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Kultur: Wahre Liebe

MUSIKZIMMER Diedrich Diederichsen über Compilations als Modegag Wenn das so weitergeht mit den Schwanengesängen auf die Musikindustrie, erscheint hier bald eine andere Kolumne von mir. Sehnsüchtige Aufzeichnungen nämlich, von einer blassblauen Frauenhandschrift notiert: „Meine schönsten Erlebnisse mit der Musikindustrie“.

MUSIKZIMMER

Diedrich Diederichsen über

Compilations als Modegag

Wenn das so weitergeht mit den Schwanengesängen auf die Musikindustrie, erscheint hier bald eine andere Kolumne von mir. Sehnsüchtige Aufzeichnungen nämlich, von einer blassblauen Frauenhandschrift notiert: „Meine schönsten Erlebnisse mit der Musikindustrie“. Als sie noch voll im Saft stand, natürlich. Zum Beispiel damals im Portobello-Hotel in London, als...nun, ich will nicht vorgreifen, noch gibt es sie ja.

Warnen möchte ich allerdings vor der zurzeit um sich greifenden Euphorie, es könne nach einem erwarteten Kollaps der Majors ein goldenes Zeitalter ausbrechen, ausgelöst durch eine Art globales und allgemeines Independent-Wesen mit lauter beherzt geführten Klitschen, deren Chefs, so heißt es in diesen Texten dann immer: „die Musik lieben“. Nehmt Euch vor Leuten in Acht, die die Musik „lieben“! Die gartenzaunozentrischen Indie-Spießer sind nun ebenso wenig die Lösung des Problems, wie die Fitnessgruppe den Tod abschaffen wird. Am besten ist es der Musik gegangen, als die Schallplattenfirmen kleine unwichtige Abteilungen ansonsten relativ riesiger Unterhaltungskonzerne waren und sich niemand um sie kümmerte. Solche Abteilungen würden natürlich heute platt gemacht werden, und deswegen sehe ich auch keine Lösung. Wie wär’s mit kleinen kommunistischen Kollektivunternehmen, die von Leuten geführt werden, die die Musik hassen?

Junge Leute von heute

Anyway. Eines der Ergebnisse der rundum verachtenswerten heutigen Major-Kultur ist sicher das Ende des Albums als relevantes Format für heranwachsende Fans. Auch hier muss man natürlich gleich zugeben, dass einige der übelsten Tonträger aller Zeiten Alben waren, heiß „geliebt“ von allen Beteiligten. Dennoch, glaube ich, ist ohne den Referenzgegenstand Album keine längerfristige Verständigung über einen Stand der Dinge möglich. Geschichte hört ganz auf. Junge Leute von heute kaufen, wenn sie denn kaufen, aber nur Tonträger, die den selbstgebrannten CDs auch in ihrer Abwechslungsdramaturgie ähnlich klingen, also Compilations. Solange es sich dabei nicht um die manchmal ganz interessante Selbstdarstellung eines Labels handelt oder um lapidare Hitaparaden-Bilanzen, werden diese meistens durch irgendein Thema zusammengehalten. Vom übelsten Kuschelrock bis zur After-Ambient-Serie im Namen des ibizenkischen Cafe del Mar: Immer gibt der Anlass der Kompilation auch etwa den funktionalen Anlass des Hörens in einem durchrationalisierten Scheiß-Alltag vor.

Diese Tristesse durchbricht seit einiger Zeit eine neue Geschäftsidee, die natürlich aus Frankreich kommt. Anders als durch die blöde und verbreitete Idee, dies sei die Musik, die in einem bekannten Club hätte gespielt werden können, werden hier Hits und vor allem Hit-Remixe durch bestimmte Modelabels zusammengefasst und -gruppiert. Die wahrscheinlich fiktive, aber plausible Behauptung lautet, dass jede Compilation einer Modewoche entspräche und die einzelnen Tracks bei den Schauen der einzelnen Labels oder Designer gespielt worden wären. Seit Comme des Garcons sich in den mittleren Neunzigern einmal eine ganze Show von Markus Popp/Oval mit subtilem elektronischen Schnipsellärm beschallen ließen, genießt der vermeintlich hoch entwickelte Musikgeschmack von Modemachern in der Musikwelt eine exzellente Reputation.

Die eine Serie kommt als Doppel-CDs in Pappkartons daher und heißt „The Music From the Fashion Week“, momentan sind wir bei Folge 3 angelangt. Und wer noch nicht genügend formidable Akufen- und Miss-Kittin-Remixe zuhause hat, wird von dieser in jedem Kulturkaufhaus erhältlichen Serie bestens bedient. Am liebsten wird auf entfernt electroclashige Coverversionen von alten Welthits zurückgegriffen, zu denen man sich dann eine Kollektion vorstellen kann: Hanayo mit „Joe le taxi“ (Dolce & Gabanna), Queen of Japan mit „Do You Think I am Sexy“ (Paul Smith) oder – Highlight! – Saint Etienne mit „La poupée qui fait non" (Cacharel). Das Konzept erinnert mich an eine Fotostrecke der holländischen Modezeitschrift „Dutch“, die eine Horde nackter männlicher und weiblicher Models in einer faschistoid-utopischen Modestrecke beim Pfeil-und-Bogen-Schnitzen oder Ernteeinbringen dokumentierte. Unter jedem Bild stand der Name eines Designers oder eines Labels, was immer einen Sinn ergab.

Noch besser gefällt mir die von der Boutique Colette herausgegebenen und wunderschön designte Doppel-CD-Serie (farbige Typo auf durchsichtigen Jewel-Boxes), die aus jeweils einer CD mit sehr geschmackssicher, aber ganz unesoterisch zusammengestellten Club-Hits und einer weiteren von DJs gemischten CD besteht. Genau die Sorte Musik von Rapture bis LCD Soundsystem, die einen angenehm an die Gegenwart erinnert, in der man lebt, ohne von besonderen Ambitionen, Kunstfertigkeiten oder Distinktionsstrategien des DJs zu künden. Leider schwer erhältlich (www.colette.fr), aber immer sehr now.

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