zum Hauptinhalt
Lebt selbstbestimmt!, wird modernen Frauen gepredigt. Bis der Nachwuchs kommt.

© Reuters/Thomas Peter

Von wegen das größte Glück!: Alleinerziehende Mutterschaft ist wie Krieg

Schlafmangel, Isolation und andere Katastrophen: Rachel Cusk beschreibt in ihrem knallharten Memoir „Lebenswerk“ die Mutter als existentiellen Zombie.

Die ganz gewöhnlichen Dinge, die sich dann doch seltsam fremd anfühlen, sobald sie einem selbst geschehen, sind die Spezialität von Rachel Cusk. Die in Kanada geborene, in den USA aufgewachsene und in England lebende Autorin hat in ihrem Memoir „Aftermath: On Marriage and Separation“ (2012) mit erbarmungsloser Genauigkeit von ihrer Scheidung erzählt.

Der Guardian titulierte sie als „meistgehasste Schriftstellerin Großbritanniens“, ein Etikett, das ihr mittlerweile wie ein Markenzeichen anhaftet, obwohl es zu der zarten, eher skrupulös wirkenden Person gar nicht passt.

Vom Hauskauf in London, der die Mittel übersteigt, dem nervenaufreibenden Kampf mit Handwerkern und den verminten Trennlinien sozialer Distinktion, vom Alltag einer alleinerziehenden Mutter mit zwei Kindern, die als Schriftstellerin ein nur scheinbar freies Leben führt, während sie Schreibkurse gibt, an Universitäten lehrt und als Handlungsreisende in Sachen Literatur von Festival zu Festival tingelt, erzählte sie in ihrer Trilogie rund um die Schriftstellerin Faye. „Outline“, „Transit“ und „Kudos“ liegen bereits in deutscher Übersetzung bei Suhrkamp vor.

Berühmt aber wurde die Autorin von mittlerweile zehn Romanen mit einem autobiografischen Sachbuch, das von der scheinbar gewöhnlichsten Sache der Welt berichtete: vom Kinderkriegen. „A Life's Work: On Becoming a Mother“ ist im englischen Original bereits 2001 erschienen und seit der „Regretting-Motherhood“-Debatte, ausgelöst von einer Studie der israelischen Soziologin Orna Donath, noch bekannter geworden.

„Odyssee im Weltraum“ könnte man das Buch auch nennen

Was bedeutet es, wenn aus einer Frau eine Mutter wird, was geschieht mit ihr? Rachel Cusk beschreibt das Ungeheuerliche des alltäglichen Vorgangs in aller wünschenswerten Deutlichkeit – so radikal, als ginge es darum, einen Krieg zu dokumentieren.

„Odyssee im Weltraum“ hätte man „Lebenswerk“ auch nennen können, wie das Buch in der gelungenen Übersetzung von Eva Bonné heißt. Schließlich wird das Objekt der Verwandlung mit einem Schlag in eine andere Galaxie exportiert.

Es ist der Schock dieser Verwandlung, den die 1967 geborene Autorin in ihrem Memoir auf stilbildende Weise in Sprache fasst. Denn die versierte Schriftstellerin hat nicht einfach aufgeschrieben, was ihr geschehen ist. Sie hat eine Form gefunden, die gleichermaßen essayistisch wie autobiografisch ist.

Ihre Wahrhaftigkeit liegt nicht in der Chronologie der Ereignisse, sondern in einer gleichermaßen beherrschten wie explosiven Kartografie widersprüchlicher Emotionen. Das als „Roman“ bezeichnete Buch ist thematisch strukturiert, die lineare Zeit des Projektierens und Vorankommens kollabiert ohnehin mit dem Mutterwerden.

Cusk spricht von einer Falle besonderer Art: „Die Entbindung scheidet nicht nur Frauen von Männern; sie scheidet auch die Frauen von sich selbst, indem sie ihr Lebensverständnis umstülpt. In der Mutter hat ein anderer Mensch gelebt, und nach dessen Geburt lebt er im Einflussbereich ihres Gewissens weiter. In seiner Gegenwart kann sie nicht sie selbst sein, ebenso wenig in seiner Abwesenheit, und die eigenen Kinder zu verlassen ist genauso schwierig, wie bei ihnen zu bleiben. Diese Erkenntnis erzeugt das Gefühl, sich heillos in einen Konflikt verstrickt zu haben oder in eine mythische Falle geraten zu sein, in der man sich für immer und vergeblich plagen muss.“

In der Einleitung, aus der diese nüchterne Passage stammt, bekennt sie offen, dass der Text während der Schwangerschaft und der ersten Lebensmonate ihrer zweiten Tochter entstanden ist, obwohl er klingt, als ginge es um die erste Erfahrung des Mutterwerdens.

