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Kultur: Wach auf!

Über die in Bewegung kommende Berliner OrchesterlandschaftVON MANUEL BRUGDas Stück möge er gerne, es habe ihm sehr gefallen, ließ sich der hohe Gast vernehmen.Bill Clinton himself kommentierte eine Berliner Eroica-Aufführung.

Über die in Bewegung kommende Berliner OrchesterlandschaftVON MANUEL BRUGDas Stück möge er gerne, es habe ihm sehr gefallen, ließ sich der hohe Gast vernehmen.Bill Clinton himself kommentierte eine Berliner Eroica-Aufführung.Gespielt vom Deutschen Symphonie-Orchester, das auch am Montag in Frankfurt bei einem hochpolitischen Konzert zu vernehmen sein wird: 150 Jahre Nationalversammlung in der Paulskirche.Die Staatskapelle fühlt sich ungerecht behandelt, zum Mauerblümchendasein verurteilt.So jedenfalls tönt ihr Chef, Daniel Barenboim, und das mit Vorliebe im Ausland, wo auch er gerade mit seinen Musici in Sachen Beethoven unterwegs ist.O Freund, nicht diese Töne, möchte man ihm raten, vor allem, wenn er - mag er jetzt auch dementieren -, um sein Orchester besser auszustatten, eines der anderen zum Abschuß freigeben möchte.Die Berliner Orchester regen sich, gastieren vehement, krakeelen in der Öffentlichkeit, machen Radau außerhalb der Konzerte.Endlich.Auch wenn es meist nur die Mißtöne sind, die Schlagzeilen machen, es scheint Bewegung in die Landschaft zu kommen.Lange genug waren die Musiker nur mit sich selbst beschäftigt, hatten weder die Berliner Gesamtheit im Blick noch ihrer historische Verantwortung, nur das eigene Wohlergehen.Nach der ersten, harten Umbauphase der unmittelbaren Nachwende und der anschließenden Konsolidierung ist es jetzt an der Zeit, sich erneut Gedanken zu machen, wie die Berliner Orchestersituation sinnvoll zu gliedern und in ihren Aktivitäten zu koordinieren ist.Da äußert ein Orchester wie die Staatskapelle den (berechtigten) Wunsch, in seinen Bezügen endlich auf Westniveau gebracht zu werden, andererseits bekommt ein Orchester wie die Berliner Symphoniker noch nicht einmal mehr Solisten für sein Silversterkonzert, weil dieser Klangkörper nach dem Willen der Politiker ab dem 1.Januar 1999 aufhören soll zu existieren.Dabei sind beide Orchester für diese Stadt wichtig: das eine für die Bespielung der Lindenoper, das andere für die von vielen der großen Klangkörper immer noch naserümpfend vernachlässigte musikalische Basisarbeit.Die Staatskapelle freilich sollte sich wieder mehr auf ihre Rolle als Opernorchester beschränken, statt in nicht immer gut geprobten Konzerten den anderen Klangkörpern unnötig Konkurrenz zu machen, im Ausland mit mißtönender verbaler Begleitmusik zu repräsentieren und zu Hause gerade mal sechs Opernvorstellungen im Monat zu spielen.Das ist ein krasses Mißverhältnis.Da nützt auch der gebetsmühlenartig wiederholte Refrain von der großen Historie wenig.Die Realität ist anders.War die Staatskapelle im 19.Jahrhunderts eines der wenigen Konzertorchester Berlins, so gibt es heute derer vier.An dieser Stelle müssen sich auch die Aktivitäten der anderen beiden Opernorchester bescheiden.Natürlich ist es gut, daß die Komische Oper wie auch die Deutsche Oper in Gestalt ihrer Chefdirigenten Yakov Kreizberg und Christian Thielemann ihr orchestrales Niveau heben wollen, auch mit Hilfe von Konzerten.Doch Bedarf besteht danach nur begrenzt.Drei Orchester von sieben sind auf der Suche nach neuen Chefdirigenten.Auch hier gilt es, Entscheidungen zu fällen, die über die Belange eines einzelnen Orchesters hinausreichen.Das Deutsche Symphonie-Orchester steht vor dem Abschluß eines Vertrages mit Kent Nagano.Das ist eine sehr positive Nachricht, denn ein solcher Charismatiker, der begeisterungsfähig ist für vieles, aber nicht die Klassik und Spätromantik zu seinem Arbeitsschwerpunkt erklärt, fehlt in dieser Stadt schmerzlich.Das Berliner Sinfonie-Orchester hat sich, wenn es denn grünes Licht erhält, für Eliahu Inbal als neuen Chef entschieden.Auch nicht schlecht.Zumindest für den Augenblick.Dieses etwas verbeamtete, zu wenig herausgeforderte Orchester braucht einen strengen Klangerzieher.Beim Berliner Philharmonischen Orchester ist nach Abbados Beginn eines langen Abschieds alles offen, doch auch hier scheinen abwägende Vernunft und Realitätssinn bei der Suche nach einem neuen Regenten zu herrschen.Der schlafende Riese, die Orchester- und Chöre GmbH, mit mehr als 400 Musikern Europas größter Beschäftigungsgeber, ist dabei, aufzuwachen, sich auf seine kollektiven synergetischen Chancen zu besinnen.Und sogar neue Tarifverhandlungen für Berlin sind auf gutem Weg.Von Daniel Barenboim bis hin zu den Berliner Symphonikern müssen sich freilich alle darüber im klaren sein, daß sie an einer historischen Wendesituation stehen.Jeder einzelne, vom Intendanten bis zum Tuttigeiger, ist dafür verantwortlich, ob eine Generation künftiger Konzertgeher jener Popgeneration, die nicht mehr notwendigerweise im Elternhaus oder in der Schule mit klassischer Musik konfrontiert wurde, von diesem Angebot überhaupt noch Gebrauch machen wird.An dieser Frage wird sich Gedeih und Verderb nicht nur der Berliner Orchesterlandschaft entscheiden.Und nicht an individuellen Eitelkeiten oder Politikerwillkür.Das alles kann immer nur Folge sein.Der aufklärerische Dienst muß viel stärker in den Vordergrund rücken.Auch die Kulturorchester sind Teil einer globalen Dienstleistungsgesellschaft.Wobei der Dienst an der Kultur nicht der Schlechteste ist.

MANUEL BRUG

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