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Saubere Weste. Kurt Waldheim (1918–2007) war von 1986 bis 1992 Bundespräsident Österreichs.

©  Salzgeber

„Waldheims Walzer“ im Kino: Ein ganz normaler Soldat

Rechtspopulismus in Österreich: Ruth Beckermann erinnert in ihrem Dokumentarfilm „Waldheims Walzer“ daran, dass es das in den 80er Jahren schon einmal gab.

Vor fünf Jahren fiel Ruth Beckermann beim Aufräumen eine vergessene VHS-Kassette in die Hand. Gespeichert war darauf eine Kopie verloren gegangener eigener Aufnahmen von 1986, als die Filmemacherin mit einem Videorekorder die Protestaktionen gegen den österreichischen Präsidentschaftskandidaten und ehemaligen UN-Generalsekretär Kurt Waldheim (Slogan: „Ein Österreicher, dem die Welt vertraut“) als Kamerafrau und Aktivistin begleitet hatte.

Beckermann sah sich das alte Material erneut an und entschied sich angesichts des historischen Kontextes von 2013, die Affäre Waldheim in einem Filmprojekt dokumentarisch aufzurollen. Schon damals, Jahre vor der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten, war für sie das latente, wenngleich noch nicht greifbare Anwachsen des Rechtspopulismus in vielen Ländern spürbar. Und gerade in Österreich war die FPÖ schon lange ein politischer Faktor.

Unheimlich vertraute Redeweisen

So sichtete sich Beckermann jahrelang durch Bildarchive, um das eigene Monochrome-Material mit anderen, meist journalistischen Filmdokumenten zu verknüpfen. Montiert ist das als Countdown von der Veröffentlichung der SA-Wehrstammkarte Waldheims im Politikmagazin „Profil“ am 3. März 1986 bis zur Stichwahl am 8. Juni, wobei von Beckermann gedrehte Demonstrationen grölender Waldheim-Unterstützer in Wien und die Enthüllungen durch den World Jewish Congress eine strukturierende Funktion einnehmen. Größeren Raum aber haben die Verteidigungs- und Ablenkungsmanöver im Umfeld des Kandidaten, die von Appellen an das österreichische Volksempfinden („ein ganz normaler Soldat“) bis zu offenen Antisemitismen reichen. Etwa wenn der ÖVP-Politiker Alois Mock von den Machenschaften „einer kleinen, allerdings einflussreichen Gruppe“ spricht oder von den Dingen, die man „endlich einmal offen sagen“ müsse. Redeweisen, die heute wieder an die Oberfläche kommen. Und wenn Waldheim selbst von einer „groß angelegten Verleumdungskampagne“ spricht, kommt uns auch das – aus anderem Mund – fast unheimlich vertraut vor.

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Es ist eine der Stärken des Films, wie er uns in einer über dreißig Jahre zurückliegenden zeitlich und regional begrenzten Episode konzentriert den Kosmos an Verlogenheiten und Schuldzuschreibungen vorführt, die in den letzten Jahren wieder manifest wurden. Dabei zeigt sich wie im Vergrößerungsglas auch die Funktion des Opfermythos bei der Herstellung kollektiver Identität. Der war im Land des Wiener Walzers sicherlich besonders ausgeprägt. Doch Beckermann berichtet, wie sie bei ihren Festivalreisen und Filmgesprächen rund um die Welt an ganz unterschiedlichen Orten auf Zuschauer stieß, die sich mit dem Gezeigten in Beziehung setzen konnten.

Beckermann und Cutter Dieter Pichler geben den einzelnen Redesituationen ausreichend Raum, sich argumentativ zu entfalten. Und dem von der Regisseurin im persönlichen Ton gehaltenen und auch selbst gesprochenen Kommentar gelingt es klug, die eigentlich problematische Doppelrolle als Akteurin und Filmemacherin zur selbstreflexiven Bereicherung des Films zu wenden. Dort benennt sie auch den wichtigen positiven Effekt der Waldheim-Affäre für den öffentlichen Diskurs des eigenen Landes, das sich in Folge erstmalig langsam aus der Opferrolle emanzipieren konnte. Ein Späteffekt davon dürfte sein, dass der österreichische Fachverband der Film- und Musikindustrie „Waldheims Walzer“ am 4. September trotz der Rechtsregierung für den Oscar als besten fremdsprachigen Film nominierte.

In den Berliner Kinos Acud, Eva Lichtspiele, FSK, Krokodil, Tilsiter Lichtspiele, Wolf

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