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Heimatliche Höhle. Das Delphi Kino ist bis heute die Hauptspielstätte des Forums. Hier fanden auch die berühmten Mitternachtsvorstellungen statt.

© Thilo Rückeis

Vor 50 Jahren startete das Forum: Die unbändige Energie des Widerstands

Das Forum wird 50 Jahre alt. Unsere Autorin war mehr als die Hälfte davon dabei. Hier erinnert sie sich an ihre Reisen in ferne Welten und wüste Debatten.

50 Jahre Forum, das ist vor allem das Delphi. Dies hier wird ein persönlicher Text, es geht nicht anders. 35 von diesen 50 Jahren war ich häufig dabei, sah die Überlängen-Filme, mochte die Luftkämpfe im Hongkong-Mitternachtskino, entdeckte die mutigen Werke des chinesischen Underground, die Defa-Dokumentarfilmerinnen, die US-Avantgardisten, die Feministinnen, die Videokunst.

Mit Juliette Binoche stromerte ich in den „Liebenden von Pont-Neuf“ nachts durch den Louvre; litt mit Aki Kaurismäkis „Mädchen aus der Streichholzfabrik“ an sozialer Kälte, entdeckte die Filme von Angela Schanelec, Helke Sander, Helke Misselwitz.

Ich erinnere mich an wüste Debatten, leise Schwarz-Weiß-Werke, Politpamphlete, Reisen in ferne Welten. Hier sah ich indische Autorenfilme und knallbuntes Bollywoodkino. Dokumentarfilme von Andres Veiel und Jürgen Böttcher.

Überhaupt das Dokumentarische: Volker Koepps Langzeitbeobachtung „Mädchen in Wittstock“, über Renate, Edith und Stupsi aus dem VEB Obertrikotagen „Ernst Lück“, war seinerzeit Kult. Meine Kollegen aus der „taz“, wo ich in den Achtzigern arbeitete, verguckten sich alle in Stupsi.

Andere schauten Barbara und Winfried Junges „Kindern von Golzow“ beim Älterwerden zu. Mehr als 40 Stunden und 45 Jahre Leben kamen am Ende zusammen.

1990 stand ein gewisser Michael Moore auf der Bühne. Den kannte damals noch keiner. In „Roger & Me“ turnte er vor, wie man mächtigen Konzernchefs die Stirn bietet. Es wurde ein lustiger Abend.

Vor allem saß hier Ulrich Gregor, der das Forum mit seiner Frau Erika Gregor bis 2001 leitete. Nach den Vorstellungen wurde der berühmte Delphi-Tisch auf die Bühne getragen, quadratisch, schwarz, Resopal. Man musste die Ohren spitzen, wenn Gregor dem Regisseur oder der Regisseurin seine immergleichen, präzisen Fragen stellte.

Gregor war leise, weise – und unbestechlich. An dem Tisch schwieg Kaurismäki sich aus, einmal betrank er sich auf offener Bühne. Und ein anderes Mal, bei Rosa von Praunheim, fing ein Zuschauer zu singen an, nachts um zwei Uhr. 2005 wurde der Tisch abgeschafft, auch im Delphi werden die Talks seitdem im Stehen geführt.

Angefangen hatte es mit dem Forum 1971, nach dem 1970er Eklat wegen Michael Verhoevens Vietnamfilm „Ok“. Eine neue Sektion wurde installiert, eine Plattform für die „schwierigen, gefährlichen Filme“, wie die Gregors sich im Roundtable-Gespräch erinnern, nachzulesen in der aktuellen Geburtstags-Publikation.

Schon vorher hatten sie im Arsenal in Schöneberg zeitgleich zum Festival ein Parallelprogramm präsentiert. In dem Gespräch erzählen sie auch, wie sie an ihre Filme kamen. Zum Beispiel meldete sich der Leiter des Goethe-Instituts von Athen und warb für einen jungen griechischen Regisseur namens Theo Angeloupolous. Der schmuggelte seinen Erstlingsfilm dann aus dem Griechenland der Generäle nach Berlin.

Die Gregors zeigten Tarkowskys „Stalker“, Godard, Iosseliani, die Tavianis – heute mag man kaum glauben, dass deren Werke es oft nicht in den Wettbewerb schafften. Dass Kaurismäki sogar exklusiv im Forum lief, lag daran, dass Festivalleiter Moritz de Hadeln einen seiner Filme für den Wettbewerb abgelehnt hatte. Worauf Kaurismäki viele Jahre das Bären-Rennen boykottierte.

Was früher radikal war, ist heute Mainstream

Wenn man es wagte, das zu bedauern, schimpfte Erika Gregor einen gerne mal aus. Schließlich speiste sich die Stärke des Forums aus der Energie des Widerstands, aus dem Geist von 68. Frieden schlossen die Kontrahenten erst, als Dieter Kosslick Berlinale-Chef wurde und Christoph Terhechte 2002 das Forum übernahm, unter dem Dach des Arsenals.

Terhechte hatte nach seiner Zeit als Journalist (bei der „taz“ und beim „Tip“) zunächst die Redaktion der ihrerseits legendären Forums-Blätter übernommen. Die ausführlichen Info-Zettel mit Interviews und Hintergrundmaterial sind bis heute eine Fundgrube für Cineasten.

Terhechte leitete das Forum bis 2018. Nach einjähriger Interimsregie der Arsenal-Chefinnen Milena Gregor, Birgit Kohler und Stefanie Schulte Strathaus firmiert nun Cristina Nord als neue Chefin. Schöne Kontinuität, auch sie war mal „taz“-Redakteurin.

Im Roundtable-Gespräch sagt sie: „Wir sind jetzt an einem Punkt, an dem das Forum seine Erfolgsgeschichte wieder überprüfen muss, denn der Erfolg kann einem ein bisschen davongaloppieren.“

Was ist heute noch gefährlich im Kino, was randständig, was radikal? Kritik werde heute sofort eingespeist, Minoritäres rasch ein Teil des Mainstreams, so Nord. Zum Beispiel Überlängen-Filme: Sprengen sie in Streaming- und Serien-Zeiten noch irgendeinen Rahmen?

Die erste Erinnerung ist die heftigste

Der längste Forums-Beitrag, „The Journey“ von Peter Watkins, dauerte übrigens 14 ½ Stunden, der kürzeste, „Signature“ von Marcel Broodthaers, eine Sekunde. Seit 2006 werden Werke an der Grenze zwischen Kino und Kunst im Forum Expanded gezeigt.

Meine früheste Forums-Erinnerung ist auch die heftigste: die an Abraham Bomba, den Friseur von Treblinka in „Shoah“. Daran, wie Claude Lanzmann die Kamera auf sein Gesicht hält, als der Friseur nicht weiterreden kann, nicht weiter erzählen kann von den Menschen, denen er die Haare schneiden musste, unmittelbar bevor sie vergast wurden.

Das war 1986, Lanzmann fragte unerbittlich nach und bestand darauf, dass der Überlebende Zeugnis abgibt, dass sich Worte finden für das Ungeheuerliche. „Shoah“ hat die Wahrnehmung des Holocaust, die sogenannte Vergangenheitsbewältigung, ein für alle Mal verändert.

1989 folgte Marcel Ophüls mit seinem Klaus-Barbie-Film „Hotel Terminus“. Auch er ein Meister der unbequemen Nachfrage, in der heiteren Variante. Der Moralphilosoph und der Komödiant mit der Kamera: Allein für die Berlin-Besuche dieser beiden Dokumentarfilmer hat die Erfindung des Forums sich gelohnt.

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