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Christine Lemke-Matwey

© Jörg Schulze

Wagner-Werkstatt (11): Wagner auf Japanisch

Das gab's noch nie: Eine Journalistin, die in Wagners Allerheiligstes vorgelassen wird und dort sechs Wochen zubringen darf. Diesmal lauscht Christine Lemke-Matwey japanischen Entschuldigungen und wenig schönen Pausengesprächen.

Kürzlich kam Mihoko Fujimura ins Pressebüro, um nach Rollenfotos zu fragen. Fujimura ist dieses Jahr die Fricka im „Ring“ und Japanerin und wahnsinnig höflich, wie wahrscheinlich alle Japanerinnen und Japaner. In den dreieinhalb Minuten ihres Aufenthaltes im Pressebüro sagte sie mindestens vierzehn Mal „Entschuldigung“ und deutete bestimmt 21 Knickse an. Die Fotos, die sie suchte, gab es dann nicht, die gibt es erst nach den Premieren. In jedem Fall war es Frau Fujimura darum zu tun, auf den Bildern nicht zu xanthippig auszusehen, nicht zu sehr nach Nudelholz, was insofern sowieso nicht geht, als die Japanerin an sich gar kein anständiges deutsches Nudelholz kennt. Fricka aber, die gesetzestreue Gattin Wotans, hat diese keifige Schlagseite, man muss da wirklich aufpassen. Fujimura also dreht sich knicksend und „Entschuldigung, Entschuldigung“ murmelnd wieder um, während die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Pressebüros wie aus einem Munde „Aber da gibt es doch nichts zu entschuldigen!“ rufen, sie dreht sich also um, hat die Klinke bereits in der Hand, da fällt ihr Blick auf den Ständer links von der Tür, wo allerlei Prospekte aufgereiht sind, Besetzungslisten, der Spielplan, das technische Handbüchlein etc.. Im Herzen dieser Papiere grüßt das Blatt zur Gedenkfeier für Wolfgang Wagner am 11. April. „Oh!“, ruft Mihoko-Fricka, „dürfte ich vielleicht, also nur eines, das wäre, ach!“ Natürlich darf sie, locker sogar zwei oder drei.

Die japanischen Kritiker-Kollegen übrigens, die im Büro anrufen, verbringen die erste Viertelstunde ihres Gesprächs immer noch mit Kondolenzbezeugungen für den „Alten“. Da kommt selbst die nette Wiener Saisonkraft ins Schwitzen, schließlich kann man ja nicht sagen, hören Sie bitte auf damit, Wolfgang Wagner ist am 21. März gestorben, und jetzt haben wir Ende Juli, vier Tage noch bis zur „Lohengrin“-Premiere, in letzter Sekunde musste ein neuer Telramund her – das wäre erstens verwirrend, weil auf Wienerisch, der Japaner muss ja denken, er sei festspielweise in Salzburg gelandet, und zweitens wäre es total unhöflich.

Über 1300 Wagner-Opern durch hat Wolfgang Wagner auf der linken Seitenbühne in Höhe des Inspizienten-Ecks auf einem roten Klappstühlchen gesessen, Abend für Abend für Abend. Ein Schildchen hat er sich machen lassen, „Reserviert für Festspielleitung“, und einen Haken für die Jacke oder den Mantel gibt es auch. Während der Trauerfeier lag eine Rose auf dem Stühlchen, seit Probenbeginn ist seine Sitzfläche mit einem Strick festgebunden. Eva Wagner-Pasquier hat das veranlasst, seitdem sich irgendein Depp einmal dort hingefläzt hatte. Schließlich ist WW erst seit vier Monaten tot, da haben die Damen und Herren Japaner schon Recht.

Das Wolfgang-Wagner-Stühlchen auf der linken Seitenbühne dürfte derzeit der friedlichste Platz auf dem ganzen Gelände sein, denn es ist Generalprobenwoche und die Hölle los. Blechlawinen wälzen sich den Hügel hoch und wieder hinunter, die einzelnen Parkplätze haben Parkplatzwächter bekommen, Bratwürste wandern kilometerweise in Hände und Mägen, und alle sind wahnsinnig wichtig. Bussi, Bussi, Bussi. Wenn Sie mich fragen: Schön ist das nicht. Es stört die Konzentration, wenn man gezwungen ist, Pausengespräche wie das folgende zu belauschen (nach dem ersten Akt „Walküre“, in dem das Wälsungenpaar, Siegmund und Sieglinde, aufeinander trifft, Bruder und Schwester, um wider das Gesetz Siegfried zu zeugen, den Helden):

Sie: Und der Dicke war Siegfried. Er (mit Reclams Opernführer in der Hand): Nee, der heißt anders, warte ... (sucht, blättert) ... hier, Siegmund, der heißt Siegmund. Sie: Und die Frau? Er (entnervt): Keine Ahnung, das steht hier nicht. Sie: Das gibt’s nicht. Er: Doch. Sie: Das waren doch nur die zwei, das muss drinstehen. Er: Drei, es waren drei. Sie: Ach ja, der Kleine mit den Schlitzaugen noch (sie meint Hunding, gesungen von Kwangchul Youn, Anm. d. Red.) - und wer war der noch mal? Er (klatscht ihr den Opernführer hin): Schau doch selber nach. Sie: Du bist ja drauf! Da fährt man einmal nach Bayreuth in seinem Leben, und Du bist voll schlecht gelaunt, na toll. Er schweigt. Sie schweigt auch. Sie (nach mehreren Minuten): Ich glaub, die Frau war seine Mutter.

Müssen wir uns nun Sorgen machen um das Niveau auf dem Grünen Hügel? Oder um das Besetzungsgeschick der Festspielleitung? Wobei, dass Edith Haller nicht die Mutter von Johan Botha sein kann, das sieht eigentlich ein Blinder mit einem Krückstock.

Vielleicht ist Bayreuth doch nicht ganz so aus der Welt, wie es gerne möchte, oder wie man selber immer meint. Bestes Indiz: Am Sonntag hat am Festspielhügel 4, in Hör- und Sichtweise des Opernhauses, die „Walhall-Lounge“ eröffnet. Zunächst nur ein Saisonversuch, schick, aber nicht Schickimicki, so das Motto der Macher. Ein Gläschen Champagner kostet 12,50 Euro, Picknickkörbe werden gereicht, Austern und Trüffelbratwürste. Bei den Koreanern, Vietnamesen, Chinesen, Mongolen und Japanern, heißt es, liefe die Lounge besonders gut. Für Wagner ist denen nämlich nichts zu teuer.

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