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Johnny Depp und Mark Rylance (rechts) in Ciro Guerras „Waiting for the Barbarians“.

© Filmfestival Venedig

„Waiting for the Barbarians“ in Venedig: Es gibt keine guten Kolonialisten

Starker letzter Eindruck eines Festivals mit vielen Kontroversen: „Waiting for the Barbarians“ mit Johnny Depp über die Schrecken des Kolonialismus.

Von Andreas Busche

Auch auf dem Lido wurde in diesem Jahr viel über weiße Männer gestritten. Nicht zuletzt dank Jurypräsidentin Lucrecia Martel, die bestimmt, aber diplomatisch Festivalleiter Alberto Barbera bei öffentlichen Anlässen wiederholt in die Pflicht nahm. Die 76. Filmfestspiele von Venedig boten – wieder, muss man sagen – reichlich Anlass zu Kontroversen: Mit Haifaa al Mansour aus Saudi-Arabien und der Australierin Shannon Murphy waren nur zwei Frauen im Wettbewerb vertreten, die sich zudem als Löwen-Anwärterinnen nicht unbedingt aufdrängen. Dafür ist der umstrittene Roman Polanski im engeren Favoritenkreis, der sich mit seinem Dreyfus-Biopic „J’accuse“ gute Chancen ausrechnen kann.

Martel hat es sich mit ihrer Kritik an Polanski gleich zu Beginn des Festivals nicht leicht gemacht. Möglicherweise wird sie nun aus politischen Gründen unter Druck stehen, „J’accuse“ bei der Preisvergabe nicht zu übergehen. Andererseits hat die argentinische Regisseurin bei aller Kritik – auch an Barbera – stets deutlich gemacht, dass die Juryentscheidung ausschließlich nach künstlerischen Kriterien getroffen wird.

Zur Hilfe kommt ihr am letzten Festivaltag womöglich der Kolumbianer Ciro Guerra mit seinem englischsprachigen Debüt „Waiting for the Barbarians“, das auf dem gleichnamigen Roman des Nobelpreisträgers J. M. Coetzee basiert (der auch das Drehbuch schrieb).

Mark Rylance spielt den Verwalter eines entlegenen Wüstenpostens (gedreht wurde im Atlasgebirge) am Rand des „Empire“. Das Zusammenleben verläuft friedlich: Er ist ein gutherziger Imperialist, der erst durch die Ankunft des sadistischen Colonel Joll (Johnny Depp) aus seinem kolonialen Idyll gerissen wird.

Die Soldaten (darunter Robert Pattinson) erwarten einen Angriff der „Barbaren“ und gehen darum mit äußerster Brutalität gegen die friedlichen Nomaden in den Bergen vor. Als der Verwalter eine junge indigene Frau (Gana Bayarsaikhan) in der Siedlung aufnimmt, die verkrüppelt in der Wüste zurückgelassen wurde, beginnt er, an seiner Mission zu zweifeln.

Alle genießen das Privileg ihrer Macht

Martel dürfte sich wohlwollend an ihren Film „Zama“ erinnert fühlen, der 2017 in Venedig lief. Während ihr Kolonialist aber ein niederer Beamter ist, den selbst die Indigenen lächerlich machen, bleibt Rylance’ Verwalter in seinem Altruismus ambivalenter. „Sie glauben, Sie wären der große Gerechte“, sagt der Colonel voller Verachtung. Er versteht, dass es einen guten Kolonialisten nicht gibt: Alle genießen das Privileg ihrer Macht.

Nach seinem übersinnlichen Gangsterepos „Birds of Passage“ ist Guerra ein auch in seinen Ambitionen großer Historienfilm gelungen, der sich dennoch nie von der Landschaft oder seiner Ausstattung überwältigen lässt. Die Bildkompositionen von „Waiting for the Barbarians“ tendieren zum Lyrisch-Abstrakten, doch die Gewalt ist erniedrigend und schonungslos. So hinterlässt das Festival noch einen starken Eindruck.

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