Kultur: Vorkriegszeit
Thomas Lackmann über deutsche Stimmungen zwischen den Stühlen Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Spiele soll man ernst nehmen, gewiss, aber wann ist aus dem Spiel Ernst geworden?
Thomas Lackmann über deutsche Stimmungen zwischen den Stühlen
Nach dem Spiel ist vor dem Spiel. Spiele soll man ernst nehmen, gewiss, aber wann ist aus dem Spiel Ernst geworden?
Zwischen den Kriegen – das ist eine Vakuumzeit wie zwischen den Jahren. Zwischen den Jahren (erst am kommenden Montag ist diese Phase ganz vorbei) passiert nichts von Belang bei uns. Höchstens anderswo werden ein paar Inselchen weggespült, aber wir igeln uns ein, bewegen uns ganz vorsichtig. Auch zwischen den Kriegen heißt ja nicht, dass es nirgendwo Krieg gegeben hätte seit ’45 – aber doch nicht richtig bei uns!
Die glücklichen Zeiten der Völker sind die leeren Blätter im Buch der Geschichte, meinen weise Leute; ganz so glücklich, dachten wir bis vor kurzem, sind wir gar nicht gewesen. Wir hatten eine durchwachsene Nachkriegszeit, die von Zeit zu Zeit für beendet erkärt wurde, hatten Kalten Krieg samt DDR und die RAF und das HipHip-Hurra der 80er und in den 90ern das Balkan-Gemetzel nebenan. Passiert ist durchaus etwas; doch den Krieg im Land, das Volk im Krieg hatten wir wirklich nicht. Ab wann sind „wir“ überhaupt im Krieg: Wenn deutsche Soldaten fallen? Wenn der Dax kriegsbedingt fällt? Wenn unsere Städte nicht mehr sicher sind?
„Wir sind gut aufgestellt“, proklamieren Strategen in den Entscheidungsetagen zum Jahresbeginn; es sind keine Bellizisten, die sich so Mut zusprechen, sondern Führungskräfte. Irgendwann in den letzten Jahren unserer Friedensgeneration ist diese martialische Vokabel, die suggeriert, Ökonomie sei eine Schlacht, ein „Risiko“-Spielbrett oder Zinnsoldaten-Feld, in den Manager-Jargon gerutscht. Das hätte man unmittelbar nach „dem Krieg“ wohl etwas anders formuliert.
„Stimmung! Es lebe die Nachkriegszeit/Die ist fast so schön wie die Vorkriegszeit/Es ist doch wahrscheinlich was dran an der Demokratie/(Wolln Se nicht ’ne kleine Prise Kokain?) Endlich wird wieder die Zeit normal/Jetzt gehn wir ins nächstbeste Tanzlokal...“ Als der „Insulaner“-Chef Günter Neumann dieses Eröffnungscouplet für den zwischen 1914 und 1958 spielenden Film „Wir Wunderkinder“ dichtete, war „der Krieg“ noch nah, auch ohne Fernbedienung, doch in der satirischen Erinnerungsprojektion schoben sich zwei deutsche Nachkriegserfahrungen übereinander. Zwei Generationen später ist Kriegserfahrung hier zu Lande fast nur noch in Erzählungen lebendig und in Haltungsmustern: Den Deutschen ist es zur politischen Natur geworden, dass sie unbedingt als die Normalos mit den sauberen Händen auf der richtigen Seite stehen, aber keinen Krieg mehr verlieren und keinen Wohlstand durch einen Krieg verlieren wollen.
Wo sich das alles nicht kombinieren lässt, wünschen sie sich eine Sowohl-als-auch-Position, von der sich hinterher in jedem Fall sagen lässt, sie sei passend gewesen. „Leute, genießt bloß die Nachkriegszeit/Denn bald wird sie wieder zur Vorkriegszeit/Und weil wir dem Frieden bei uns hier nicht traun/wird auf die Pauke gehaun!“ Wie fühlt sich das an: Vorkriegszeit? 1914 herrschte Jubel, 1939 Beklemmung. Anno 2003 ist die Nachkriegszeit vorbei, keiner haut auf die Pauke, die Konjunktur ist der Spielverderber, den Kommunen geht es finanziell, sagen sie, so mies wie 1949. Immerhin, wir waren dabei und haben fast nichts gespürt, wir waren wohl irgendwie örtlich betäubt. So fühlt sich das an.
Aber vielleicht wird ja noch alles ganz gut, und dieser Krieg bleibt für uns – outsourcing! – draußen vor der Tür.
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