zum Hauptinhalt

Kultur: Von Helden und Verrätern

Von Berlin nach Pristina sind es gut 1200 Kilometer, nach Neapel, Barcelona oder Glasgow ist es weiter.Der innere Entfernungsmesser hat einen anderen Maßstab.

Von Berlin nach Pristina sind es gut 1200 Kilometer, nach Neapel, Barcelona oder Glasgow ist es weiter.Der innere Entfernungsmesser hat einen anderen Maßstab.Für Westeuropäer liegt das Kosovo, liegt Serbien unendlich weit - weil sich das Morden, Vertreiben und Selektieren am Ende des 20.Jahrhunderts ihrem Verständnis entzieht.Oder ist das Unverständnis nur eine Schutzhaltung - aus der Ahnung, daß das Verhalten der Serben den Westeuropäern nur allzu bekannt vorkommt? Sie schauen in die Fratze ihrer eigenen Geschichte: Kriege um Missionierung, Kolonisierung, um die Korrektur der Geschichte - nicht der objektiven Geschichte, sondern der, die sich die Täter in mythisch verzerrten Bildern zurechtgebogen haben und die es ihnen erlauben, sich als Opfer zu sehen.

Das Kosovo war einmal serbisches Herzland: im 13./14.Jahrhundert.Das Byzantinische Reich war ab-, das Osmanische noch nicht aufgestiegen, der serbische Feudalstaat reichte von der Donau bis zur Ägäis.Im Westen des Kosovo stifteten die Herrscher orthodoxe Klöster und schenkten ihnen das fruchtbare Land.Das spiegelt sich im vollen serbischen Namen: Kosovo-Metohija (Kirchengut).In diesem "Heiligen Land der Serben" mit den Klöstern Decani, Gracanica und der Stadt Pe¿c kommt es heute zu den brutalsten Vertreibungen der (moslemischen) Albaner.Eine Teilung des Kosovo wäre keine Lösung, das Gebiet liegt auf der Serbien abgewandten Seite des Kosovo nahe der albanischen Grenze.Auch Albaner lebten damals im Kosovo, allerdings als Hirten sowie in den Bergen, die die fruchtbare Ebene umschließen, in den schriftlichen Quellen tauchen sie nicht auf.Schiptari nannten die Serben sie, Arnauten die Osmanen.

Am 28.Juni 1389, dem "Vidov dan" (St.Veits-Tag) kam es zur legendären Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo polje), in der Sultan Murat I.das serbische Heer unter Fürst Lazar besiegte.Diese angeblich traumatische Niederlage hatte zunächst kaum Folgen.Die Türken nutzten den Sieg nicht zur Eroberung des Balkan, sondern zogen ab, weil Mongolen Anatolien von Osten bedrohten.Erst in den folgenden Jahrzehnten stießen sie immer weiter nach Norden vor.

Groß waren dagegen die Langzeitfolgen für das serbische Geschichtsbild.Viele Mythen sind bis heute prägend: daß nur Verrat die Niederlage möglich machte; der Auszug der Helden aus der "weißen Feste" Krusevac; das "Mädchen vom Kosovo", das die Leiden der Verwundeten mit kühlem Wasser lindert; die zwei schwarzen Raben, die der Zarin vom Unheil berichten, die zwei Kerzen stiftet, die erst entzündet werden dürfen, wenn das Kosovo wieder serbisch, die Schmach gerächt ist.Auf dieser Klaviatur der Emotionen spielte Slobodan Milosevic, als er 1989 zum 600.Jahrestag der Schlacht vor über einer Million Serben am Steindenkmal im Kosovo sprach - über die Rückkehr der Serben auf das Amselfeld.Die Albaner, mittlerweile fast 90 Prozent der Bevölkerung, kamen in seiner Rede nicht vor.

