Expedition in die fernste der fernen Kolonien angeschlossen hatte. Doch Buchs Hauptinteresse gilt der subtilen Liebe zu einer Mitreisenden, die Nolde von seinem Antisemitismus heilt.

Es sind die letzten Monate der deutschen Kolonie, bizarr nehmen sich Namen wie „Bismarckberge“ oder „Herbertshöhe“ in den Mangroven südlich des Äquators aus, wo der Autor hundert Jahre später, einer ornithologischen Reisegruppe folgend, auf eher traurige Tropen stößt. Ein neokoloniales Territorium am Tropf Australiens, Menschenfresser- und Cargokulte als Touristenattraktion, Sicherheitsvorkehrungen vor Alligatoren, Gelbfieber, Malaria, ohne die die Bilder von der Südsee nicht zu haben sind.

In seinen Reisenotizen ist Buch besonders nahe an den Erscheinungen einer simultanen Wirklichkeit, von der wir hierzulande kaum wissen: „Einbaum voll leerer Bierflaschen, die zum Beschweren der Schilfdächer dienen, daneben ein zum Trocknen aufgehängter Schweinskopf, aus dem Blut trieft.“ Solche gewissermaßen im Rohzustand mitgeschriebenen Beobachtungen sind das Beste, was Buch, ohne über den Umweg einer Fiktion gehen zu müssen, herausfiltert und mitstenografiert.

In solchen Bildern kommt er aber vielleicht auch Nolde am nächsten, den er zu porträtieren sucht. Christian Kracht, dem anderen literarischen Südseeimaginator der Gegenwart, wirft Buch geografische und historische Ungereimtheiten vor. Der Vorwurf schlägt auf ihn selbst zurück, etwa wenn er eine Begegnung zwischen Nolde, Gottfried Benn, Ernst Jünger und Adolf Hitler schildert, die es faktisch nie gegeben hat. Sei’s drum.

Wir verdanken Hans Christoph Buch dafür die authentische Geschichte der schönen Gertrud Arnthal, die Emil Nolde vom Antisemitismus kurierte und heute irgendwo in den Tiefen des Marianengrabens ruht – und gezielte Landeskunde. Sie klärt uns etwa darüber auf, dass, wer in Papua-Neuguinea vom „Langschwein“ spricht, nichts anderes meint als Menschenfleisch. Jan Röhnert

Hans Christoph Buch: Nolde und ich. Ein Südseetraum. Die Andere Bibliothek, Berlin 2013. 110 S., 18 €.

Baron Samstag oder das Leben nach dem Tod. Roman. FVA, Frankfurt a. M. 2013.

256 Seiten, 19,90 €.

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