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Kultur: Waldgeister und Amöben

Wiederentdeckt: der Symbolist Odilon Redon in der Frankfurter Schirn

Es ist ein ähnlich fundamentaler Wechsel wie die Umstellung von Schwarz-Weiß- auf Farbfilm. Bis 1890 arbeitet Odilon Redon (1840–1916) überwiegend in Schwarz-Weiß. „Noirs“ nennt er seine oft großformatigen Kohlezeichnungen und Lithografien, die sattestes Schwarz und feinstens differenzierte Grautöne verbinden. Eine Nacht-, Traum- und Albtraumwelt voller fantastisch mutierter Wesen, Pflanzen, Tiere, geschult an Rembrandt, Goya, Delacroix. Ein immerwährendes Mondlicht liegt über den Wassern, und es scheint viel Druckerschwärze ins Blatt geflossen. Sehr literarisch sind diese Blätter, viel Baudelaire, viel Edgar Allen Poe. Da tanzen, fast surrealistisch, lächelnde Spinnen langbeinig übers Blatt oder weinen bitterlich. Ein skelettartiger Waldgeist posiert, und ein Gebiss grinst bleckend im Regal.

Nach 1890 dann der Wechsel, 180 Grad. Leuchtendste Farben seitdem, Tiefblau, Sattrosa, Sonnengelb. Das flimmert und glüht, regenbogenfarben bunt, in Pastell und in Öl. Auch die Motive wandeln sich grundlegend. Harmlose Blumensträuße zunächst, umschwirrt von nicht ganz so harmlosen Insekten, das wirkt noch wie bloße Farbstudien. Mythologische Themen tauchen auf, Apoll und der Sonnenwagen, dazu Venus und die verführerisch schimmernde Muschel. Vor allem aber überwiegen im Spätwerk religiöse Themen, Eremiten, Madonnen, Christus am Kreuz. Und Kirchenfenster, geheimnisvoll im Dunkel leuchtend, nachtblau und flammendrot, der Geist der Gotik, wiedergeboren in Öl. Ein altersgläubig gewordener Künstler? Oder Malen als Gottesdienst, und die Farbe als paradiesische Verheißung?

Odilon Redon ist einer der Sonderlinge der Kunstgeschichte, heute gut vergessen, obwohl er einst in einem Atemzug mit Cézanne genannt wurde. Einer, der immer am Rande stand, nicht im Kunstzentrum Paris zu Hause war, sondern im bürgerlichen Bordeaux, wo er nicht der Erfolgsspur der Impressionisten folgte, sondern auf seinen symbolistischen Eigenwelten beharrte. Ein Außenseiter, von Jugend an: Die Eltern schoben den kränklichen Knaben zu Verwandten aufs Land ab, auf das Landgut Peyrelebarde, Einsamkeit ist vorprogrammiert, und die Beschäftigung mit der weiten, kargen Landschaft des Medoc. Ein Hochbegabter, fast eine Proust-Figur, dieser Redon: spielt hervorragend Geige, musiziert mit Debussy und Ravel, betätigt sich als Literat und Essayist, pflegt Freundschaften zu Mallarmé, Baudelaire und Huysmans – der in seinem Roman „À Rebours“ ein Redon-Bild beschreibt –, später zu Paul Claudel und André Gide. Dichter hätte er werden können, auch Musiker, vielleicht auch Mönch; als Maler ist er ein Spätberufener. Man könnte ihn sich, der physiologischen Ähnlichkeit wegen, von John Malkovich gespielt vorstellen. Und hätte, statt eines Einblicks in das mit 3000 Bildern immense Werk, lieber mehr über den Schöpfer erfahren.

Nun unternimmt die Frankfurter Schirn Kunsthalle den Versuch, diesen Exzentriker, den „Prinz des Traums“, für Deutschland wiederzuentdecken. Die letzte Ausstellung in der Kunsthalle Bremen liegt 20 Jahre zurück, seitdem wurde Redon zwar in den USA gefeiert, in Deutschland jedoch weitgehend missachtet. Doch der Boden ist bereitet: Brüder im Geiste wie der belgische Eigenbrötler James Ensor oder der Farbmagier Yves Klein haben in der Schirn ihren großen Auftritt gehabt. Und tatsächlich hat Redon 1892 ein kleinformatiges Bild gemalt, „Die goldene Zelle“, ein Frauenprofil, das von so strahlendem Blau ist, als habe er Klein vorweggenommen. Und mit Ensor teilt er den skurrilen, schwarzhumorigen Unterton seiner Bilder.

Und doch wäre all das eine literarische Fußnote, eine kunsthistorische Wiedergutmachung, noch kein Beweis der Modernität, ja Aktualität. Diese speist sich aus anderer Quelle. Früh schon hat sich Redon für zwei Disziplinen interessiert: Psychologie und Biologie. Die Freundschaft mit dem Naturwissenschaftler Armand Clavaud hatte ihn in Berührung mit dem Darwinismus, mit den nur mit dem Mikroskop erkennbaren Mikrowelten der Biologie gebracht. Und so schwirren und schlängeln sich Einzeller, Amöben, Kaulquappen durch seine Bilder, brechen wie eine Lawine durch ein Kirchenfenster. In dieser Fixierung auf Naturwissenschaften ist Redon ein Pionier. Nur zum Träumen bringt er uns nicht mehr.

Schirn Kunsthalle Frankfurt, bis 29. April. Katalog (Hatje Cantz) 29,80 €

Christina Tilmann

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