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Kultur: Vor dem Triumph droht der Ruin

Eine Schande – nicht nur für Berlin: Das Pergamonmuseum ist in katastrophalem Zustand

Wolf-Dieter Heilmeyer, Direktor der Berliner Antikensammlung, war auf dem Weg zur Arbeit doch etwas überrascht: „Pergamonmuseum muss geschlossen werden“, las er dieser Tage morgens als Schlagzeile in der U-Bahn. Auch wenn es so weit noch nicht ist – zu beschönigen gibt es trotzdem nichts. Die Direktoren der drei im Pergamonmuseum untergebrachten Institutionen – Antikensammlung, Museum für Islamische Kunst und Vorderasiatisches Museum – haben jedenfalls die bislang gewahrte gute Miene zum bösen Spiel aufgegeben. Denn es kriselt nicht mehr nur hinter den Kulissen. Wenn schon die Fassade des berühmtesten Museums von Berlin zu bröckeln beginnt, ist Gefahr im Verzug.

Tatsächlich droht ein Teil des Gesimses in den Museumsvorhof zu stürzen. Geschlossen wird das Haus dennoch nicht. Die „Notmaßnahmen zur Erhaltung von Funktionsfähigkeit und Verkehrssicherheit“ gehen weiter, beeilt sich die Pressestelle der Stiftung Preußischer Kulturbesitz mitzuteilen.

Dabei währt der desolate Zustand der zwischen 1907 und 1930 von Alfred Messel und Ludwig Hoffmann erbauten Dreiflügelanlage schon seit Jahrzehnten. Dietrich Wildung, Direktor des künftig ebenfalls auf der Museumsinsel residierenden Ägyptischen Museums und Spiritus rector der Planungen, beklagte erst jüngst in einem Vortrag über die die Museen verbindende „Archäologische Promenade“ die dramatische Situation: Der ankommende Besucher müsse angesichts der Einschusslöcher den Eindruck gewinnen, der Zweite Weltkrieg sei gerade erst vorüber. Was am Kulturforum im Westteil der Stadt mit einer Plexiglasscheibe unter dem schönen Titel „Wunden der Erinnerung“ besonders ausgestellt wird, ist am Pergamonmuseum Totalzustand.

Ganz zu schweigen von der Situation im Inneren: Hat der Ankömmling die am Kupfergraben feilgebotenen russischen Fellmützen passiert, quetscht er sich zusammen mit Schulklassen und Reisegesellschaften durch eine einzige Glastür. Als ob es die Spannung noch einmal zu steigern gelte, muss er nun hinab zur schmalen Garderobe, dann die in den Weg gestellten Bücherstände umrunden und schließlich durch eine weitere winzige Pforte hindurch – um die Offenbarung des Pergamonaltars zu erleben.

Schlusslicht der Planung

Eine groteske Dramaturgie, die im krassen Gegensatz steht zu den großartigen Plänen, die der Kölner Architekt Oswald Mathias Ungers für den Umbau des Museums vor zwei Jahren vorgelegt hat: ein gläserner Riegel, der den Vorhof nach vorne zum Kupfergraben hin abschließt und eine Passage durch das gesamte Gebäude ermöglicht. Mit diesem Entwurf hatte der „Masterplan“ für die Berliner Museumsinsel seinen Abschluss gefunden; nur bildet er in der Tat das Schlusslicht der gesamten Kampagne. Immer weiter wird seitdem das Datum für die Fertigstellung der 325 Millionen Euro teuren Sanierung nach hinten verschoben. Auf der Jahrespressekonferenz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz Anfang vergangener Woche dementierte Präsident Klaus-Dieter Lehmann die mittlerweile kursierende Jahreszahl einer Verzögerung bis 2015 jedenfalls nicht. So ist Kulturstaatsministerin Christina Weiss’ Dementi im Tagesspiegel-Interview (vom 2.1.), dass es keine Zeitprobleme bei der Sanierung der Museumsinsel gebe, offenbar Makulatur.

Eine deprimierende Aussicht: Claus-Peter Haase, Direktor des Museums für Islamische Kunst, hofft nach wie vor auf einen „Überraschungscoup durch den Hauptstadteffekt“, der allerdings auf den Bundesfinanzminister, bei dem seit vergangenem Jahr die komplette Finanzierung liegt, nicht mehr zu wirken scheint. Auch der Umstand, dass das Pergamonmuseum Flaggschiff des Weltkulturerbes Museumsinsel ist und mit 800000 Besuchern jährlich eine Hauptattraktion des Kulturtourismus in Deutschland, beeindruckt die Politik offenbar kaum. Ganz zu schweigen davon, dass man sich gerne mit dem British Museum in London und dem Louvre in Paris vergleicht, die seit ihren Sanierungen Berlin weit abgeschlagen haben.

Die Direktoren reagieren mit Bitterkeit, denn es gibt nicht nur die für jeden Besucher sichtbaren Mängel in der Infrastruktur, sondern auch katastrophale Bedingungen für die Schauobjekte. So herrschen im Sommer tropische Temperaturen, im Winter schneit es schon mal herein. Zwar wurden vor zwei Jahren zumindest die Ausstellungsräume des Islamischen Museums im Seitenflügel erneuert, doch wegen weiterhin fehlender Klimaanlagen können die Teppiche und andere empfindliche Stücke immer nur kurz präsentiert werden. Gerade darin besteht die Crux des Riesenkastens: Er kann mit seinen vor 70 Jahren eingebauten Großarchitekturen Pergamonaltar, Ischtar-Tor, Mschatta-Fassade und Markttor von Milet nur als Ganzes saniert werden. Bis dahin müssen sich die Museumsleute mit dem Stand von 1930, bestenfalls 1960 zufrieden geben.

Geradezu dramatisch ist die Situation bei den Leitungsrohren. So ergoss sich zuletzt im Kellergeschoss die Besuchertoilette in die Mumienschränke. Und Joachim Marzahn vom Vorderasiatischen Museum hat noch gut in Erinnerung, wie ihm eines Morgens das Wasser aus dem Tontafel-Depot entgegenschwappte, da ein Heizungsrohr gebrochen war. Es fehlte nur wenig, um in Sekunden zu zerstören, was Jahrtausende im Wüstensand Mesopotamiens überdauert hatte.

Nur das Gas ist sicher

Ähnlich heikel sieht es bei den elektrischen Leitungen aus, da jegliche Pläne fehlen. Über hunderte Meter machen sich jedes Mal die Elektriker auf die Suche nach Strom, inzwischen immerhin mit Walkie-Talkies ausgerüstet. Nur Gas sei im Pergamonmuseum sicher, lautet ein Scherz im Hause, das gibt es nämlich nicht mehr.

Freilich sieht es so aus, als ob sich im Museum was tut: Allenthalben sind die Großarchitekturen eingerüstet; eifrig wird ihr Zustand erfasst, fotografiert, fixiert. Die Archäologen und Restauratoren präparieren sich für den Moment, wenn tatsächlich mit der Sanierung begonnen wird.

Dennoch beschleicht selbst die jüngeren Direktoren mittlerweile Zweifel, ob sie das noch im Amt erleben. Beate Salje, Chefin des Vorderasiatischen Museums und „vierte Generation, die seit dem Krieg von Fertigstellung träumt“, appelliert an die Verantwortung der Politik: auf dass auch das Pergamonmuseum im 21. Jahrhundert ankommen möge.

Falls es nicht doch erst einmal geschlossen werden muss.

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