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Entschlossen. Von Wegen Lisbeth machten anfangs Punkrock. Als sie besser spielen konnten, wurden ihre Songs poppiger.

©  Columbia

Von Wegen Lisbeth: Auf den Gleisen der U6

Beiläufigkeit und harte Ansagen: Die Berliner Indie-Popband Von Wegen Lisbeth ist gerade mit ihrem ersten Album „Grande“ auf Tournee. Ein Treffen.

Die Anekdote ist zu gut, um sie aufzusparen, deshalb muss sie gleich am Anfang erzählt werden. Also: An einem lauen Sommerabend sitzt Matthias Rohde mit seinen Jungs in seiner Neuköllner Stammkneipe, als eine Bekannte dazustößt.

Sie hat ein paar Leute im Schlepptau, die Rohde und seine Freunde nicht kennen. Leute, mit denen sie – das wird schnell klar – nicht viel anzufangen wissen. Das bis dahin heitere Beisammensein gerät ins Stocken, die Gespräche ziehen sich, jeder starrt zwischendurch betreten in sein Glas. Irgendwann löst sich die Runde auf, zur Erleichterung aller.

„Ich hatte auf die Leute einfach keinen Bock“, sagt Matthias Rohde heute. Es ist so eine Geschichte, wie sie sich allabendlich wahrscheinlich dutzendfach in irgendwelchen Kneipen oder Bars in Berlin abspielt. Und schon am nächsten Tag verblasst das Geschehen. Aber im Fall von Rohde ist das anders. Er ist Sänger der Indie-Pop-Band Von Wegen Lisbeth, er schreibt den Großteil der Texte – und hat die Geschichte jenes denkwürdigen Neuköllner Abends in dem bitterbösen Stück „Meine Kneipe“ verewigt.

"Bring nie wieder deine neuen Freunde in meine Kneipe"

Der Titel ist eine Abrechnung, eine knallharte Ansage an jene Bekannte. Matthias Rohde rät ihr darin, sich die Haare zu schneiden oder Ballett zu tanzen, nach Brooklyn zu ziehen oder nach Fürstenwalde-Spree. Im Refrain schließlich heißt es: „Ist mir egal, mit wem du chillst/ Schlaf auf jedem Klo / Mit jedem Typen, den du willst/ Mach mal dein Ding/ Mit Herz und Blut/ (...) Aber bring nie wieder/ Deine neuen Freunde/ In meine Kneipe.“

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Es ist ein heißer Sommertag und Matthias Rohde sitzt mit Bassist Julian Hölting in Neukölln vor einer Bäckerei, die sich Back-Shop nennt. Das hier ist der Kiez, in dem sich Rohde und seine Jungs bewegen. Nachts verwandelt sich die Gegend in einen Moloch voller Schlafloser, Gestrandeter und Glückssucher, die an den Theken der Kellertreffs stehen. Tagsüber hingegen verspürt man hier eine betuliche Geschäftigkeit und Idylle. Zwischen diesen beiden Welten bewegen sich auch die Lieder von Von Wegen Lisbeth. Sie erzählen süffisant und beiläufig von fotografiertem Essen auf Facebook („Sushi“), von einer toten Taube auf den Gleisen der U6 und unerwiderten Gefühlen („Bitch“) oder von epischen Momenten unter der Diskokugel („Wenn du tanzt“).

Im Video zu „Meine Kneipe“ offenbart die Band ein Faible für adrette Retro-Anzüge, die selbst Kurt Krömer nicht mit mehr Würde tragen könnte. An diesem Vormittag jedoch trägt Matthias Rohde ein bunt gestreiftes Hemd, dazu eine beige Hose. Julian Hölting ist in zeitlosem Schwarz erschienen, später muss er noch zur Fahrschule und sich für den Lastwagen-Führerschein anmelden. In Zukunft wollen sie einen größeren Tourbus fahren, sagen die Musiker. Ohnehin sind sie derzeit viel außerhalb von Berlin unterwegs. Erst vor Kurzem sind sie im Vorprogramm von AnnenMayKantereit und Element of Crime aufgetreten, nun touren sie selbst mit ihrem ersten Album „Grande“.