Das Baby ist Opfer und Alleinherrscher

Auch sonst steckt „Lebenswerk“ voller Kunstgriffe und entfaltet eine famose Rhetorik der Zuspitzung und Unversöhnlichkeit. Knallhart spricht es von der Mutterschaft als einer Erfahrung, bei der sich Isolation mit einem Übermaß an Verantwortung paart.

Sobald eine Frau schwanger ist, sieht sie sich einem Regime von Verboten und Ratschlägen ausgesetzt. Sie weiß, dass alles, was sie tut, ihrem Kind schaden kann, also versucht sie das Richtige zu tun. Was aber ist das Richtige? Schon vor der Geburt ist das Baby „Opfer und Alleinherrscher“.

Rachel Cusk erzählt von Schlafmangel und Koliken, vom Stillen und der Entfremdung vom eigenen Körper, von der zombiehaften Existenz einer Frau, die sich vor der Geburt ihres Kindes als Intellektuelle verstehen durfte und sich danach fühlt, als könne sie nicht mehr bis drei zählen.

Die kleinen Ausbruchsversuche werden unversehens zu Katastrophen. Etwa der Spaziergang durch den Park mit einer Freundin, stolz und hoffnungsfroh begonnen, übermütig im Café abgerundet, wo sich das schreiende Kind nicht mehr in den Bauchsack verfrachten lässt und die Mutter schließlich, vom prasselnden Regen gejagt, gedemütigt in ein Taxi flüchtet. Die Freundin winkt ihr, elegant wie immer, hinterher. Das Versprechen, sich bald wiederzusehen, wird sie vermutlich nicht einlösen.

Historische und soziologische Aspekte blendet die Autorin aus. Sie vertraut der Überzeugungskraft des Subjektiven. Dabei sind die zeithistorischen Indizes aussagekräftig. Etwa, wenn die Schriftstellerin, die sich in der Schwangerschaft vorgenommen hatte, als Mutter auf keinen Fall ihr bisheriges Leben aufzugeben, zwei Wochen nach der im 8. Monat notwendig gewordenen Kaiserschnitt-Entbindung den lange geplanten Konzertbesuch wahrnehmen will und sich von Telefonzelle zu Telefonzelle hangelt, um bei der Schwiegermutter nachzufragen, wie es dem Neugeborenen geht.

In Zeiten des Smartphones gibt es diesen Parcours nicht mehr. Allerdings wird auch die ungeteilte Aufmerksamkeit seltener, nach der Kinder gieren. Als die Koliken nach drei Monaten tatsächlich vorbei sind und die Tochter den „ersten Existenzschmerz“ aus „eigener Kraft überwunden“ hat, dämmert der Erzählerin, worin Mutterschaft besteht: „Es braucht nicht mehr, als da zu sein.“

Dieses Dasein aber, die Verbundenheit mit einer anderen Existenz, die den Egoismus einschränkt und die Selbstverwirklichung begrenzt, ist in den hoch individualisierten Gesellschaften der Spätmoderne eine Verhaltensform, die nirgendwo eingeübt wird.

Die Rückgabementalität des Konsumkapitalismus

Im Gegenteil. Bis eine Frau Mutter wird, bringt man ihr bei, sie müsse sich selbst behaupten und dürfe sich an keiner Stelle nach dem Willen eines anderen richten, nicht einmal, wenn es um die Liebe geht. Das Gefühl, als Mutter aus allen Zusammenhängen herauszufallen, hat auch damit zu tun.

Die Erfahrung, in eine völlig andere Existenzform geraten zu sein, lässt sich mit Politik höchstens abfedern. Dass ein Kind keinem der Wünsche, die man bisher hatte, entsprechen kann, beschreibt Rachel Cusk in aller Deutlichkeit.

Mit der Rückgabementalität des fortgeschrittenen Konsumkapitalismus dürfte das Enttäuschungs- und Konfliktpotential in den achtzehn Jahren seit Erscheinen der Originalausgabe noch größer geworden sein. In Gesellschaften, in denen Autonomie und Freiheit als oberste Werte gelten, lässt sich Mutterschaft am ehesten exzentrisch denken.

Etwa wenn die Amerikanerin Maggie Nelson in „Die Argonauten“ von ihrer queeren Familie erzählt oder die kanadische Schriftstellerin Sheila Heti in „Mutterschaft“ erörtert, warum sie keine Kinder will, sich aber verpflichtet fühlt, welche wollen zu müssen. Thematisch, aber auch in der Form des autobiografischen Essays ist Rachel Cusks „Lebenswerk“ ein Vorbild inständigen Nachdenkens.

Meike Feßmann

Zur Startseite