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Klette Scott (Pete Davidson) findet’s bei Mama Margie (Marisa Tomei) immer noch am schönsten.

© Universal

Von „Saturday Night Live“ ins Kino: Pete Davidson ist Amerikas neuer Comedystar

Der 26-jährige Pete Davidson ist schon lange für seinen autobiographischen Humor bekannt. In der Komödie „The King of Staten Island“ läuft er zur Hochform auf.

Der junge Mann mit den Augenringen brettert über die Autobahn, einen Sicherheitsgurt trägt er nicht. Stattdessen schließt er die Augen und gibt Gas.

So beginnt „The King of Staten Island“, und man fragt sich: Ist das noch Leichtsinn? Eine Mutprobe? Oder schon ein Selbstmordversuch?

Die Harakiri-Fahrt geht glimpflich aus. Bis auf einen Blechschaden kommen alle heil davon.

Doch die Irritation bleibt: Mit dem „König“ des New Yorker Inselbezirks, in dem Judd Apatows Film spielt, scheint etwas nicht zu stimmen.

Scott (Pete Davidson) ist von einem Trauma gezeichnet. Als er sieben Jahre alt war, starb sein Vater, ein Feuerwehrmann, bei einem Einsatz. Seither sind 17 Jahre vergangen – in denen er es nicht mal geschafft hat, bei der Mutter auszuziehen.

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Scott hat einen Traum: Er will Tätowierer werden und ein Restaurant eröffnen, in dem sich die Gäste zwischen den Mahlzeiten tätowieren lassen können. Klingt bekloppt? Egal.

Scott liegt weiter auf der Couch und schaut „SpongeBob“. Höchstens schafft er es noch in den Keller seiner Kumpel, wo sie gemeinsam Gras rauchen und Horrorfilme gucken. Doch zu Versuchszwecken wollen auch die sich nicht mehr von Scott tätowieren lassen.

Wenn ihn seine Schwester Claire (Maude Apatow, die Tochter des Regisseurs) beim Abschied Richtung College ermahnt, den Arsch hochzukriegen, verschanzt er sich hinter seinen physischen und psychischen Schäden: ADS, Morbus Crohn, dem verlorenen Vater – alles taugt als Schutzschild gegen die Realität.

Davidson lässt tief in sein Leben blicken

Scott basiert lose auf der Lebensgeschichte seines Darstellers Pete Davidson. Auch er stammt aus dem uncoolen Arbeiterbezirk Staten Island und hat als Kind seinen Vater bei einem Feuerwehreinsatz verloren. Davidsons Vater starb am 11. September 2001 im World Trade Center. Das hat Narben hinterlassen.

Davon legt der 26-Jährige in seinen Auftritten als Comedian bei „Saturday Night Live“ ausgiebig Zeugnis ab. Doch er lässt auch abseits der Bühne tief blicken, wenn er in Interviews über seine Beziehungen (unter anderem mit Ariana Grande) spricht oder auf Instagram Selbstmordgedanken teilt.

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Dass so viel von Davidson in Scott steckt, ist dem Umstand geschuldet, dass er gemeinsam mit Dave Sirus und Judd Apatow das Drehbuch geschrieben hat.

Apatow, die Eminenz der US-Komödie, ist berühmt dafür, das Schauspieltalent von Comedians zu fördern. Der 52-Jährige hat als Regisseur von Filmen wie „Jungfrau (40), männlich, sucht …“ und „Beim ersten Mal“ schon den Karrieren von Steve Carell und Seth Rogen einen Schub gegeben, als Produzent Lena Dunham und ihre Serie „Girls“ finanziert sowie mit „Brautalarm“ Kristen Wiig und Melissa McCarthy zum Durchbruch verholfen.

Apatows Filme erzählen oft vom Erwachsenwerden

Apatow wählt gerne bühnenerfahrene Protagonistinnen und Protagonisten und gibt ihnen den Raum zum Improvisieren. Heraus kommt dabei im besten Fall ein Grad an Wahrhaftigkeit, der einen vergessen lässt, dass man einen Film schaut. Im schlimmsten Fall ein ungeordnetes Medley gefühlter Outtakes, die sich etwas zu lang hinziehen.

