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Kultur: Voyeure der Sehnsucht

Vier Männer, eine Frau.Die Herren scheinen geklont, identische Durchschnittstypen in ein wenig zu groß geratenen Anzügen, mit Hut und Stöckchen.

Vier Männer, eine Frau.Die Herren scheinen geklont, identische Durchschnittstypen in ein wenig zu groß geratenen Anzügen, mit Hut und Stöckchen.Doch einer von ihnen gehört nicht dazu.Er trägt eine Sonnenbrille, geht, steht schweigend.Wenn er sich einzumischen versucht, wird er rasch der Szene verwiesen.Das könnte der Dichter sein, um den es hier geht: Federico Garia Lorca.Die Frau trägt ein feuerrotes Flamencokleid.Sie ist Spanierin, gewiß, Tänzerin.Wofür sie sonst noch steht, bleibt der Phantasie überlassen.

Im dritten Teil seiner Lorca-Trilogie wirft Jo Fabian, so sein Stücktitel, einen Blick auf "die andere Seite".Im Programmheft legt er eine Spur, erzählt von der ungleichen Freundschaft zwischen dem Dichter und dem Maler Salvador Dali.Der gab sich, nachdem die spanischen Faschisten Lorca ermordet hatten, betont beeindruckt, ja zynisch.So hätte das Stück auch "Der Dichter und das Schwein" heißen können.Doh so leicht macht es Fabian sich und seinen Zuschauern nicht.Dali, der Surrealist mit dem großen Mundwerk, taucht als Person nicht auf.

Statt dessen inszeniert Jo Fabian seinen neunzigminütigen Abschluß der Lorca-Trilogie als Vexierspiel aus Selbstzitaten, Querverweisen, ausgelegten Spuren.Die Bühne spielt mit Versatzstücken aus den vorangegangenen Produktionen.Der von Lorca so oft besungene Mond hängt als trübe Lampe an der Bühnenrückwand.In der Mitte, von Sand umrandet, ein hölzerner Tanzboden.Dahinter eine riesige Staffelei mit Leinwand.Auf ihr erscheint ein Videofilm, der die handelnden Figuren spiegelt, verfremdet durch Farbgebung und Bildauflösung.Der Maler tritt nicht auf, aber die Haltung der Surrealisten, ihr Umgang mit der Welt.Jo Fabian malt mit der Kamera.Auf einer zweiten, kleineren Leinwand, im Bühnenhimmel schwebend, laufen Szenen aus dem ersten Teil der Trilogie.

Wie so oft, beginnt das Spiel unendlich langsam.Die Frau macht sich vor einem Spiegel zurecht, während der Dichter gemessen den Raum ausschreitet.Die drei Herren erscheinen, setzen Ferngläser an, suchen einen ungenauen Horizont ab.Sehnsuchtsvoyeure.Ab und an ertönt ein Pfeifen in der Musik von Ralf Krause.

Von Anfang an gelingt es Jo Fabian, eine hohe Spannung zu setzen und zu halten.So sehr er sich jeder normalen Theaterdramaturgie und -psychologie mit ihrer Personendramatik verweigert, so klar setzt er ein dichtes Geflecht aus Bild- und Tonimpulsen dagegen.Dem Betrachter bietet sich ein komplex arrangiertes Suchbild, zu dem er eigene Assoziationen bilden darf.Jeder Moment ist minutiös auskomponiert, in perfektem Timing.Ein endloses Crescendo entspinnt sich wie in Ravels Bolero.

Wenn die Frau wieder die Szene betritt, beginnt ein Spiel der Werbung: sie kapriziös und kokett, die Herren eher dumpf und selbstgefällig.In ihren Flamencoschuhen hämmern sie den Stakkatorhythmus des Zapateado, bringen sich mit Anfeuerungsrufen in Wallung.Es geht um Macht, um Dominanz.Der Dichter stört und wird des Platzes verwiesen.Immer mehr steigern sich die Männer in ihren Tanzfuror, bis auf dem Höhepunkt der tackernde Rhythmus ihrer Füße wie Maschinengewehrsalven klingt.Auf der Leinwand erscheinen Szenen aus dem spanischen Bürgerkrieg.Doch dann läßt die Ausdauer der Herren nach.Virtuos übernimmt die Frau die Führung, bis sie erschöpft am Boden liegt.Der Dichter will sie aufheben, aber sie entgleitet ihm wieder und wieder.Erwacht klammert sie sich an ihn, will ihn nicht gehen lassen.Eine seltsame Rangelei entsteht zwischen beiden.Es ist der einzige befremdliche Augenblick in diesem durchdacht komponierten Stück, weil er das sorgsam aufgebaute Understatement plötzlich in eine konkrete Dramatik umkippen läßt.Dann beruhigt sich die Szene.Es ist, als wäre nichts geschehen.Der Dichter, nach wie vor, ist allein, ausgegrenzt.

Jo Fabian gelingt, was ihm schon im Auftakt seiner Auseinandersetzung mit Lorca gelang: eine spannungsgeladene, eigenständige Theatersprache zu entwickeln.Seine fünf Darsteller (sechs nennt das Programmheft: Paula E.Paul, Ralph Boock, Lütz Güntzel, Jörg Jüsche, Ralf Kittler, José Alberto Marques Torrent) beglaubigen diesen Ansatz unprätentiös und doch virtuos.Die Attraktion erwächst aus gut geführter Binnenspannung, aus äußerster Beherrschtheit, an der sich der Furor reiben kann.Das erzählt allemal mehr als offensive Leidenschaft.

NORBERT SERVOS

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