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Kultur: Vor uns die Sintflut

Multikulti, meisterhaft: das Debüt von The Good, The Bad & The Queen

Die Melodien klingen süßlich, man darf ihnen nicht trauen. Aus flirrenden Gitarren und stoisch scheppernden Honkytonk-Klavierakkorden schrauben sich Chöre empor, himmlische „Uaah-Aaah- Uaaah“-Gesänge, fast so majestätisch wie von den Beach Boys in ihrer „Pet Sounds“-Phase. Finger schrappen über die Saiten einer Akustikgitarre, Streicher schwelgen. Viel Hall, große Gefühle. Elegischeren Pop hat es lange nicht gegeben. Ein Jubeln, Summen und Seufzen liegt über dieser Platte, als sollte hier das pure Glück beschworen werden.

Zwölf Titel versammelt das heute erschienene, schlicht „The Good, The Bad & The Queen“ (Parlophone/EMI) genannte Debütalbum einer Formation, die Sänger, Pianist und Songwriter Damon Albarn ins Leben gerufen hat. Es sind allesamt Balladen und Midtemponummern. Die energiegeladenen Drei-Minuten- Hymnen in der Tradition der Beatles und Kinks, mit denen er vor fünfzehn Jahren mit seiner Band Blur berühmt wurde, hat Albarn hinter sich gelassen. Seine Kompositionen, das hatte sich schon auf dem Blur-Album „Think Tank“ (2003) angekündigt, sind ausgefeilter und experimenteller geworden, sie sprengen das übliche Strophe-Refrain-Strophe-Songschema und streben ins Soundtrackhafte.

Doch von der putzigen Verspieltheit und berauschenden Eingängigkeit dieser Lieder darf man sich nicht täuschen lassen. Sie haben Widerhaken. Die Welt, die Albarn mit gewohnt schwebend-entrückter Stimme besingt, ist böse und dunkel. „Kingdom Of Doom“, Königreich des Unheils, heißt die erste Singleauskopplung, in der Albarn zu einer wimmernden Hammondorgel und gurgelnden Bassläufen apokalyptische Bilder aufruft: „Drink all day / Coz the country is at war / I can’t be anymore than I say / In the flood we all get washed away.“ Das Land ist im Krieg, und am Ende wird eine Sintflut alles hinwegspülen. „A Soldier’s Tale“ handelt von den Träumen eines Soldaten, in „Nature Springs“ kämpfen sogar die Elemente gegeneinander. Und in „Eighties Life“, einem der schönsten Stücke der Platte, beschreibt Albarn seine größtmögliche persönliche Horrorvorstellung: für immer in den achtziger Jahren gefangen zu sein. „Call it living in this country / Calling it missing dawn patrol / It’s eighties life / And it’s all gone right on you.“ Seit der Ära von Margaret Thatcher, so der bittere Befund, hat sich in England nichts geändert.

„Cool Britannia“, das war die Vision eines anderen, besseren Großbritannien, damals in den neunziger Jahren, als alle Welt die Britpop-Bands und die „Young British Artists“ feierte. Aber als Tony Blair die neuen Stars in Downing Street Nr. 10 empfing, schlug Damon Albarn, anders als sein Kollege Noel Gallagher von Oasis, die Einladung aus. Der Sänger hielt nicht viel von Politikern, daran hat sich bis heute nichts geändert. Er schloss sich vor dem Ausbruch des Irakkriegs einer „Stop the War“- Gruppe an und gehörte zu den Initiatoren einer Antikriegsdemonstration, bei der eine Million Menschen in London gegen Bush und Blair protestierten. Mit „The Good, The Bad & The Queen“ – der Titel meint die Bevölkerung Londons – folgt nun gewissermaßen der ätzende Nachruf auf die Politik des Premierministers, der seinen Rücktritt für den Herbst angekündigt hat.

