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Kultur: Wahrheit, die elektrisiert

Die Außenseiterchancen sind nicht die schlechtesten. Ingo Metzmacher, der junge Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper, nutzte sie glänzend in der heißen Endphase des Musizierens um die Abbado-Nachfolge.

Die Außenseiterchancen sind nicht die schlechtesten. Ingo Metzmacher, der junge Generalmusikdirektor der Hamburgischen Staatsoper, nutzte sie glänzend in der heißen Endphase des Musizierens um die Abbado-Nachfolge. Mit großer Gelassenheit, kühlem Kopf und engagiert bis in die äußersten Haar- und Fingerspitzen trat er ans Pult der Philharmoniker und lieferte mit der Siebten von Beethoven und der gleichfalls Siebten von Hartmann ebenso souverän aufgebaute wie packende Interpretationen ab. Deren Formen und Strukturen erreichten dabei bis in die kleinsten Verästelungen Konturenschärfe. Bereits die langsame Einleitung zur Beethoven-Symphonie vollzog sich in einem beunruhigend schönen, klug gestaffelten Spannungsbogen, einer starken inneren Dynamik, wie man sie kaum je zu hören bekam. Und so furios zum Abschluß (!) die siebte Symphonie von Karl Amadeus Hartmann über die Bühne ging - Metzmacher verdeutlichte im Adagio mesto mit elektrisierender Intensität, daß Hartmann, der während des Zweiten Weltkrieges verfemte Komponist, der die Katastrophen mitleidend erlebte und reflektierte, gerade in seinen Symphonien "ein Stück absoluten Lebens darstellen" wollte: "Wahrheit, die Freude bereitet und mit Trauer verbunden ist." Mit solch musikalischer Konsequenz und Vorstellungskraft hat das Anliegen Hartmanns bislang kaum ein anderer Dirigent zum Ausdruck gebracht. Da war kein Mangel an glühender Farbigkeit und expressiver Brillanz. Die satztechnischen Kunststücke, die haarigen polyphonen Binnenstrukturen, die blockhaften Ausbrüche, die Hartmann auch in seiner Siebten auf die Spitze treibt, bewältigten die Philharmoniker unter Metzmacher mit atemberaubender Bravour.

Und der Beethoven? Er fiel so herrlich unkonventionell und harsch aus, daß er damit einige Hörer verstört haben muß. Aber die wenigen Buhrufe (schon das ist in der Philharmonie eine erfrischende Abweichung von der Norm) gingen unter in begeisterter Zustimmung. Metzmacher formte alles äußerst konzentriert und energisch aus und entpuppte sich doch immer wieder auch als eleganter Musikant mit perfekter Schlagtechnik. Ältere Musikmenschen werden an Begegnungen mit Erich Kleiber gedacht haben. Die rhetorische Schärfe, die von Metzmacher entfachten Feuerstürme und heftigen Tempi im dritten und vierten Satz, die an die Grenze des Spielbaren und Nachvollziehbaren gingen, waren gewiß eine Herausforderung. Aber wann hat man schon mal das Allegretto in einer so großartigen Elastizität, gestalterischen Größe und agogischen Biegsamkeit, das oft gedankenlos heruntergesäbelte Finale so freudetrunken, geradezu angejazzt und dabei so plastisch modelliert geboten bekommen? Jeder einzelne instrumentale Charakter gewann sprechende Lebendigkeit. Dabei beeindruckten nicht weniger in der Einleitung zum Vivace wie zum Allegretto die vielen luziden Klangwirkungen, die hingehauchten Pianissimostellen, überhaupt die immer wieder faszinierende Kraft des Leisen, die Metzmacher bei seinem Beethoven zutage förderte. Da begab sich in der Tat Extremes, musizierten die Philharmoniker so außergewöhnlich aggressiv wie subtil. Ein aufsehenerregendes Konzert.

Noch einmal heute, 20 Uhr, Philharmonie

ECKART SCHWINGER

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