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Wagner-Festspiele: Rammstein in Bayreuth

Am Montag beginnen die Wagner-Festspiele. Sebastian Baumgarten inszeniert den „Tannhäuser“ – und handelte sich schon im Vorfeld Ärger ein. Ein Probenbesuch.

Kurz bevor sich herausstellte, dass der Tod nun doch kein Irrtum sei, und er wusste, dass es ans Sterben ging, notierte der an Krebs erkrankte Schriftsteller und Regisseur Heiner Müller: „Wenn ich (die) Kritiken lese, komme ich mir vor wie 1 Denkmal“. Und dass er sich fühle, als ob ihn die Hunde anpissen. Dann regte sich im halb aus Neigung, halb aus Selbstschutz berufszynisch gewordenen Müller doch noch einmal der Widerstand: „… aber ich lebe noch (ich bin kein Denkmal) all diese tapferen Idioten – + Hunde ohne Baum (critics).“

Er schrieb ja nicht mehr viel, aber das saß. Das Seltsame ist, dass man dauernd an den wehrhaften Müller denken muss, während man in Bayreuth im Stehen („ich sitz’ ja genug“) mit Sebastian Baumgarten spricht. Obwohl Menschen auf den ersten, zweiten und sogar dritten Blick nicht unterschiedlicher sein könnten. Müller war, als er in Bayreuth 1993 den „Tristan“ inszenierte, ein freundlicher, schon ein bisschen älterer Herr (und gleichzeitig junger Vater) mit Abgründen. Er wusste, dass die Leute – in Bayreuth zumal – über den Liebestod im „Tristan“ hinaus voyeuristisch-romantisch ins Jenseits glotzen wollten, und natürlich tat er ihnen als alter, wiewohl abgewiesener Schüler Brechts genau diesen Gefallen nicht, sondern fror die Glut ein auf der Bühne. Zu Eis. Zu Packeis.

In den Pausen stand Müller manchmal zum Rauchen draußen. Dann genoss er still, wenn das Publikum auf ihn schimpfte, ohne dass er erkannt wurde: mit seinem Eulenblick und dieser Extrawagnerportion sächsischer Schläue in Hirn und Haut. Baumgarten sagt, wie man gesprächsweise drauf kommt, „der Heiner“, und er spricht den Namen anders aus als „Bob“ (Wilson) oder „Einar“ (Schleef), bei denen er ebenso assistiert hat wie bei „der Ruth Berghaus“. Die schätzt er schon auch noch sehr. Aber „Heiner“ klingt ein ganz klein bisschen heilig.

Sebastian Baumgarten ist ziemlich groß. 42 Jahre alt, Salz-und-Pfeffer-Haare, ordentlich Muskeln. Auch in Bayreuth geht er nach den Proben dreimal in der Woche zum Sport, „sonst wird man ja ganz verrückt“, sagt er. Er ist keiner, der hockt und die Sachen aussitzt. Selbst sein Regisseurssessel wippt ständig, wenn er zufällig mal kurz auf der Kante kippelt. Ansonsten ist er auf dem Sprung und lässt die Assistentenpferde laufen. Es ist das Ende der zweiten Probenwoche. Dreieinhalb hat er. Das ist nicht viel für einen, der gerne ordentlich Material in seine Inszenierungen packt, also Ansichten ausstreut, die einen innerlich oft „Moment mal!“ sagen lassen. Wobei es dann sein kann, dass man, kaum ist das gedacht, schon wieder mit zwei anderen Bildern konfrontiert ist, die sich überlagern. Baumgarten denkt nicht in Schablonen, sondern, sagen wir, dialektisch, oder sagen wir besser: sprunghaft dialektisch.

Da ist natürlich das Ostberliner Familienerbe dran schuld: mit dem Großvater als Intendanten der Staatsoper und der Mutter, Beruf Sängerin. Was sollte (wie beim älteren Regisseurskollegen Peter Konwitschny) aus dem Jungen schon werden als irgendwas mit Oper und Schauspiel? Baumgarten hat sich aber klugerweise den Raum für eigene Entwicklung gelassen, indem er die Ochsentour machte und über die Dörfer, sprich Kassel, ging (als Oberspielleiter und stellvertretender Operndirektor). Dann Meiningen, Stuttgart, immer wieder Schauspiel – dann die großen Berliner Häuser: Deutsche Oper, Volksbühne, Komische Oper. Und öfter heißt es auf den Programmzetteln „frei nach“ – Händel, Mozart, Offenbach, Wagner; in Kassel hat Baumgarten bereits „Parsifal““ inszeniert.

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Wir Schockrocker. Nächsten Montag ist Premiere: Der Berliner Regisseur Sebastian Baumgarten auf dem Grünen Hügel. Foto: dpa
Wir Schockrocker. Nächsten Montag ist Premiere: Der Berliner Regisseur Sebastian Baumgarten auf dem Grünen Hügel. Foto: dpa

© dpa

Was heißt frei? Baumgarten gibt während der Probe für Richard Wagners „Tannhäuser“ das Stichwort, als ihm während einer leicht hilflos ritualisierten Habe-Herzschmerzen-Geste eines Sängers ein einziges Wort entfährt: „Scheißtradition“. Genau das will er ja eben nicht: erwartbare Begleittheatralik und die Bühne im Verhältnis eins zu eins zur Musik. Anders als jene, nun ja, Opernrevolutionäre, die ihm ein paar Jahre und einige Inszenierungen voraus sind oder waren; anders also als der sich verzehrende Narziss Christoph Schlingensief, anders auch als der die Zeit zerdehnende Schweizer Christoph Marthaler oder der ständig zur Metzelei bereite Katalane Calixto Bieito überfrachtet Baumgarten die ja ohnehin oft opulente Oper lieber noch: mit Zeichensystemen, Assoziationen, Bilderwut, aber auch (sehr müllerscher) Askese und Denkschärfe, das schließt sich ja nicht aus.

