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Verlorener Posten. Johnny Depp spielt in „Waiting for the Barbarians“ Oberst Joll, einen skrupellosen Militär.

© Fabrizio Di Giulio

„Waiting for the Barbarians“ im Stream: Johnny Depp spielt einen skrupellosen Grenzschützer

Die Literaturverfilmung „Waiting for the Barbarians“ erzählt von der Grausamkeit des Kolonialismus'. Probleme und Verdienste des Films liegen nah beieinander.

Ein Gesicht ist hinter den dunklen, runden Brillengläsern nicht zu erkennen, die Kopfbedeckung kann sich nicht so recht zwischen Helm und Hut entscheiden, ein merkwürdiger schwarzer Umhang liegt über der Uniform: Selbst wenn man ihm noch nicht in die Augen sehen kann, sieht der Mann, der aus der Kutsche steigt, in seiner etwas albernen Strenge sofort nach Johnny Depp aus.

Doch „Waiting for the Barbarians“ ist keine jener Fantasy-Grotesken, in denen ein extrovertierter Depp seine Lust an der Übertreibung feiert. Grotesk geht es mitunter zu in diesem Film, und der Schauplatz von Ciro Guerras Literaturverfilmung entstammt tatsächlich der Fantasie.

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Doch Depp verzieht kaum eine Miene. Er spielt Oberst Joll, einen skrupellosen Militär, der in einem eher verlassenen Wüstenort die Grenzen eines nicht näher benannten Großreiches verteidigen soll – gegen eine angebliche Bedrohung durch Nomadenstämme in der Umgebung.

Die knittrigen Sorgenfalten auf der Stirn von Mark Rylance bilden den Gegenpol zu Depps kantig-glattem Kinn. Rylance spielt den namenlosen Magistrat, ein gutmütiger Ortsvorsteher, der noch keiner Fliege etwas zuleide getan hat. Und der deshalb erschrocken ist über die neuen Verhörmethoden, mit denen Joll die vermeintlichen Barbaren malträtiert. „Schmerz ist Wahrheit, alles andere kann man anzweifeln“, erklärt der Oberst.

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Diesen Satz hat Literaturnobelpreisträger J. M. Coetzee direkt aus seinem Roman in das Drehbuch übertragen, das er für Regisseur Guerra schrieb. Bereits vor vierzig Jahren ist „Waiting for the Barbarians“ erschienen, wurde damals als eine Parabel auf das Südafrika der Apartheid interpretiert, erwies sich später aber auch als offen für allerlei Aneignungen. Komponist Philipp Glass etwa strickte 2005 eine Oper aus dem Stoff und wies auf dessen Parallelen zum Irakkrieg hin.

Die neueste Version ist nun eine ziemlich entgrenzte Unternehmung: Ein kolumbianischer Filmemacher adaptiert den Roman eines südafrikanischen Schriftstellers, dreht in Italien und im Atlasgebirge von Marokko, mit US-amerikanischen Darstellern als Kolonialisten und mongolischen als Barbaren.

„Waiting for the Barbarians“ steht produktionsseitig für eine globalisierte Filmindustrie und inhaltlich für die Allgegenwärtigkeit und Zeitlosigkeit des Kolonialismus, seine weltumspannende Wirkung.

[ab 5. November als Stream u.a. bei Amazon, iTunes, Maxdome und auf DVD]

So ist die Adaption von Coetzees Roman eine folgerichtige Entwicklung im Werk von Ciro Guerra. „Der Schamane und die Schlange“, sein internationaler Durchbruch, erzählte in epischen Schwarz-Weiß-Bildern von einem deutschen Anthropologen, der Anfang des 20. Jahrhunderts die indigenen Völker des Amazonasdschungels studieren will. Mit „Birds of Passage“ folgte ein Film über eine subtilere westliche Einflussnahme in Lateinamerika: den Beginn des kolumbianischen Drogenhandels in den 70er Jahren.

Nach den konkreten Bestandsaufnahmen kolonialer Geschichte und postkolonialer Kontinuität betritt Guerra mit dem 2019 in Venedig uraufgeführten „Waiting for the Barbarians“ nun allegorischen Boden.

In den Dialogen geht es eher behäbig zu

Dabei geht seinem neuen Film ein wenig die Intensität ab, die sich in der Dramatisierung konkreter geschichtlicher Materie sonst herstellte. Zwar besticht auch „Waiting for the Barbarians“ in seinen Westernsequenzen mit betörenden Landschaftsaufnahmen.

Doch in den Dialogszenen geht es eher behäbig zu, die Darsteller sprechen in einen Raum, der ohne konkreten Bezug ziemlich hohl wirkt. So entzieht die Abstraktion, die auf das Universelle des Erzählten abzielt, der Erzählung ein wenig das Leben.

Probleme und Verdienste dieses Films liegen nah beieinander. Wenn der Magistrat, im Roman auch der Ich-Erzähler, eine von den kolonialen Barbaren misshandelte Nomadin gesund pflegt, dann spielte diese nur als Motor für das erwachende Unrechtsbewusstsein des Protagonisten eine Rolle. Andererseits ist es beeindruckend, wie Spielberg-Veteran Mark Rylance den politischen Kern des Films herauskitzelt: Dem guten Kolonialisten geht allmählich auf, dass es gute Kolonialisten gar nicht geben kann.

Till Kadritzke

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