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Kultur: Vorwärts in die Kreidezeit

Wandmalereien von David Tremlett in der von Finanznot bedrohten Hamburger Kunsthalle

Der Hamburger Kunsthallen-Chef Hubertus Gaßner kann aufatmen: Nach dem Hin und Her um Finanzen, Brandschutzklappen und die Schließung seiner Galerie der Gegenwart ist die Ausstellung mit Wandmalereien des Briten David Tremlett doch zustande gekommen. Vier Wochen lang hat der 65-jährige Konzeptkünstler mit zwei Assistenten und acht Studenten der Hochschule für bildende Künste gewerkelt und mit bloßen Händen Pastellkreide auf die Innenwände des Ungers-Bau verteilt. Jetzt windet sich dort im 3. Geschoss bis zur Decke eine Folge von Linien, Kreisen, Quadraten und Buchstaben. Das neue Dekor wird ergänzt von Papierarbeiten, Collagen und Fotografien Tremletts aus den Jahren 1968 bis 2000.

Mit dem Solo-Auftritt des Engländers aus Cornwall gelang der Hamburger Kunsthalle ein Coup. Tremletts Arbeiten findet man im New Yorker MoMa, der Londoner Tate Gallery und dem Pariser Centre Pompidou – und seit 2000 auch in Berlin: In der Britischen Botschaft prangt sein 16 x 46 Meter großes Monumentalgemälde, das er an der Brandmauer zum Hotel Adlon anbrachte.

Die begehbaren Raum-Bilder, die Tremlett nun in Hamburg präsentiert und die er „Drawing Rooms“ nennt, mischen geometrische Abstraktion mit figürlicher Anmutung. Sie wecken Assoziationen an Landschaften ebenso wie an Gebäude. Der ungewöhnliche Versuch einer Synthese von Malerei, Skulptur, Zeichnung und Architektur verändert den Blick auf den Ort.

Als Bildhauer ausgebildet, reibt David Tremlett seine Raum-Ideen mit den Fingern und Pastellkreide direkt auf die Wand. Er spürt dabei den Rhythmen und Proportionen vorgefundener Häuser nach und erinnert mit seinen bildlichen Rekonstruktionen immer wieder Grundrisse, Türausschnitte oder Schilder.

Seine Formensprache hat Tremlett auf seinen Reisen entwickelt. In den Siebzigern war er in Amerika und Australien, in Afrika, im Nahen Osten, in Indien und vor allem in Italien. Von dort hat er die leuchtenden Farben, aber auch die Reminiszenzen an Landschaften und Architektur mitgebracht, die er so virtuos mischt. Er sammle unterwegs „eine Vielfalt von Informationen, um diese sinnlichen Ideen später auf die Wand zu transportieren“.

Indem Tremlett, der 1992 für den Turner-Preis nominiert war, die Blicke um die Ecken und hinauf zur Decke lenkt, transponiert er seine Zeichnungen in die Dritte Dimension. So entstehen Bild-Bauwerke aus illusionistischer Architektur. Tremlett wurde wegen seiner vermeintlich anachronistischen Rückkehr zur Wandmalerei verlacht. Kritiker meinten, dass eine Technik, die seit der Höhlenmalerei existiert, heute nicht mehr ernsthaft zu verwenden sei. Tremlett konterte: Er kreiere zweidimensionale Objekte, die er aus Farbpigmenten forme.

Die Dauer seines Werks besteht für Tremlett lediglich in der Idee. Die Wahl von Pastellkreide als Werkstoff, der zunehmend verblasst, intendiert Vergänglichkeit. Oft legt Tremlett Wandzeichnungen von vornherein nur temporär an, bis sie verwittern oder einfach übermalt werden. Das gilt auch für die Arbeiten in der Hamburger Kunsthalle. Da die Schließung der Galerie der Gegenwart inzwischen abgewehrt ist, läuft die Schau dort bis Ende Oktober. Besucher müssen allerdings den Umweg über den Haupteingang im Altbau nehmen, wenn sie in den 3. Stock der Galerie der Gegenwart wollen. Deren Eingang und die beiden Etagen darunter bleiben wegen der Instandsetzung der Brandschutzklappen geschlossen. Das spart dem Haus 100 000 Euro. Der Rest der vom Senat geforderten Einsparungen wird aus dem Marketing-Etat für die Kirchner-Ausstellung im Oktober, aus der Reisekosten-Kasse und dem Mehrerlös der „Pop Life“-Schau abgezwackt. Die Haushaltsbefriedung der unter ihrem strukturellen Defizit ächzenden Kunsthalle dürfte damit ebenso flüchtig sein wie Tremletts Wandmalereien. Ulla Fölsing

– Bis 31. Oktober, weitere Informationen: www.hamburger-kunsthalle.de

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