Einige ihrer Instrumente stammen aus dem Sperrmüll der Deutschen Oper

Dabei ist es für Rohde und Hölting gefühlt noch nicht so lange her, dass sie in ihrem Proberaum in Lankwitz gestanden und an ihren ersten Stücken probiert haben. Kennengelernt hatten sich die fünf Bandmitglieder an der Schule in Steglitz und durch gemeinsame Freunde. Anfangs nannten sie sich Harry Hurtig und spielten Punk, „weil wir nichts anderes konnten“, sagt Rohde. Später stieg dann ihr musikalischer Anspruch und auch das Geschick an den Instrumenten, die sie teilweise aus dem Sperrmüll dem Deutschen Oper gezogen haben. Die alten Glockenspiele, eine Marimba und die halb verrostete Steeldrum kommen heute noch zum Einsatz. Ebenso wie das kleine Kinder- Keyboard, das im Video zu „Meine Kneipe“ zu sehen ist.

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Von Wegen Lisbeth stilisieren sich in ihren Liedern als antriebslose Slacker, die das Geschehen um sich herum mit einer Mischung aus ironischem Selbstschutz und Verachtung wahrnehmen. Dabei zitieren sie die Helden ihrer Kindheit und Teenagerzeit. In „Drüben bei Penny“ heißt es zum Beispiel in Anspielung auf einen Hit von Jay-Z: „Ich habe 99 Probleme und du bist jedes davon.“ In „Frei Sauf“ textet Rohde frei nach Geier Sturzflug „Jetzt wird wieder in die Lobby gespuckt“. Und auch vor Kollegenschelte schrecken die Mittzwanziger nicht zurück. In „Wenn du tanzt“ heißt es: „Linkin Park, Timmi Bendzko, Robin Schulz, Revolverheld: alles Kunst, wenn du tanzt.“

Tim Bendzko, Robin Schulz, Revolverheld: Für Von Wegen Lisbeth sind das die Musiker, von denen es sich abzugrenzen gilt. Weil sie zu berechnend klingen, zu glatt. Und darum speist sich die Ernsthaftigkeit, mit der die Band ihre Lieder schreibt, nicht aus bedeutungsschweren Kafka-Zitaten und zur Schau gestellter Melancholie. Ihre Stücke sind stets von Gelassenheit und Beiläufigkeit geprägt. Dabei sind sie nicht weniger eingängig und radiotauglich, wenn das überhaupt eine Kategorie ist, in der Pop-Musik beurteilt werden muss.

Ihren Bandnamen fanden Von Wegen Lisbeth per Zettelspiel

Julian Hölting formuliert den Anspruch der Band so: „Wir wollen auf alles scheißen und trotzdem geile Mucke machen.“ In diesem Moment fällt ihm Rohde ins Wort und erzählt von einem Journalisten, der im Anschluss an ein Gespräch per Mail wissen wollte, ob die Jungs das Wort Mucke mit „ck“ oder „gg“ schreiben. Was für eine Frage. Von Wegen Lisbeth kommen aus Berlin und nicht aus Hamburg – also „Mucke“ bitte schön! Daraufhin schickte der Journalist einen Wikipedia-Link und die Anmerkung, dass man das nicht so einfach sagen könne. Hölting und Rohde waren fassungslos.

Dem Unwesentlichen Bedeutung beimessen, das vermeintlich Wesentliche für bedeutungslos erklären: Diese Perspektive ist charakteristisch für Von Wegen Lisbeth. Als die Musiker sich nach dem Abitur und einigen Studiensemestern im Ausland eine Weile nicht gesehen hatten, sollte ein neuer Bandname her. Man entschied sich für einen Knickzettel: ein Blatt, auf das jeder ein Wort schreiben durfte, es dann faltete und weiterschob. Am Ende kam Von Wegen Lisbeth dabei heraus. Ob die Geschichte stimmt? Eigentlich egal. Sie passt jedenfalls zu der Gruppe.

Die Bekannte, von der in „Meine Kneipe“ die Rede ist, hat sich die Zeilen übrigens zu Herzen genommen – ohne Matthias Rohde gram zu sein. Die Freundschaft, sagt der Sänger, habe unter dem Lied nicht gelitten. Der Erfolg der Band auch nicht.

Konzert: im Lido am 17.9. um 20 Uhr (ausverkauft). Das Album „Grande“ ist bei Columbia erschienen.

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