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Kultur: Warmes Eis

Münchner Lokalposse beim Theatertreffen: Sandra Hüller macht Elfriede Jelinek zur Modeschnecke.

Schon wieder ein dreistündiger Abend. Tatsächlich gibt’s beim 50. Berliner Theatertreffen, außer guter Wetterlaune, bisher meist lange, aber kaum große Aufführungen. Auch der jüngste Fall bot ein Wechselbad der Fallhöhe – und Falltiefe. Irgendwie meinte die unfehlbare Festivaljury, die so gern gebuchten Münchner Kammerspiele diesmal gleich zwei Mal einladen zu müssen. Den Anfang machte Elfriede Jelineks Textflächentrio „Die Straße. Die Stadt. Der Überfall.“

Dahinter, darinnen steckt eine eigentlich wunderbare Idee. Johan Simons, der Intendant und Regisseur, hat Elfriede Jelinek, die in München im Wechsel mit Wien nebenhauptwohnsitzhafte Nobelpreisträgerin, gebeten, 2012 zum 100-jährigen Bestehen der Münchner Kammerspiele einen Beitrag zu schreiben. Kein Stück, weil Jelinek schon lange (und so bewusst wie gekonnt) keine Stücke mehr schreibt. Sondern absatzlos durchrauschende Innenaußenmonologe, vulgo: Textflächen, die jedes Theater in völliger Freiheit (auch zum Kürzen) auf eine beliebige Zahl von Schauspielern verteilt.

Hier kommt hinzu, dass die Kammerspiele an der feinen Münchner Maximilianstraße liegen, umzingelt von den teuren Modeläden der üblichen, vornehmlich italienisch-französischen Marken. Mittendrin gab es auch ein spezielles Eigengewächs: die Boutique des 2005 von einem arabischen Jungen auf der Suche nach Liebe ermordeten Münchner Modekinis Rudolph Moshammer. Und ganz am Ende jener schönen Straße leuchtet die Stadt mit ihrem Maximilianeum, dem Ort des Bayerischen Landtags.

Alles dabei, wofür sich Elfriede Jelinek auch motivisch interessiert: Mode, Politik, Verbrechen, Luxus, Sex, Degeneration. Auf einem mit Eiswürfeln ausgelegten Geviert (Bühne: Eva Veronica Born) lässt Johann Simons seine sieben Spieler und ein Musiker-Quintett als Masken und Mannequins auftreten, die an ihren Rollen als Produzenten, Konsumenten und Marionetten alle irgendwie verzweifeln. In komisch traurigen Outfits, Mann und Frau oft nur im Negligé oder fleischfarbenen Korsett und allemal auf hohen Hacken. Menschenpinguine im ewigen Eis des Konsumismus. Sie wären dabei auch gerne (frei nach Kafka) ein bisschen die Axt im Eis der Münchner Seele.

Aber das Eis zum Schmelzen bringt nur die Bühnentechnik, in der Pause. Es gibt drei Stunden lang keine andere Botschaft als die: Der Mensch wird auch durch die Mode kein anderer, keiner kann aus seiner Haut und München nicht heraus aus seiner Weltdörflichkeit. Was uns Helmut Dietl und Franz Xaver Kroetz in „Kir Royal“ schon viel böser und unterhaltsamer verklickert haben.

Auf Kabarettlänge gekürzt, tausend Textwiederholungen gestrichen und ohne Pause: Es wäre trotzdem was gewesen. Weil zumindest Sandra Hüller mit und ohne Rock hinreißend ist, komisch und elegisch, mal Femme fatale, mal armes Modehascherl oder witziges Abbild der selbstironischen Autorin. Und Benny Claessens in perfekter Moshammer- Maske ist ein Wucht und eine Überraschung zum Finale. Danach sagte ein junger Zuschauer zu seiner Begleiterin: „Jetzt muss ich bei Wikipedia nur mal schaun, um was es da eigentlich ging.“ Ja, ein Münchner Lokalabend. Anders als vor zwei Jahren Jelineks (vorbildhafte) Trilogie zum Einsturz des Kölner Stadtarchivs. Damals fiel nicht nur Köln, sondern eine Welt zusammen. Und stand auf beim Theatertreffen. Peter von Becker

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