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Kultur: Waffenruhe

Irgendwann im Laufe seines Rundgangs durch den Hamburger Bahnhofs gelangt jeder Besucher in Bernhard Leitners Klangräume.Keine Orte der Ruhe zwar, aber dafür der Bilderlosigkeit.

Irgendwann im Laufe seines Rundgangs durch den Hamburger Bahnhofs gelangt jeder Besucher in Bernhard Leitners Klangräume.Keine Orte der Ruhe zwar, aber dafür der Bilderlosigkeit.Legen Sie sich dort einfach auf Leitners "Ton-Liege"; werden Sie zum Resonanzkörper seiner Klänge, die aus darin plazierten Lautsprechern dringen und lassen Sie den Bilderkreisel in Ihrem Kopf sich beruhigen.Nicht daß das Gezeigte allzu aufregen oder gar verwirren würde, aber ein wenig durcheinander, zumindest sehr schroff gegeneinander gesetzt, scheint es an vielen Stellen schon.Ab heute präsentiert das vor zweieinhalb Jahren eröffnete Museum für Gegenwart seine neugeordnete Sammlung, an vielen Stellen sprunghaft zwar, aber deshalb für Diskussionen über die Verfassung zeitgenössicher Kunst besonders geeignet.

Die eigentümliche Heterogenität der Ausstellung mag daran liegen, daß auf der einen Seite die Neue Nationalgalerie, auf der anderen der Sammler Erich Marx ihre Neuerwerbungen präsentieren.Sogar die dazugehörigen Erläuterungen finden sich auf jeweils getrennten Faltblättern.Dabei gerät der Besucher allzu leicht in Versuchung, die beiden Komplexe miteinander zu vergleichen, wenn nicht gegeneinander auszuspielen, denn die bessere Figur machen allemal die Werke aus der Sammlung Marx.So dürfte mit dem Ende der Präsentation - für die große Ausstellung "Das XX.Jahrhundert - Ein Jahrhundert der Kunst in Deutschland" (ab 4.September) wird der Hamburger Bahnhof komplett geräumt - ein Großteil der jetzt präsentierten Neuerwerbungen im Bereich der Videokunst flugs wieder im Depot verschwinden.Paik, Kahlen, Vostell - selten haben aktuelle Werke so schnell alt ausgesehen; Marina Abramovic & Ulay, Rosenbach - selten sind einst hochgelobte Künstler so überschätzt dagestanden.

Gerade an der Schwelle zum nächsten Jahrtausend stellt sich mehr denn je die Frage, was in Zukunft Bestand haben wird.Die neue Präsentation im Hamburger Bahnhhof zeigt deutlich die Crux eines Museums, das auf Gegenwart setzt.Warhol wird zweifellos nicht aus Pantheon vertrieben, die ihm reservierte "Grande Galerie" ist ein Vorgriff auf die im Jahr 2001 geplante Retrospektive.Auch die rauhe Kunst des Britpacks wird bleiben, ist Erich Marx überzeugt und wählte drei Positionen unter den Young British Artists aus, die zuletzt mit "Sensation" ihr Berliner Stelldichein gaben: Damien Hirst, Marc Quinn und Sam Taylor-Wood.Auch wenn es von Hirst kein Aufsehen erregender Haifisch in Formaldehyd, sondern Malerei ist, und Sam Taylor-Wood kein Video, sondern eine geradezu kleinformatige Fotoarbeit zeigt, so gehören ihre Beiträge doch zu den frischesten in einem Museum, das doch eigentlich nah an die Jetztzeit will.

Sprung zurück zu Rauschenbergs und Twomblys aus den Fünzigern, Sprung wieder vor zu Christina Kubischs Rauminstallation, die dem Hamburger Bahnhof einen Monet mit modernsten Mitteln beschert; ihre "Seerosen" klingen und leuchten, indem sie Lautsprecher mit fluoreszierenden Pigmenten versetzte.Am Vorabend eines Nato-Angriffs im Kosovo erhält Klaus vom Bruchs Videoinstallation "Brattain & Bardeen" unverhofft Aktualität.Darin verarbeitet er Fernsehnachrichten aus dem Golfkrieg, kombiniert mit dem Kommentar eines Sportreporters; die Bildschirme plazierte der Künstler in zwei tonnenförmige Gebilde, die entfernt an Feldstecher erinnen; in Anspielung auf den ferngesteuerten Krieg ragen aus ihnen raumgreifende Antennen.

Die gleiche krasse Gegenwärtigkeit besitzen auch die Fotografien Manfred Schmidts, von dem ein neunteiliges Tableau der Serie "Waffenruhe" ausgestellt ist, die zwischen 1985 und 1987 in Berlin entstand.Vernarbte Pulsadern, ein gespraytes Herz, Punkfrau und Blick in einen Hinterhof porträtieren nicht nur eine Stadt, sondern auch einen Zustand.Ein Jahrzehnt später fotografiert Frank Thiel seine Stadt, diesmal als bestechend schöne Komposition vom Umbau des Reichstags.Tadellos reiht er sich damit in die Reihe brillanter Großaufnahmen Andreas Gurskys ein - gähnende Langeweile, glänzender Formalismus.Der Hamburger Bahnhof ist in den neunziger Jahren angekommen.Womöglich wird ihm der ab September verordnete Rückblick auf das zuendegehende Jahrhundert gut tun, um einen überzeugenderen, einen einheitlicheren Standpunkt zu finden.

Hamburger Bahnhof, Invalidenstraße 50-51, bis 11.Juli; Dienstag bis Freitag 10-18 Uhr, Sonnabend und Sonntag 11-18 Uhr.

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