Kaum weniger bewußtseinsbildend ist 1690.Fast 300 Jahre lebten Serben und Albaner bereits unter osmanischer Herrschaft.1683 hatten die Türken Wien belagert, mußten aber geschlagen abziehen.1686 eroberten die Kaiserlichen Budapest, 1689 Belgrad.Die Serben folgten dem Aufruf Leopolds I.zum Aufstand.Doch da starb der habsburgische General Piccolomini, das Heer zog sich zurück.Die Kosovo-Bevölkerung war der Rache der Osmanen ausgeliefert.Die Albaner suchten den Ausgleich, die Serben flohen nach Norden.Maler und Dichter haben diesen "Auszug der Serben aus dem Kosovo" verherrlicht.Die Albaner galten von nun an als Verräter.Aber: Diese Erfahrung schmälerte auch das Vertrauen der orthodoxen Serben in die römisch-christlichen Großmächte im Kampf mit dem Islam.1735-39 wiederholte sich das Drama: Erfolge von Habsburgern und Russen in den Türkenkriegen ermunterten die Kosovo-Bewohner zum Aufstand; der brach aber zusammen; eine weitere Massenflucht folgte.

Wer blieb, war verstärkt der Islamisierung ausgesetzt: um sich zu arangieren - und um die Steuerlast zu mindern.Auch viele Serben wechselten den Glauben, 1903 gab es neben 111 350 orthodoxen 69 250 moslemische im Kosovo.Von den 230 000 Albanern bekannten sich 215 000 zum Islam.In serbischen Köpfen aber setzte sich fest: Serben kämpfen und ziehen nach Niederlagen lieber ab, als sich zu beugen; Albaner üben Verrat, im Zweifel auch an ihrem Glauben.

Die Albaner sind, anders als die Serben, eine verspätete Nation, ihr politisches Bewußtsein erwachte erst Ende des 19.Jahrhunderts.Dabei spielte die Furcht eine Rolle, ihre Anliegen würden dem serbischen Nationalstaat geopfert.Als das Osmanische Reich immer weiter schrumpfte, der russisch-türkische Krieg Serben und Bulgaren die Befreiung brachte und der Berliner Kongreß 1878 den Balkan neu ordnete, schlossen sich die Albaner in der "Liga von Prizren" zusammen und forderten alle albanisch bewohnten Gebiete - in heutigen Grenzen: Albanien, das Kosovo, West-Mazedonien und Nord-Epirus im Grenzgebiet zu Griechenland.Doch erst, als sie 1912 nach mehreren Aufständen Skopje besetzten, gewährten die Osmanen ihnen Autonomie.Zu spät.Im ersten Balkankrieg eroberten die orthodoxen Serben, Griechen und Bulgaren den Südbalkan.Die Westmächte verhinderten die vorgesehene Aufteilung der Beute, eine Herrschaft Serbiens über Albanien hätte für sie Rußlands Vordringen an die Adria bedeutet.Mit Kriegsschiffen stützten sie den im November 1912 ausgerufenen Staat im Zeichen des schwarzen Doppeladlers auf roter Flagge.Serbien mußte sich mit dem Kosovo zufriedengeben.Im zweiten Balkankrieg 1913 teilte es sich mit Griechenland Mazedonien auf Kosten Bulgariens.

Das Kosovo blieb nun staatlich ein Teil Serbiens, wurde aber im Innern immer albanischer - auch wegen der im Vergleich zum jugoslawischen Durchschnitt doppelt so hohen Geburtenrate unter den moslemischen Albanern.Die Serben sehen sich als Opfer, der Vertreibungsgedanke wird immer offener vertreten.1937 empfiehlt der Historiker Vasa Cubrilovi¿c, Mitglied der serbischen Akademie der Wissenschaften, in einer Denkschrift "Die Vertreibung der Albaner": Kolonisierung und Assimilierung seien gescheitert, andernfalls drohe die Abspaltung."Das einzige Mittel ist die brutale Gewalt einer durchorganisierten Staatsmacht, worin wir ihnen schon immer überlegen waren."

