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Kultur: VOR - All that Jazz

Was ist geblieben aus der Zeit, als der Mensch regelmäßig zum Mond flog, der elektrische Eierkocher in Serienproduktion ging und John McLaughlin die schnellsten und schwierigsten elektrischen Gitarren-Riffs zusammenfrickelte? Ein schwarzes Loch, meint Jazz-Großinquisitor und Trompeten-Genie Wynton Marsalis.

Was ist geblieben aus der Zeit, als der Mensch regelmäßig zum Mond flog, der elektrische Eierkocher in Serienproduktion ging und John McLaughlin die schnellsten und schwierigsten elektrischen Gitarren-Riffs zusammenfrickelte? Ein schwarzes Loch, meint Jazz-Großinquisitor und Trompeten-Genie Wynton Marsalis.Alle Schlechtigkeit in der Jazz-Welt gehe vom Jazz-Rock aus.Ihr habt in eurem Hochleistungs-Wahn die einst blühenden, swingenden Landschaften unter einem Berg seelenloser Licks und Elektro-Müll begraben, flucht er.Aber ist es wirklich so einfach? Die Zeiten haben sich geändert.Und mit ihnen auch die großen Protagonisten dieses Stils.Zum Beispiel Gitarrist Lee Ritenour: der einstige Held des Likör-Jazz verabschiedet sich in drall swingenden Linien von der Höher-Schneller-Weiter-Mentalität der siebziger Jahre und läßt sein weltoffen swingendes Spiel von Wes Montgomery und Bob Marley inspirieren (Haus der Kulturen der Welt, So., 1.11., 20 Uhr).Und auch Klaus Doldinger, der einst sein hallverliebt röhrendes Saxophon in wogende Synthi-Klangflächen einbettete, überrascht mit einem brillanten Spagat zwischen federndem post-Bop und kantigen Fusion-Grooves.Eine bessere Passport-Band hat der Film- und Fernsehkomponist noch nicht zum musikalischen Tatort (Quasimodo, Fr.30.10., 22 Uhr) geführt.Den kehligen, heiseren Schrei des Rhythm & Blues trägt David Sanborn melodienselig und engelhochjauzend ins überblasene Register des Jazz-Rock-Altsaxophons.Um nicht selbst Opfer seiner unsterblichen Licks zu werden, stürzte sich Sanborn Anfang der neunziger Jahre in die Experimente der New Yorker Downtown-Avantgarde.Gereinigt von den Qualen der Stagnation kehrt der Meister im Quasimodo zum einfachen, urban knisternden Funk-Feeling zurück (Sa.31.10.22 Uhr).Vielleicht kommen die Antworten für den Jazz-Rock von morgen von Menschen wie Nguyn Lä.Der Franzose vietnamesischer Herkunft lädt seine spacig-verzerrten post-Hendrix-Linien mit asiatischem Zeitbewußtsein auf und spickt sie mit den multistilistischen Finessen des gallischen Jazz.Und selbst dort, wo er sein Herz für die Musik des Mahgreb entdeckt - die ihm in seinem Pariser Viertel an jeder Straßenecke entgegen klingt - gleitet Lä nicht in Ethno-Romantik ab, sondern feilt an peitschend-intensiven Melodien und Grooves (Pfefferberg, Sa., 31.10.22 Uhr).Die Aufnahmeprüfung für die Jazzklasse der Berliner Hochschule der Künste würde John Lurie garantiert nicht packen.Der zwischen No Wave, Ethno-Rock und swingendem Dandytum pendelnde Saxophonist gehört zu den genialen Dilettanten seines Instruments.Im Tränenpalast (heute, 20 Uhr) läßt sich nachprüfen, woran er sich besser festhält: an seiner virtuos groovenden Begleit-Band oder der schlaksigen Was-kostet-die-Welt-Attitüde."Ihr könnt machen, was ihr wollt.Aber eines muß es", ruft Vibraphonist Michael Naura "Swingen muß es."

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