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Kultur: War sie ein Antreiber oder nur Angetriebener? Die DDR-Opposition und die Revolution von 1989/90

Interessierten sich vor 1989 nur einige wenige für die DDR-Opposition, hat sich dies nach dem Sturz der sozialistischen Diktatur geändert. Die Frage ist: Welche Rolle spielte die Opposition beim Umbruch 1989/90?

Interessierten sich vor 1989 nur einige wenige für die DDR-Opposition, hat sich dies nach dem Sturz der sozialistischen Diktatur geändert. Die Frage ist: Welche Rolle spielte die Opposition beim Umbruch 1989/90? War sie Antreiber oder Angetriebener? Der Soziologe Detlef Pollack fällt ein hartes Urteil: Nach seiner Meinung lief "das oppositionelle Handeln den Veränderungsprozessen hoffnungslos hinterher". Der Massenprotest habe sich "fast ohne Zutun der Oppositionellen" entwickelt.

Sicher sollte die Bedeutung der Opposition im Herbst 1989 nicht überschätzt oder unterschätzt werden. Aber deren Protagonisten waren doch wohl mehr als nur ein Anhängsel der Revolution. Sie hatten die argumentativen Schienen gelegt, auf denen der Zug der Proteste 1989 in den Bahnhof des Sturzes des SED-Regimes steuerte. Die Parole "Wir sind das Volk" war auch eine späte Blüte der oppositionellen Anstrengungen. Der Slogan "Wir sind ein Volk" markiert dagegen bereits die Differenz zwischen den Massen und den politisch alternativen Bewegungen. Auf der folgenden Wegstrecke hin zur deutschen Einheit liefen die oppositionellen Wortführer den Einheitsparolen der Bevölkerung hinterher.

Im Unterschied zum Gros der Oppositionsforschung interessiert Pollack die Frage, ob die politisch alternativen Gruppen der DDR der Motor der Abrissmaschine waren, die die DDR zum Einsturz brachte, aber nur in zweiter Linie. Er blickt vor allem auf die Geschichte der politisch alternativen Gruppen in den siebziger und achtziger Jahren. Aus dieser Perspektive fragt er: Wie konnten diese Gruppen entstehen? Was motivierte sie angesichts fortdauernder Erfolglosigkeit zum Weitermachen?

Haben die Werke zur DDR-Opposition oft darstellenden Charakter, ohne einen theoretischen Anspruch zu erheben, so hat sich Pollack andere Ziele gesetzt. Er bedient sich der Methoden der westeuropäischen und US-Forschung zu den neuen sozialen Bewegungen. Deren Ansätze wendet Pollack auf die Oppositionsgruppen der DDR an. Als Grund für das Aufkommen der politisch alternativen Gruppen Ende der siebziger Jahren nennt er die zunehmende Unzufriedenheit der DDR-Bürger mit den politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen, die einherging mit wachsenden Möglichkeiten, dem Unmut ohne Gefahr von schweren Repressalien Luft zu machen. Weil die Gefahr aber noch immer groß gewesen sei, blieben die Kreise der Opposition klein.

Damit wirft Pollack auch eher beiläufig die Frage nach den Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen den neuen sozialen Bewegungen im Westen und den entsprechenden Gruppen in der DDR auf. Er betont die spezifischen Verhältnisse in der sozialistischen Diktatur. Die Friedens- und Umweltgruppen der siebziger und achtziger Jahre orientierten sich aber zunächst an ihren westlichen Vorbildern. In den Bücherregalen der Bewegten standen Werke von Max Horkheimer und Herbert Marcuse, nur selten aber von osteuropäischen Dissidenten wie Solschenizyn oder "bürgerlichen" Denkern wie Dahrendorf und Karl Popper. Die westliche Demokratie war den meisten Gruppenanhängern kaum weniger suspekt als die sozialistische Diktatur. Das Ideal war ein "dritter Weg" zwischen den beiden Systemen unter der Flagge des Sozialismus.

Die Kritik an der Ausrichtung der politisch alternativen Gruppen an einem reformierten Sozialismus weist Pollack zurück. Er argumentiert, die Überwindung des Sozialismus und die Einführung der Demokratie seien unrealistisch gewesen. Waren die unausgegorenen Politikmodelle eines "dritten Weges" zwischen Ost und West realistischer? Pollack merkt selbst an: Die DDR-Oppositionellen standen in geistiger Hinsicht - mit Blick auf den Sozialismusbegriff und die Frage der Einheit - den Herrschenden zum Teil näher als viele Bürger. Dies Ergebnis schmälert freilich nicht die Verdienste der Opposition beim Sturz der SED-Herrschaft.Detlef Pollack: Politischer Protest. Politisch alternative Gruppen in der DDR. Leske & Budrich, Opladen 2000. 282 Seiten. 39,80 DM.

Steffen Kailitz

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