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Kultur: Wache Träumer

Der litauisch-französische Weltfotograf Izis ist in zwei Berliner Ausstellungen zu entdecken

Ein Meister der monumentalen Bescheidenheit. Der kleinen, großen, zauberischen Effekte. Mal ganz nah. Mal im Aufriss einer Totalen und selbst das Porträt ist ein Panorama, der szenische Augenblick ein Stück Welttheater. Zum Beispiel 1948 ein Paar schöne Frauenbeine in Nylons, die Schuhe davor abgestreift, ein toller Torso, denn Kopf und Oberkörper der jungen, sich auf den Treppen des Pariser Seine-Ufers sonnenden Frau bleiben in der verführerischen Untersicht des Betrachters verborgen, umspielt nur vom gleißenden Licht und den steinernen Schatten. Oder ein Kind – barfuß neben einem klapprigen Zirkus – oder Zigeunerwagen, halb im Schatten und dahinter eine sonnige Brache und vorm hellen Horizont die hohen Mietskasernen des ärmeren Paris: Stadtrand, Menschenrand, Aufbruch oder Abbruch. Ein Rest Geheimnis allemal. Und immer schwarz-weiß.

Die insgesamt 300 Bilder des fabelhaften Fotografen namens Izis, die in Berlin jetzt als Horsd’oeuvre im Französischen Kulturinstitut und als künstlerisches Hauptgericht in einer Großausstellung auf zwei Etagen im Willy-Brandt-Haus gezeigt werden, sie sind eine Entdeckung. Wie ihr Schöpfer. Er hieß eigentlich Izrael Biderman, ein 1911 in einer ärmlichen Kleinstadt geborener litauischer Jude, der als Junge schon nicht Handwerker werden will, sondern Künstler. Maler am liebsten. So zieht er, der sich nun litauisch Bidermanas nennt, 1930 völlig mittellos nach Paris: in die Hauptstadt seiner Träume, wo er sich erst als Laborant in Fotoateliers durchschlägt, schließlich die Tochter eines Fotografen heiratet und 1941 vor den Deutschen nach Südfrankreich flüchtet und untertaucht.

Als er 1944 der Résistance beitritt, sind seine Eltern in Litauen bereits von den Nazis ermordet. Noch vor Kriegsende beginnt Bidermanas, der alsbald den Künstlernamen Izis annimmt, die „Maquis“ der Résistance, die französischen oder auch wie er aus Osteuropa stammenden Widerstandskämpfer zu fotografieren. Schon diese ersten Aufnahmen, von denen eine Auswahl die Schau im Willy-Brandt-Haus eröffnet, sind eine Sensation. Denn Izis, der gewiss noch nie etwas von den Porträts des deutschen Meisterfotografen August Sander gehört hatte, lichtet die Ansichten der wild verschwitzten und trotzig verwegenen Kämpfer im puristischen Stil von Sander ab: in ungeschönten Posen, alle vor einem damals ungewöhnlichen, weil einheitlich weißen, ornamentfreien Hintergrund. Oft schweifen die Blicke dabei sonderbar wehmütig an der Kamera vorbei, wie in der Erinnerung an gerade vergangene Schrecken und in noch vagen Hoffnungen auf die Zukunft.

Das wirkt wie eine Vorahnung auch der späteren, ähnlich arrangierten Porträts, die Richard Avedon von den Amerikanern aller Professionen und Schichten aufgenommen hat. Der frühe Ruhm von Izis ist jedoch nie nach Deutschland gedrungen und selbst in Frankreich wurde er nie ein Star. Dabei machten seine Résistance-Bilder schon 1945 Furore, seine Aufnahmen von Menschen, Plätzen und Straßenszenen der Pariser Nachkriegszeit erschienen als Buch unter dem Titel „Paris des rêves“ und dieses „Paris der Träume“ hatte 1950 bereits 16 Auflagen und verkaufte sich 170 000 Mal.

Ein Jahr später war Izis sogar im New Yorker Modern Arts Museum in der Ausstellung „Five French Photographers“ neben Größen wie Brassai, Henri Cartier-Bresson und Robert Doisneau zu sehen. Zwanzig Jahre hatte er dann als Bildreporter der Zeitschrift „Paris Match“ gearbeitet und mehrere Bildbände veröffentlicht – auch zusammen mit seinen Künstlerfreunden, mit Marc Chagall oder dem Chansondichter Jacques Prévert.

Doch Izis war ein scheuer Mensch, ohne Ellbogen. Auch ohne Agenten und den scharfen Sinn für den neuen, modernen Markt der Eitelkeiten. Auch blieb Deutschland ein Tabu für den durch die Shoa verwaisten Fotografen. Als Izis 1980 mit 69 Jahren starb, war er nur noch weltberühmt unter Kennern. Die Berliner Doppelausstellung, deren Bilder vorher im Pariser Rathaus hingen, ist nun die erste Izis-Präsentation in Deutschland und steht unter dem Patronat der Bürgermeister beider Hauptstädte. Sie soll von Berlin aus in mehrere Kontinente gehen, das ist der Wunsch von Manuel Bidermanas, dem Sohn und Kurator, der selber Fotograf ist. Er sagt: „Deutschland ist heute ein anderes Land und Berlin im Moment die kulturell offenste und anregendste Stadt der Welt. Das hätte auch meinem Vater gefallen.“

Der Ausstellungstitel „Paris der Träume“ trifft freilich nur einen Teilaspekt. Gezeigt werden auch Beispiele von Izis’ Bild-Reportagen aus Israel 1952-55 oder aus dem England der frühen Fünfziger. Gerade der britischen Nachkriegswelt begegnet Izis mit einer Mischung aus Romantik, sozialkritischem Scharfsinn und Ironie. Es sind magere knochige Gesichter der Kinder und Erwachsenen, die auf den Straßen ihre Stallhasen oder Hundewelpen feilbieten; die am Boden liegenden Holzrösser eines maroden Jahrmarktkarussells wirken wie erschossene Tiere und im Schaufenster eines Geflügelschlachters findet sich das Bild der jungen, frisch gekrönten Queen zwischen lauter nackten, gerupften Gänsen.

Aufbruchsstimmung herrscht, außer bei den Männern der Résistance, vor allem bei den bewaffneten, Straßen bauenden oder Bäume pflanzenden Jungen und Mädchen in der israelischen Wüste. Den frühen Sabres, den neuen Kindern Israels, leuchtet auch ein neuer Lebenshunger aus ihren dunklen Augen. Die Nachtbilder aus Paris oder London zeigen dagegen im weichen Zwielicht der liebenden Paare und zufälligen Passanten eine Welt, wie sie der große Brassai schon Jahrzehnte zuvor als letzten romantischen Nachklang fotografierte. Izis, der auch wunderbare Ansichten des alten Clowns Grock, der im Rollstuhl träumenden Schriftstellerin Colette oder ein fantastisch waches Porträt von Camus über den Dächern von Paris geschaffen hat, er führt wie mit pompejanischem Blick eine längst untergegangene Welt der Geister und Geisterstädte vor Augen. Dieses Paris, London und Israel gibt es nicht mehr. Das aber verleiht Izis’ oftmals fast surrealen Bildern ihren melancholischen Charme, ihren unwiderstehlichen Sog.

Izis „Paris der Träume“ bis 23. 1. 2011 im Willy-Brandt-Haus (Stresemannstr. 28, Di-So) und Institut Francaise (Kurfürstendamm 211, Mo-Sa).

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