zum Hauptinhalt
Vorleger. Auf dem roten Teppich überschlagen sich die Nominierten – wie Bret McKenzie, letztes Jahr in Hollywood. Foto: Reuters

© REUTERS

Vor den Oscars: Über sieben Brücken musst du gehn

Am Sonntag schaut die Welt wieder auf Hollywood. Doch rote Teppiche liegen inzwischen überall – ein Auslaufmodell.

Nach der Berlinale ist vor der Oscar-Verleihung. Während in Berlin die roten Teppiche im örtlichen Wertstoffhof geschreddert und die Leihkleider den Designern zurückgesandt werden, sitzt man aktuell in Los Angeles beim Slimming, Waxing, Fitting und all den anderen Staunen generierenden Maßnahmen, um am Sonntag auf der Auslegeware vor dem Dolby Theatre bella figura zu zeigen. Dolby ist bekanntlich für guten Ton zuständig und ersetzt den insolventen Exsponsor Kodak als Namensgeber des Oscar-Theaters. Dessen Kameras hatten den digitalen Zeitgeist zu spät bedient. Und doch wird es am umkämpftesten Teppich der globalisierten Glamourindustrie selbstredend nicht an Kameras mangeln, die Markenware an Luxuskörpern abfilmen und dentalkosmetisch optimierten Mündern Artigkeiten entlocken.

Vom Maßstab zum Missverständnis ist es ein kurzer Weg. Der gute alte Oscar – in diesem Jahr zum 85. Mal verliehen – ist weniger Vorbild als Analogielieferant für so ziemlich jede Preisverleihung vom „Hessen-Oscar“ über den „Duft-Oscar“ bis zum „TV-Oscar“. In Marl wird seit knapp fünfzig Jahren der renommierte Grimmepreis vergeben. Als renommiert werden Preise und Menschen bezeichnet, von denen zu befürchten steht, dass keiner sie kennt. Der Oscar ist nicht renommiert, er ist der Oscar. In Marl haben jahrzehntelang viele kundige Menschen zahllose Programme gesichtet und in etlichen Kategorien Menschen und Filme unabhängig von Teppichtauglichkeit nominiert und prämiert. Und doch lag er auch irgendwann einmal da, klein, schlecht verlegt und knapp verkordelt: der rote Teppich vor der Stadthalle, an dem ein paar regionale Knipser lungerten.

Weil sich Missverständnisse so gut professionalisieren lassen, hat man bei Grimme ebenso dazugelernt wie bei allen Veranstaltungen, die sich im ersten Schritt zum Event und im zweiten zur Marke und im dritten zur „Bunte“-Tauglichkeit adeln möchten. Egal ob man fortan das Kind mit dem Glamourbad ausschüttet oder von vorneherein gar kein Kind im Schaum geplanscht hat.

Die gemeine Glamourmanufaktur hat keine Verantwortung für und oftmals keine Kenntnis vom Geschehen am Ende des roten Teppichs. Sie vermischt die hochwertige Zutaten mit freiwillig erschienenem oder bezahlt herangekarrtem Jubelprekariat und brüllenden Fotografen zur gelernten Eventfolklore. Im Leben diesseits der Sponsorenwand folgen Floskeln auf dem Fuße, ob Blitzlichtgewitter, begeisterte Fans oder die unvermeidliche Alliteration von Stars und Sternchen.

Der so erzeugte Glamour dient als Schmiermittel für unterschiedliche Interessen. Auto-, Kleider- und Schmuckhersteller wollen ihren Absatz und Schauspieler ihre Karriere ankurbeln. Manche Sponsoren und etliche Veranstalter sind einfach Groupies mit Geld. Filmverleiher wie Festivalmacher brauchen den Hype, um jene Säle zu füllen, vor denen keine Teppiche mehr liegen.

Die Erschaffung von Prominenz

Längst aber ist der rote Teppich selbst der Event geworden. Er führt die Prominenten nicht vor, er erschafft sie. Wessen Bild unverkäuflich sein wird, der soll machen, dass er hinter den Objekten des Interesses des Boulevards durchhuscht. Eine schlechte Schauspielerin in einem tollen Kleid ist besser als umgekehrt. Wer nicht posieren kann und will, der soll zu Hause bleiben. Was nicht wenige gern täten. Aber dann ist da die Angst. Die Angst, nicht mehr im Kino stattzufinden, wenn man nicht auf dem Weg ins Kino, von sogenannten Promischubsen platziert, halbnackt im Schneeregen posiert. Wenn man keine gute Miene findet, weil einem dies Spiel nicht gefällt.

Der Boulevard mitsamt seinen simplen Regeln hat gewonnen. Den bunten Seiten allerorten ist es gleich, ob eine neue Schwangerschaft bei Gucci oder Goethe-Institut sichtbar, eine neue Begleitung im Bierzelt oder auf der Berlinale hergezeigt wird. Prominente als Kreuzung aus Markenbotschafter und Markenrobotern wissen: Wo ein Teppich ist, ist ein Weg in die Blätter, die die Welt bedeuten.

Etliche Veranstaltungen sind ohnehin wenig mehr als die Verlängerung des Teppichs ins Innere des zu eröffnenden Shops oder der am Ende eines 250 Meter langen Teppiches zu absolvierenden „Bambi“-Verleihung. Und doch werden wir am roten Teppich vielleicht nicht nur Zeuge der Mutation von Stars zu Promis, von Schauspielern zu Kleiderstangen, von der Schönheit zum Ersatzteillager, sondern auch Zeuge eines möglichen Irrtums. Jenes Glaubens, dass der rote Teppich hierzulande auch als Marktplatz taugt, auf dem sich mehr als bunte Bilder absetzen lassen.

Wenn oftmals unterbeschäftigte, fast immer aber unterbezahlte Mimen im Rahmen der Celebrity-Dressing-Abteilungen der Modelabels kostbare Kleider tragen, werden die dann in, sagen wir, Schwerin für den Abiball gekauft? Wenn eine als Model/D-Jane/Moderatorin apostrophierte junge Frau aus einem Rolls-Royce herauswinkt, bestellt sich dann ernsthaft irgendwo irgendwer diesen Wagen? Wenn man auf allen zwischen der Berlinale-Eröffnung und der Berlinale-Abschlussveranstaltung aufgeklebten Teppichen fotografiert wurde, ist dann das Auftragsbuch voll? Oder muss man sich damit begnügen, irgendwie den allgemeinen Bekanntheitsgrad gesteigert zu haben?

Wäre der rote Teppich ein Jahrzehnt, so wäre er die achtziger Jahre. Man zeigt, was man hat, und das möglichst allen, und was man nicht hat, kauft man sich. Neid und Gier befeuern Konsum. Das aber ist lange her. Wo heute Carsharing über Carsponsoring, Collaborative Consumption über Shopping-Exzesse, Kino aus Kasachastan über das aus Hollywood zu triumphieren in der Lage ist, da lässt sich kein roter Teppich des Schweigens über die Option der Auslegeware als Auslaufmodell legen.

Von Kodak zu Dolby – auch die guten Berlinale-Events waren nicht dem schönen Bild, sondern dem guten Ton verpflichtet: diskret, sorgfältig, persönlich. Und wer wirklich herzlichen Applaus hören wollte, musste sich in die Filme der Retrospektive setzen. Nach Ernst Lubitschs „To be or not to be“ wurde minutenlang geklatscht. Aus Freude am Kino.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false