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Kultur: Wär ich doch ein Junge

Heraus aus dem Schatten der Dynastie: Martha Wainwright singt in Berlin

So ist das: Der eine stürmt hinaus ins Leben, lässt kein Abenteuer aus, kein Land unerobert, und die Dinge und die Herzen fliegen ihm nur so zu. Und der andere, oder kommen wir gleich zur Sache: Die andere sitzt da und hadert, hadert, hadert. Warum lieben alle ihn? Warum muss ich und nicht die anderen etwas tun? Warum sehe ich immer die Gefahr und nicht die Chance? Ach, wäre ich doch als Junge auf die Welt gekommen.

Das sind die dunklen Augenblicke im Leben von, nein, nicht Angela Merkel, sondern Martha Wainwright, jüngster Spross einer Dynastie hoch angesehener Songwriter, deren familiäre Dynamik und künstlerischer Output an den Schriftsteller-Clan der Manns erinnert. Ein Übervater, eine raumgreifende Mutter, eine gütige Tante und zwei wilde Kinder, eins davon schwul, opernvernarrt und mit Hang zur Drogenhalbwelt. Das ist Rufus Wainwright. Er gab in diesem Jahr eins der besten Konzerte in Berlin, zwei pralle Stunden auf der Spitze der Vergnügungsklaviatur. Ein Dramatiker, der es mit exzentrischen, schrillen Posen schafft, alles seiner Kunst und fast nichts seines Inneren zu zeigen.

Nun aber ist die Stunde der drei Jahre jüngeren Schwester Martha gekommen. Ihrem endlich auch in Deutschland veröffentlichten Debütalbum lief ein veritabler Skandal voraus; jedenfalls in den Augen derer, die nur mit den üblichen Familiendramen vertraut sind. Ein Wainwright aber ist aus anderem Holz geschnitzt, hart im Nehmen und noch härter im Austeilen. Kein Schmerz ist zu groß, kein Dolchstoß zu brutal, um nicht in einem Song zu enden. „You Bloody Mother Fucking Asshole“ lautete unumwunden der Titel einer der ersten Songs von Martha Wainwright, und niemand Geringeres als Daddy Loudon war damit gemeint. Ein Song, in dem die Tochter dem Vater sein egozentrisches, ausbeuterisches Wesen vorwirft und den alarmierenden Satz formuliert: „Poetry has no place for a heart that’s a whore“ – Poesie habe keinen Platz in einem Herzen, sagt sie, das sich kaufen lässt. Das schmerzt auch einen Loudon Wainwright III, einen hochkarätigen Songwriter der Bob- Dylan-Generation, einer der bitter humorigen, ätzenden Sorte, der Anfang der Siebziger seinen Ruf mit dem Song „Dead Skunk“ begründete, über ein verwesendes Stinktier, das die Nation sofort mit dem damaligen US-Präsidenten Richard Nixon identifizierte. Aber Kinder von Revoluzzern sehen nicht die Helden, sondern die Herzen, und deren Wahrheit ist eine andere.

„Dass unsere Kinder harmlose Popsongs schreiben werden, damit hat bei uns niemand gerechnet“, sagt Mutter Kate McGarrigle, die selber gemeinsam mit ihrer Schwester Anna seit über 30 Jahren die Säulenheiligen des ambitionierten Kunstfolks sind und die Ehe mit Loudon schon früh für beendet betrachtete. Wenn sich die talentierte Familie gegenseitig ihre neuesten Kreationen vorspielt, wird im Gegenteil besonders akribisch darauf geachtet, wer aus der Familie wie gekonnt musikalisch verfrühstückt wird. Was für ein Wahnsinn.

Die Songs von Martha Wainwright aber sind in erster Linie gegen sich selber unerbittlich: Spiralen des Selbstzweifels, ein Bohren im Ungenügenden und Ausdruck eines Außenseitergefühls, das sich allen „Makern“, Machern, unterlegen fühlt. Wie gut, dass da ihre Musik, ihre schönen Verse und ihr lustvoller, vielfach trällernder Gesang wenigstens Genuss an derlei Schwierigkeiten signalisiert. Songs, im Leid geboren, verwandeln sich in Rettungsanker, sind kokette Rollenspiele tragischer Figuren. Die schillernde Familiengeschichte wird nebensächlich, sowie die Qualität ihrer Lieder in den Vordergrund tritt.

Martha Wainwright hat lange gebraucht, um mit eigenen Songs an die Öffentlichkeit zu treten, nicht immer nur im Backgroundchor der Sippe zu stehen. Dass sie sich selbst überwunden hat, ist nicht nur ein persönlicher Triumph. Ihre Musik ist von einer radikalen Wahrheit, Arrangements, Instrumentierung und Melodik genügen höchsten Ansprüchen. Auf der Bühne steht sie wie ein unruhiges, kaum zu bremsendes Zirkuspferd. Wer sich nicht abschrecken lässt von einer Flut hoher Noten und einem Menschen, der sich vor Selbstzweifeln nicht scheut, nicht davor, zu heulen und zu sehnen, der erlebt eine der faszinierendsten Songschreiberinnen der Gegenwart.

Heute im Quasimodo (Kantstr. 12a, Charlottenburg), 22 Uhr; „Martha Wainwright“ ist bei V2 Records erschienen.

Christine Heise

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