Im Zweiten Weltkrieg instrumentalisieren Italien und Deutschland den Konflikt für ihre Ziele, im Kominternstreit Moskau und Hodschas Albanien gegen Titos Jugoslawien.Die gegenseitigen Beschuldigungen von Verrat, Vertreibung, Genozid erhalten neue Nahrung.Tito sieht die Gefahren des Vielvölkergemischs, will sie bändigen durch die Gründungslegende eines alle Jugoslawen einigenden Partisanenkampfes und indem er die nationalen Rechte austariert.Er macht das Kosovo 1945 zu einem "autonomen Gebiet" und verbietet die Rückkehr der im Krieg vertriebenen Serben.1974 wird Kosovo autonome Provinz.

Doch mit Tito stirbt 1980 der Ausgleichsgedanke.Die Albaner verlieren das Fundament, das ihnen den Verbleib in Jugoslawien erträglich machte.Für die national denkenden Serben ist endlich der Weg frei, das "widernatürliche" Korsett zu sprengen.Der "Kroate" Tito habe nur den Serben zwei autonome Provinzen (Kosovo und Vojvodina) in ihrer Republik aufgezwungen, wird die Verfassung von 1974 im berüchtigten Memorandum der serbischen Akademie der Wissenschaften vom September 1986 diskreditiert.Im Kosovo seien die Serben einem Genozid ausgesetzt, es sei eine Überlebensfrage für das serbische Volk, mit allen Mitteln um die Provinz zu kämpfen.Zwischen 1961 und 1981 war der Serben-Anteil von 27 auf 15 Prozent gesunken.

Das Memorandum erschreckte alle nicht-serbischen Jugoslawen - und war doch nur die ideologische Unterfütterung einer chauvinistischen Politik, die das Kosovo seit 1981 systematisch in den Bürgerkrieg stürzte.Von der Geheimpolizei provozierte Unruhen schüren unter den Serben die Ängste vor Abspaltung und machen die unter der Repression leidenden Kosovo-Albaner allmählich radikaler.

Diese Bewußtseinslage ist das Fundament für den Aufstieg des Slobodan Milosevic.Mit inszenierten "Mitinsi" (Meetings), auf denen die Bürger angeblich spontan Fehler der lokalen Führung kritisieren, werden die Parteichefs durch Milosevic-Getreue ersetzt.1989 wird die Autonomie formal beseitigt, seit 1990 herrscht permanent der Ausnahmezustand.Fast zehn Jahre kann Ibrahim Rugova, der geistige Führer der Kosovo-Albaner, dennoch sein Konzept des gewaltlosen Widerstands durchsetzen - fast ein Wunder, wenn man bedenkt, in welchen Bedingungen eine ganze Generation aufwächst: ohne Schulen, ohne Berufsausbildung, ohne eigene Medien und eigenes Parlament, in ständiger Angst um das Leben der Familienangehörigen.Und alles im Namen einer Vorstellungswelt, in der die Täter sich als die eigentlichen Opfer sehen.

Im Kosovo hat der Zerfall Jugoslawiens begonnen: Das abschreckende Beispiel motivierte Slowenen und Kroaten, sich von einem serbisch dominierten Staat zu trennen.Nun stirbt im Kosovo Jugoslawien endgültig.Ist es nach all den Greueln vorstellbar, daß Serben und Albaner in einem Staat leben?

Abermals greifen die Großmächte ein.Wissen die Staatsmänner von heute, daß sie dabei in einer Tradition stehen? In einem gewissen Sinne intervenieren sie gegen ihre eigene Geschichte.Der Westen versucht ein Wertesystem, zu dem er selbst erst durch grausame Irrtümer und blutige Kriege gefunden hat, einer Region aufzuzwingen, die noch von den Denkwelten früherer Jahrhunderte beherrscht wird.Auf dem Balkan hat sich weder die Aufklärung durchgesetzt, noch das von der Französischen Revolution geprägte Bild des Bürgers als Citoyen.Dort gibt es allenfalls kleinste Ansätze einer "zivilen Gesellschaft" - und das gilt, mehr noch als für die Serben, für die Albaner, die auf keinem Beispiel erfolgreicher Staatlichkeit in ihrer Geschichte aufbauen können.

Führt die NATO einen Missionskrieg? Kommen nach den Bomben die Missionare der Demokratie? Und werden sie bleiben, bis die Aufgabe erfüllt ist?

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false