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Familienidyll in Lederhosen: Familie Kohl 1975 - Sohn Walter (l.) hat nun ein Buch geschrieben und klagt über die Last, der Sohn eines großen Mannes zu sein.

© dpa

Von Kohl zu Kinski: Über mächtige Väter und ihre Kinder

Walter Kohl, ein Sohn von Helmut Kohl, hat ein Buch geschrieben. Es heißt "Leben oder gelebt werden". Schon der Titel verrät den trüb-betrüblichen Inhalt. Kann nur Erfolg haben, wer im Privaten scheitert?

Leichen pflastern ihren Weg – zum Ruhm, zur Macht, zur Unsterblichkeit. Manchmal sind es seelische Opfer. Manchmal richten sich die Henker selbst. Von diesem Genre lebt der Boulevard. Seine Botschaft: Die Schönen, Reichen, Mächtigen und Berühmten zahlen einen verdammt hohen Preis. Entweder sie führen ein Lotterleben, sind einsam und depressiv, verfallen dem Alkohol, Tabletten oder noch härteren Drogen (von Marilyn Monroe bis Amy Winehouse, von Jim Morrison bis Michael Jackson), oder sie misshandeln andere.

Die Botschaft hinter der Botschaft wirkt wie ein Sedativum: Schuster, bleib bei deinen Leisten, klage nicht über Ungerechtigkeiten – denn siehe, Luxus gebiert Laster, Macht korrumpiert, Ruhm steigt zu Kopf. Das stete Leben im festen Job als treuer Familienvater mit bescheidenem Gehalt im Reihenendhaus ist – verglichen mit den Qualen, die ein Genie erleidet oder zufügt – immer noch besser. So liest der Bürger die Skandalgeschichten aus der ihm ewig fremden Welt weniger mit Entsetzen als mit Erleichterung, ja Befriedigung. Glück und Leid, gleich verteilt.

Große Väter, arme Kinder: Walter Kohl, ein Sohn von Helmut Kohl, hat ein Buch geschrieben. Es heißt „Leben oder gelebt werden“. Schon der Titel verrät den trüb-betrüblichen Inhalt. Der Autor erzählt von Selbstmordgedanken, vom Zerwürfnis mit seinem Vater („Auf meine Frage: ,Willst du die Trennung?’, antwortete er mir knapp mit ,Ja!’“), vom Tod seiner Mutter (der Sohn erfuhr davon durch einen Anruf der Kanzler-Sekretärin), von der erneuten Ehe des Vaters (die beiden Söhne werden per Telegramm informiert). Der Kanzler der Einheit als Produzent privater Disharmonie.

Was Helmut Kohl in der deutschen Politik, ist Klaus Kinski im deutschen Film – ein wahrlich Großer. Kinskis Tochter Nastassja wurde am gestrigen Montag 50 Jahre alt. Ihren Geburtstagsabend wollte sie allein in Los Angeles feiern. Auch über ihr liegt der Schatten des Vaters, der die Familie verließ, als sie sieben Jahre alt war („Es gibt gute Menschen wie meine Mutter und schlechte wie meinen Vater.“ – „Vergeben kann ich nicht.“).

Kann nur Erfolg haben, wer im Privaten scheitert? Dieser Topos ist so alt wie der Geniekult. Ob Schauspieler, Schriftsteller, Maler, Musiker: Der Kreative sprengt Fesseln, tendiert zum Anarchismus. Genährt wird der Topos einerseits vom Boulevard, andererseits von Kulturschaffenden selbst. Denn ihnen erwächst daraus eine bequeme Entschuldigung: Natürlich ist er/sie ein Schwein, aber sieh doch, wie herrlich sein/ihr Kunstwerk geworden ist! Und wie die Welt der Kultur, so will sich auch die Welt der Macht mit solchen Ausreden umgeben: Mag sein, dass Kohl kein guter Vater war, aber die deutsche Einheit lässt das verblassen.

Daran stimmt, dass weder die Schauspielkunst Kinskis noch die politische Kunst Kohls durch deren private Unzulänglichkeiten beeinträchtigt werden. Weil aber Genialität und Macht niemals Amoralität entschuldigen, fließt in das Urteil über die Menschen Kinski und Kohl beides ein. Gut sein und Großes schaffen: Das ist die wahre Kunst.

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