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Lichtgestalten, Dunkelmänner. Mark Knopfler und seine Band in Berlin. Dylan lässt sich auf der Bühne nicht fotografieren.

© dapd

Vorrat für die Seele: Ein Abend mit Mark Knopfler und Bob Dylan in Berlin

Das könnte auch ein Pub-Konzert sein, an einem regnerischen Herbstabend auf der Insel. Mark Knopfler und seine Band verbreiten in der ausverkauften 02-World eine heimelige Atmosphäre. Und dann tritt Bob Dylan auf.

Die Pints rauschen ins Glas, die Fiddle springt und tanzt, die Flöte flackert, und die Melodien ziehen hinaus aufs Meer. Es ist Tiefenentspannung, die Gitarre kurvt wie warmes Massageöl über den Rücken – und was Mark Knopfler nicht in der Stimme hat, das hat er in den Fingern. Sein Gesang gleicht einem Säuseln, sein Saitenspiel einem Ballett mit zarten Pirouetten. Auch wenn die Band, mit der er in den späten Siebzigern berühmt wurde, Dire Straits hieß, was sich mit „bedrohliche Schieflage“ übersetzen lässt. Davon später mehr.

Mark Knopfler und seine siebenköpfige Band verbreiten in der mit über elftausend Besuchern ausverkauften 02-World eine heimelige Atmosphäre, jedenfalls im vorderen Teil der Halle. Britischer Folk-Rock, keltische Tradition, die durchaus schwarz sein kann, und weißer Blues, das wärmt die Seele, die im tiefsten Innern vor dem zittert, der (oder was) nachher kommt. Aber von „Sailing to Philadelphia“ zu den „Brothers in Arms“ ist die Welt noch in Ordnung, der Abend schaukelt und schippert in angenehmer Harmonie dahin, man kann einfach nicht anders, als Knopflers lässige Virtuosität zu genießen, den weichen Sound, die klaren Linien, den Fluss.

Normalerweise heizt die Vorgruppe, der special guest, die Veranstaltung nach Kräften an. Nun wird man aber nicht sagen können, dass Mark Knopfler für irgendwen den Eintänzer macht, auch nicht für Bob Dylan. Sie teilen sich das Programm, und einer muss schließlich den Anfang machen. Und damit auch kein Zweifel bleibt, dass sich hier zwei Musiker auf Augenhöhe die Bühne in die Hand geben, spielt Knopfler die ersten vier Dylan-Songs mit. Steht vor dem Alten, der sich zunächst wieder hinter seinem Keyboard verschanzt, und verziert mit wohltönenden Schleifen den Lärm, der ohne Erbarmen losbricht.

Vor Jahrzehnten haben sie auch mal gemeinsam Platten aufgenommen. Hilft aber nichts: So fragil Dylan in seinem Vaudeville-Aufzug auch wirkt, er macht Alarm. Bellt wie ein grimmiger Hund, der den Postboten attackiert, ganz gleich, ob der Rechnungen bringt oder gute Nachricht. „Only one thing I did wrong/Stayed in Mississippi a day too long“, stößt Dylan hervor, und dann ist Knopfler verschwunden. Ohne verhindert zu haben, dass „It’s All Over now, Baby Blue“ und „Things Have Changed“ – von „Leopard-Skin Pill-Box Hat“ zum Auftakt zu schweigen – zu bloßen Anraunzern des unsichtbaren Gegners werden, der bei Dylan immer mit auf der Bühne steht. Dieser Gegner heißt Erwartung oder Hoffnung, heißt Damals oder Dylan. Manche Songs, die er hier bringt, sind schließlich vierzig, fünfzig Jahre alt. Das Publikum will sie hören bis in alle Ewigkeit, aber kann er sie noch singen?

Die Stimme ist schwer heiser, die Band, mit der er seit etlichen Jahren tourt, wirkt sparsam inspiriert. Da hat also jemand die Tür aufgerissen, dahin ist die Pub-Gemütlichkeit, denn dieser Pub-Kamerad bringt kein Licht, eine dunkle Gestalt kommt hereingetänzelt. Ein Beckett-Männchen, ein Rumpelstilzchen aus dem Reich der bösen Blumen. Er beißt sich durch „Desolation Row“ und findet langsam Geschmack an seinem Vorrat. „Ballad of a Thin Man“ (geschrieben 1965), die letzte Nummer vor dem rituellen Rausschmiss mit „All Along the Watchtower“ und „Like a Rolling Stone“, wird zum Meisterwerk einer nicht guten und auch nicht so schlechten Dylan-Show. Es ist der Song der Stunde. Die Ballade vom dünnen Mister Jedermann Jones zelebriert die Panik, den Surrealismus, nichts anderes als die dire straits der Geschäftswelt.

Man denkt sich: Die verschnarchte Stockholmer Akademie soll Dylan endlich den Literaturnobelpreis geben. Damit er einmal noch seine Jahrhundertverse funkeln lässt, der ungekrönte Laureatus.

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