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Kultur: Wahlen in Serbien: Kein kurzer Prozess

Die Einladung ist nicht neu. Goran Slivanovic hat sie wenige Tage nach der Parlamentswahl in Serbien am vergangenen Wochenende nur noch einmal wiederholt.

Die Einladung ist nicht neu. Goran Slivanovic hat sie wenige Tage nach der Parlamentswahl in Serbien am vergangenen Wochenende nur noch einmal wiederholt. Der jugoslawische Außenminister sagte am Montag in einem Rundfunkinterview, dass das Haager Kriegsverbrechertribunal stets in Belgrad willkommen sei. Was er damit meinte? Dass sich die Belgrader Regierung ein Gerichtsverfahren wegen Wahlbetrugs und anderer Machenschaften gegen Milosevic vorstellen kann ebenso wie ein Verfahren des Jugoslawientribunals gegen Milosevic. Allerdings: beides in Belgrad. So erscheinen Slivanovics Ausführungen zwar diplomatisch weise, doch verdecken sie Zweierlei. Zum einen, dass die neuen Machthaber bisher nicht gewillt waren, überhaupt nur an einen Prozess gegen Milosevic wegen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Kosovo zu denken und schon gar nicht an eine Auslieferung. Und zum anderen, dass der Vorschlag nicht besonders realistisch ist. Denn einen "Auslandseinsatz" sieht das Statut des Jugoslawientribunals nicht vor. Die Belgrader Regierung wird sich schon entscheiden müssen, ob sie dem bestehenden internationalen Haftbefehl nachkommen will oder eben nicht.

Und danach sieht es nicht aus. Der designierte Ministerpräsident Zoran Djindjic hat zwar angekündigt, Milosevic vor Gericht zu bringen. "Schon in den Zeitungen gibt es genug Hinweise, um mit Ermittlungen zum Machtmissbrauch zu beginnen. Ich glaube, es wird im Januar passieren", sagte Djindjic. Doch damit ist nur die jugoslawische Gerichtsbarkeit gemeint. Kommt das Haager Tribunal ins Gespräch, spielen sich Djindjic und der neue jugoslawische Staatspräsident Kostunica geschickt gegenseitig die Verantwortlichkeiten zu. Schon wenige Tage nach der Revolution in Serbien und dem Sturz Milosevics hatte Djindjic sich gegen eine Auslieferung des Diktators ausgesprochen, weil das der Verfassung widerspreche. Zudem, so Djindjic, sei die Frage der Auslieferung ein Problem von Kostunica, weil der Milosevic zugesichert habe, er werde ihn nicht überstellen. Djindjic sagte auch, der neue Präsident müsse "einschätzen, ob dieser "Preis in den Gesprächen mit den internationalen Partnern zu hoch sei".

Kostunica selbst hat sich eine eigene Sprachregelung angeeignet und wiederholt gebetsmühlenartig, es seien im Moment wichtigere Dinge in Serbien zu tun, als an die Frage einer Auslieferung zu denken. Weder Djindjic noch Kostunica machen ein Geheimnis daraus, dass sie die Anklage gegen Milosevic für einen "fürchterlichen Fehler" (Kostunica) halten. Kostunica sagte in einem Interview mit dem "Spiegel": "Das größte Verbrechen, eines, das schwerer wiegt als Kriegsverbrechen, hat Milosevic am serbischen Volk begangen." In diesem Interview machte er auch seinen Standpunkt von Verantwortlichkeiten deutlich, spielte Djindjic den Ball wieder zurück und sagte: "Im Übrigen ist das Parlament zuständig für ein Auslieferungsverfahren."

Auch die Gesellschaft ist gespalten

Im Frühsommer 1999 hat das Haager UN-Tribunal gegen Milosevic und weitere drei Mitglieder der Belgrader Führung Anklage erhoben. Chefanklägerin Arbour, wirft ihnen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Mord und Deportationen in Kosovo vor. Die Anklageerhebung wurde von verschiedenen Seiten heftig kritisiert. Der russische Botschafter bei den Vereinten Nationen, Lawrow, erklärte, dass dieser juristische Schritt die politischen Bemühungen um eine Beendigung des Krieges ernsthaft unterlaufe.

Auch die serbische Gesellschaft ist über die Frage "Ausliefern oder nicht" gespalten. Nach Auffassung der Dramatikerin und Menschenrechtlerin Ana Miljanic vom Belgrader "Zentrum für kulturelle Dekontamination" hätte man Milosevic sofort ausliefern müssen, gleich am 5. Oktober. "Das war die Chance", sagt Miljanic, "die Leute waren sogar zu noch viel größeren Umwälzungen bereit. Der 5. und der 6. Oktober", sagt sie, "das war wie zwei Epochen in zwei Tagen. Jetzt ist alles schwieriger. Aber heute stellen wir die Weichen dafür, ob wir so enden wie Rumänien und Bulgarien oder tatsächlich ein Teil Europas werden."

Der Schriftsteller Dzevad Karahasan sieht es anders. Im Tagesspiegel schrieb er: "Milosevic, Karadzic und die anderen Politkriminellen müssen vor ein Gericht. Dabei wäre ein Prozess in Serbien wohl heilsamer als das Haager Tribunal. Es wäre ein Akt der Selbstreinigung und Selbsterkenntnis: die beste Katharsis - nach der Tragödie."

Auch für die Völkerrechtler ist eine Antwort auf das Problem nicht so einfach. Bruno Simma, Völkerrechtsexperte an der Universität München und Mitglied der UN-Völkerrechtskommission, weiß das nur zu genau: "Aus rein juristischer Perspektive ist es so: Selbst wenn die jugoslawische Gerichtsbarkeit Milosevic wegen bestimmter Verbrechen verurteilen würde, so wäre Belgrad nicht aus der internationalen Pflicht entlassen, ihn wegen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit und wegen der Kriegsverbrechen an das Tribunal auszuliefern."

Simma glaubt aufgrund der bisherigen Aussagen von Kostunica und Djindjic nicht daran, dass Belgrad Milosevic tatsächlich eines Tages überstellen werde. Seiner Ansicht nach stecke die westliche Staatengemeinschaft aufgrund des Internationalen Haftbefehls in der Klemme. Denn, sagt Simma, einerseits wäre es politisch absurd, beispielsweise Wirtschaftshilfen von einer Auslieferung abhängig zu machen, andererseits kann man die Anklage auch nicht einfach zurücknehmen. Denn die Verbrechen seien nunmal begangen worden und müssten auch gesühnt werden. Simma plädiert deshalb dafür, dass die westlichen Regierungen weiterhin die "Forderung an Belgrad, Milosevic auszuliefern, aufrecht erhalten".

Doch wie im Fall des chilenischen Ex-Diktators Pinochet wird es wahrscheinlich nie zu einem Urteil gegen Milosevic wegen der Verletzung der Menschenrechte kommen - aufgrund politischer Kompromisse. Noch ist vor dem Haager Tribunal kein ehemaliger verantwortlicher Staatschef verurteilt worden. Und deshalb, findet Bruno Simma, "steht die letzte Glaubwürdigkeitsprüfung für das Tribunal noch aus".

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