Die Bayreuther „Tannhäuser“-Bühne, grob gesagt eine Art Recyclingzentrum mit Alkoholaufbereitungsanlage, hat ihm der niederländische Künstler Joep van Lieshout gebaut, ein „anarchischer Hedonist“, wie Baumgarten sagt. Näheres müssen später die Opernkritiker entscheiden, aber zumindest so viel: An Raumleere leidet diese sehr spezielle Wartburg-Konzeption nicht und wird noch durchpulst von Filmsequenzen und ein paar projizierten Phrasen, die einem seltsam bekannt vorkommen: „Herzeleid“, „Rosenrot“, „Wir sind krank“ und so weiter liest man, Chiffrenlyrik also von Till Lindemann, und „ja“ sagt Sebastian Baumgarten, „da kommt schon viel von ,Rammstein’ vor“. Rammstein. Sehr offensiver, sehr obskurer deutscher Rock. Und an Tannhäuser sei ja schließlich auch viel von eben diesem Till Lindemann, „er will dazugehören zur Gesellschaft und auch wieder nicht“, sagt Baumgarten, Lindemann sei ja auch eher „kommerzieller Schockrocker“. Nur so zum Vergleich. Das gab natürlich Diskussionen in Bayreuth, so heftig teils wie damals, als Wolfgang Wagner, der Hausherr, dem Schlingensief das „Parsifal“- Klo von der Bühne räumen ließ, woraufhin der Teufel los war und dies eigentlich auch blieb. „Jetzt gibt es einen Unterschied“, sagt Baumgarten, der wiederum noch vom im letzten Jahr verstorbenen Wagner senior engagiert worden ist: Mit Katharina Wagner könne man alles diskutieren, ohne dass sie zu selbstherrlichen Anordnungen neigen würde. Und Rammstein mag sie bekanntlich auch. Man „muss sie überzeugen“, sagt Baumgarten, und nun schaut es so aus, als habe er sie von ziemlich viel überzeugt: vom Dirigenten Thomas Hengelbrock, vormals eine prägende Figur der Originalklangbewegung, von seinem multimedialen Konzept und am Ende sogar davon, dass in Bayreuth ein echtes Tabu gebrochen wird. Zum ersten Mal nämlich wird es nach der Vorstellung Menschen geben, die mit Fug und Recht sagen dürfen, dass sie den Dirigenten des bekanntermaßen unsichtbaren Orchesters gesehen haben. Ein paar Handvoll Besucher, allesamt aktive Festspielförderer, dürfen tatsächlich auf die Szene, wobei Baumgarten ihnen schon prophezeit hat, dass sich bestimmte Klang- und Bildillusionen dort partout nicht einstellen. Andererseits ist die Entscheidung angewandter Brecht: Das Theater spielt nicht Theater, sondern zeigt her, was es für einen Budenzauber betreibt. Baumgarten trägt seinen Namen nicht zu Unrecht. Die Hunde sind ihm gleichgültig. Er hat etwas Unbedingtes.

Gedanklich ist er im Übrigen schon ein bisschen weiter und von allen Sockeln runter, wiewohl als gut philosophisch und nicht zuletzt marxistisch geschulter Mensch auch nicht immer „Heiners“ Meinung: Was wäre eigentlich, sinniert er, wenn das klassische Opernabendkonzept aufgelöst würde? Fragmentarisiert, hätte Müller gesagt. Baumgarten ist sich nicht sicher, ob es gerade Wagners Gesamtkunstwerken schaden würde, wenn man sie nicht mehr transportierte, wie sie mal gemeint waren: als Ausschließlichkeitsmodelle. Fürs Erste probt der Berliner Regisseur schon einmal mit Statisten ein, wie der „Tannhäuser“ auch dann ohne Musik weiterlaufen kann, wenn ihm eigentlich in der Bayreuther Festspielstruktur 60 Minuten Auszeit zustehen: Pausen im eigentlichen Sinn wird es von der Premiere an nicht mehr geben.

Ob das Geschichte macht? Baumgartens am häufigsten verwendetes Wort ist „angreifen“, in seiner ganzen Doppelbedeutung. Sein Theater will unter die Haut, mit aller Kraft, sie sei geliehen, transformiert oder hausgemacht. Das ist, wenn’s gut geht, Müller mit anderen, moderneren Mitteln, und es wird Ärger geben. So viel ist sicher.

Das RBB-Kulturradio überträgt die „Tannhäuser“-Premiere am 25. Juli live ab 15 Uhr 55. Es dirigiert Thomas Hengelbrock, es singen u. a. Lars Cleveman, Camilla Nyland und Michael Nagy.

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