Häufig geht es in seinen Filmen um Figuren, die ihre jugendliche Unbeschwertheit hinter sich lassen und endlich erwachsen werden. Genau genommen sind es meist kindgebliebene Männer, die von Frauen in eine Beziehung „gezerrt“ werden. An dieses Muster hat sich Apatow in seinen frühen Filmen derart sklavisch gehalten, dass Kritik an seinen Frauenfiguren laut wurde. Zuletzt hat er in „Dating Queen“ eine weibliche kindgebliebene Figur ins Zentrum gestellt.

Mit Amy Schumer übernahm wieder eine etablierte Komikerin die Titelrolle und lieferte das Drehbuch gleich mit, das auch aus Apatows Feder hätte stammen können. Wie ihre Figur ihre Aversionen gegen das klassische Familienmodell niederkämpft, offenbart Apatows Hang zum Konservatismus, der in seinen Filmen immer zu finden ist – allen Zoten zum Trotz.

So vulgär und genitalfixiert die Figuren diskutieren, beim Sex bleiben die Frauen züchtig verhüllt – und am Ende finden die Paare ihr Beziehungsglück in monogamer (und heterosexueller) Zweisamkeit.

Drama in komödiantischer Verkleidung

Diese Motive finden sich auch in „The King of Staten Island“, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Drehte Judd Apatow bislang Komödien mit dramatischem Subtext, funktioniert sein Film diesmal als Drama in komödiantischer Verkleidung. Der Grundton bleibt matt, der Beigeschmack bitter. Gleichzeitig sind die Figuren stärker in der Realität verwurzelt: Zum Beispiel Scotts Mutter Margie (die großartige Marisa Tomei), die laut Davidson Ähnlichkeiten zu seiner eigenen Mutter aufweist.

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Marge wagt es, mehr als anderthalb Jahrzehnte nach dem Tod ihres Mannes, einen anderen zu daten. Ray (Bill Burr) ist ebenfalls Feuerwehrmann und ruft in Scott heftige Abwehrreaktionen hervor. Als Erziehungsmaßnahme muss er dessen Kinder zur Schule bringen. Es ist ein wunderbares Bild, wie der hochgewachsene Schlaks, mit krummem Rücken und zutätowierten Armen, die Kinder an den Händen hält.

Davidson, in seiner ersten großen Filmrolle, spielt überzeugend. Anfangs wundert man sich noch über seine aufgerissenen Augen und den breiten Mund, der nie stillzustehen scheint. Doch man merkt, wie Scott seinen Schmerz hinter einem Grinsen verbirgt.

Kinoveröffentlichung fällt Corona zum Opfer

Apatow schafft es erneut, dass einem diese Ansammlung von Vertretern der (weißen) Mittelschicht nahegeht und auch nach 140 Minuten weiter beschäftigt – gerade wegen ihrer Durchschnittlichkeit. Dahinter lauert eine Ziellosigkeit und Egozentrik, die erschreckt.

Wenn Scott sich entschließt, seine alten Muster zu überwinden, geschieht das zwar wieder auf Betreiben der Frauen – seiner Mutter, die ihn vor die Tür setzt, und Kelsey (Bel Powley), einer alten Freundin with benefits, die ihn vor die Wahl einer echten Beziehung stellt. Doch Kindmann Scott muss diesmal nicht erst der Promiskuität entsagen, die ihn sowieso nie interessiert hat. Am Ende steht er im Herzen von New York: Der König hat sich von seiner Insel gewagt und blickt erstmals der Zukunft entgegen.

Leider ist auch „The King of Staten Island“ ein Corona-Opfer. In den USA hat Universal ihn halbherzig in der Pandemie als Video-on–Demand veröffentlicht, in Deutschland sollte er eigentlich, bei Universal neuerdings üblich, gleichzeitig im Kino und als VoD erscheinen – wogegen Kinobetreiber aber protestieren.

Am Dienstag haben sich das Studio und die größte Kinokette AMC in den USA nach zähen Verhandlungen auf ein Zeitfenster von zwei Wochen zwischen Kino- und VoD-Start geeinigt. Hierzulande wird man Pete Davidsons breites Grinsen allerdings nicht mehr auf der großen Leinwand zu sehen kriegen.
Ab Donnerstag als Video-on-Demand. Alle Filmstarts dieser Woche finden Sie wie jeden Donnerstag in unserem Veranstaltungsmagazin für Berlin und Potsdam.

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