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Kultur: Wahl der Schlaffen

Küsse und Schüsse: Tim Staffel inszeniert sein Stück „Hausarrest“ im Berliner Volksbühnen-Prater

Von Peter Laudenbach

Seit seinem Roman „Terrordrom“ gilt Tim Staffel als Experte für Berlin im Ausnahmezustand. Er schreibt Prosatexte und Theaterstücke, in denen die Tage mit einer Schusswunde beginnen, mit Polizeiübergriffen, Eigentumsdelikten und endlosem Fernsehkonsum weitergehen und mit etwas Glück in den Zärtlichkeiten schwuler Liebespaare enden. Küsse und Schüsse liegen dicht beieinander. Aber die Schüsse, Explosionen und Messerstechereien wirken oft, als seien sie aus einem düsteren B-Movie oder einem Computerspiel in die Kreuzberger Straßenszenen kopiert, während die schwulen Liebesgeschichten anrührend zart und verletzlich sind.

„Sowas wie mit dir ist mir noch nie passiert“, sagt dann plötzlich ein Verliebter, während vor dem Fenster eine Straßenschlacht tobt. „Das ist der Moment, an den ich nicht geglaubt habe“, antwortet sein neuer Geliebter, und bei Staffel klingt so eine Szene seltsamerweise weder peinlich noch kitschig, sondern ungeschützt, naiv und ehrlich. Die Gewalt ist in seinen Texten weit irrealer, klischeehafter als die Momente vorsichtiger Zärtlichkeit. Die Liebesgeschichten sind echt, die Bürgerkriegsszenarien nur die comichaft-grelle Begleitmusik, nicht viel mehr als ein ungemütliches Hintergrundrauschen, Apokalypso-Pop. Diesen Mustern der Wirklichkeitswahrnehmung folgt auch Staffels neues Theaterstück „Hausarrest“, dessen Uraufführung er zum Spielzeitauftakt im Prater der Volksbühne selbst inszeniert hat.

Mord mit Schraubenzieher

„Hausarrest“ handelt von einem halben Dutzend junger Menschen, die sich irgendwie durchschlagen, ein wenig ratlos und ein wenig sehnsüchtig. Cihan (dargestellt von Tamer Yigit) hat früher Fußball gespielt und läuft jetzt ziellos durch sein Leben. Fragt ihn jemand, weshalb er nichts aus sich macht, antwortet er nur: „Nicht vermittelbar. Nicht vermittelbar.“ Ella (Claudia Splitt) hat früher mal in einem Autohaus gearbeitet, aber dann hat ihr kleiner Bruder dieses Autohaus überfallen und einen Wachmann umgebracht, indem er mit einem Schraubenzieher auf ihn eingestochen hat. Ein Polizist hat ihn erschossen, und seitdem kann Ella nur noch davon reden, wie ihr Lebern früher war, bevor es einfach so zerbrochen ist. Boris (Christoph Bach) kann nichts mit sich anfangen, er kann nur Comics zeichnen. Und sein Halbbruder Tom (Simon Böer) ist bei der Feuerwehr rausgeflogen und verliebt sich in Luke (Maxim Mehmet). Karl (Marcus Roese) hängt derweil den ganzen Tag zu Hause rum und spielt Gitarre. Er hat sowieso keine andere Wahl. Seitdem er rechtskräftig verurteilt wurde, muss er eine elektronische Fußfessel tragen und darf die Wohnung nicht verlassen. Diese Bruchstücke von Biografien montiert Staffel lakonisch aneinander, als seien es kleine, kaputte Musikstücke – lauter Fragmente halb verunglückter Lebensläufe, genau beobachtet und mit trockener Zuneigung zu den Figuren erzählt.

Bier und Molotow-Cocktails

Traditionsgemäß rumort im Hintergrund die Gewalt auf den Strassen. Das gute, alte Kreuzberg verwandelt sich am Vorabend des 1. Mai in ein Bürgerkriegsszenario mit prügelnden Polizisten, brennenden Straßen und geschäftstüchtigen Russen, die als Profis der Dienstleistungsgesellschaft den aus Schwaben angereisten Krawalltouristen Bier und Molotow-Cocktails verkaufen. Staffel spielt gern mit Klischees, und dass er ausgerechnet ein schon lang entleertes, längst völlig unpolitisch gewordenes Ritual wie die Kreuzberger „Maifestspiele“ als Kulisse seines Stücks verwendet, ist nicht ohne höhnische Ironie: ganz Kreuzberg ein Erlebnispark, die Straßenschlacht eine Form von Extremsport, in der sich ziellose Gewalt entlädt. Die Bühne im Prater ist die gleiche wie in der letzten Spielzeit, eine vergammelte Zimmerflucht, in der die Figuren ohnehin nicht viel anderes machen können als auf den Matratzen oder vor dem Fernseher abzuhängen.

Slackertum als Existenzform, der Leerlauf der Tage als Dauerzustand. Leider hängt dann auch die Inszenierung ziemlich schlaff durch, so dass der dichte Text eher als Hörspiel am Publikum vorbeirauscht, als in der Theateraufführung szenische Kraft zu entwickeln.

Weitere Vorstellungen am 3., 4., 8. und

9. Oktober. 20 Uhr

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