„Es macht mich krank, mitansehen zu müssen, wie seit einiger Zeit versucht wird, Muslime gegen Nichtmuslime auszuspielen“, hat Damon Albarn, inzwischen 38, in einem Interview mit der Obdachlosenzeitung „The Big Issue“ gesagt. „Politiker heizen die Aggression an. Es gibt keinen Kampf der Kulturen, das ist Bullshit . Immer wenn ich Blair sehe, würde ich ihn am liebsten würgen.“

Die Plattenfirma feiert The Good, The Bad & The Queen als „Supergroup“. Supergroup, das ist eigentlich ein Superlativ aus den siebziger Jahren, als Musiker sich gerne zu Starvehikeln wie Cream oder Crosby, Stills, Nash & Young zusammenschlossen. Für die illustre Schar von Kollegen, die Albarn jetzt um sich scharte, passt der Begriff trotzdem. Paul Simonon (51) spielte bei der legendären Punkband The Clash Bass, das Cover des Clash-Albums „London Calling“ zeigt ihn beim Zertrümmern seines Instruments. Der nigerianische Drummer Tony Allen (66), langjähriger Begleiter des Sängers und Politaktivisten Fela Kuti, gilt als Miterfinder des Afrobeat. Und Simon Tong (35) hat als Gitarrist von The Verve immerhin einen der größten Britpop-Hits aufgenommen: „Bittersweet Symphony“.

Multikulturalismus kann funktionieren, das lässt sich auf „The Good, The Bad & The Queen“ sozusagen hören. Allens Trommelschläge sitzen oft etwas ungerade neben dem Takt, zusammen mit den Bassläufen von Simonon bilden sie eine Art Reggae-Gerüst, das Tong mit dezenten Gitarrenexkursen und Albarn mit Keyboardmelodien und rätselhaften Samples auffüllt. Das elektronische Pluckern auf „Northern Whale“ und „The Bunting Song“ erinnert an den verschrobenen HipHop von Albarns Comic-Band Gorillaz. Ursprünglich wollte der Sänger die Platte in Mali einspielen. Aber Simonon wollte nicht nach Afrika fahren.

Die Platte ist auch als Huldigung an ihren Entstehungsort London gemeint, genauer gesagt: an den Londoner Bezirk W10. In der Gegend um Portobello Road, Westbourne Grove und Golborne Road lebt eine buntscheckige Mischung von Menschen, es gibt viele Trödler und den berühmten Rough- Trade-Plattenladen. Der Song „Herculean“ nennt eine Sehenswürdigkeit des Viertels: „Standing by the old canal / By the gas works / Celebrate the ghosts.“ Gemeint ist der Gasometer von Kensal Rise, ein wuchtiges Industriedenkmal. Das Booklet des Albums zeigt einige Zeichnungen, die Simonon bei Spaziergängen durch das Quartier gemacht hat: Briefkästen und Parkuhren, ein Schweinekopf auf dem Markt, die Augen einer verschleierten Muslimin, eine Überwachungskamera. „Paul und ich leben in der Nähe der Portobello Road und wir lieben unsere Nachbarschaft“, sagt Albarn. „Wir lieben die Melting-Pot -Idee und glauben daran, dass alle Kulturen und Ideologien weitestgehend friedlich nebeneinander existieren können.“

Auf dem Höhepunkt des Britpop-Erfolgs hatte die englische Musikpresse einen spektakelhaften „Rock War“ zwischen Blur und Oasis ausgerufen, den Blur damals verlor. Ihre Alben „Parklife“ und „The Great Escape“ waren Pop-Meisterwerke, konnten kommerziell aber mit den Oasis-Megasellern „Definitely Maybe“ und „(What’s the Story) Morning Glory“ nicht mithalten. Heute Damon Albarn mit Liam Gallagher zu vergleichen, merkte jüngst der „Guardian“ an, sei so, „als würde man David Bowie gegen Les Gray ins Feld führen“, den Sänger der Siebziger-Jahre-Teenieband Mud. Die Gallagher-Brüder wirken inzwischen wie müde Rockdinosaurier, Albarn ist es gelungen, sich musikalisch immer wieder neu zu erfinden. Jetzt arbeitet er an der Oper „Monkey Journey to the West“, die im Juli an der Berliner Staatsoper Unter den Linden herauskommen soll.

The Good, The Bad & The Queen spielen am 8. Februar im Postbahnhof.

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