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Kultur: Warte, warte nur auf Weill . . .

Anfang der siebziger Jahre war Jonathan Eaton ein junger Mann, den ein DAAD-Stipendium nach Berlin gebracht hatte. Er wohnte im Wedding, jobbte als Krankenpfleger in Charlottenburg und verbrachte die Abende in der Oper.

Anfang der siebziger Jahre war Jonathan Eaton ein junger Mann, den ein DAAD-Stipendium nach Berlin gebracht hatte. Er wohnte im Wedding, jobbte als Krankenpfleger in Charlottenburg und verbrachte die Abende in der Oper. Heute ist Jonathan Eaton der Regisseur dreier amerikanischer und vierer britischer Kurt-Weill-Premieren, er hat in New York "Carmen" und "Turandot" herausgebracht und früher in der Bundesrepublik inszeniert.

Vor allem aber hat Eaton die Mächtigen in der DDR durch seine Opern-Arbeit verärgert. So war er Anfang der achtziger Jahre zum letzten Male in Ostdeutschland; danach stand er bis zur Wende auf der schwarzen Liste der unerwünschten ausländischen Kulturschaffenden. Er saß im Kabarett der Berliner "Distel" und sah einen Schauspieler, der wieder und wieder einen Tischtennisschläger emporhielt. Dazu fragte er stets, welche Farbe es denn sei, die er da zeigte. Als er rot hochhob und das Publikum entsprechend "rot" rief, brüllte er die Zuhörer an: "Das ist schwarz!" Dieses Spiel wurde ein paarmal wiederholt, und die Menge rief schließlich "schwarz!", wenn sie rot sah. Dann zeigte der Distel-Mensch die schwarze Rückseite des Schlägers und fragte: "Was ist das?" Die Hälfte des Publikums antwortete: "Rot!" Jonathan Eaton hatte eine Lektion in Sachen freiwilliger Selbstzensur gelernt, die er bis heute nicht vergessen hat. Und soeben hat Eaton die US-Premiere einer lange vergessenen Kurt-Weill-Oper inszeniert. Die, die in Amerika erwartungsgemäß als Nazis auftreten müßten, rennen dabei mit roten Flaggen statt Hakenkreuz-Bannern auf die Bühne. Weills prophetische Gabe kann einem Schauer den Rücken hinunterjagen. Sechs Jahre nach dem Einzug des "Kommissars der Grossen Mächte", so heißt es in seiner Oper "Die Bürgschaft", bricht der Krieg aus. 1933 bis 1939 - sechs Jahre. Da fallen die Worte "Schädling des gesunden Volksempfindens", "notwendiger Lebensraum jenseits der östlichen Grenzen" - man kann diese Oper nicht jenseits deutscher Geschichte hören, auch nicht in den USA. Sechs Jahre nach Kriegsbeginn prophezeit "Die Bürgschaft", liegt die Welt in Trümmern, Hunger und Krankheit regieren. 1939 bis 1945 - sechs Jahre.

Weills Oper lief 1932 ein paar Wochen lang in Berlin und wurde dann auf massiven politischen Druck hin abgesetzt. Der "Völkischen Beobachter" fragte, wie ein Komponist, der so undeutsche Kost verabreiche, weiter für Bühnen arbeiten könne, die vom deutschen Steuerzahler getragen würden. Der Kritiker der "New York Times" dagegen attestierte dem Werk die Tiefe des Wagnerschen "Rings". Die Weltpremiere war am 10. März 1932 in der damaligen Städtischen Oper in Berlin unter der Regie von Carl Ebert, dem Sohn des früheren Präsidenten der Weimarer Republik, der 1957 ebenfalls in Berlin eine Neuinszenierung herausbrachte. Die sieben für 1933 geplanten Inszenierungen wurden alle abgesagt - nicht aus künstlerischen Bedenken. 67 Jahre nach der Uraufführung feiert "Die Bürgschaft" nun ihre umjubelte US-Premiere: im Rahmen des eigenständig gewordenen amerikanischen Ablegers des italienischen Spoleto-Festivals. "Dies ist ein universelles Warnstück", meint Regisseur Jonathan Eaton. Und es ist ein ehrgeiziges Werk. Die Jazzeinflüsse der "Dreigroschenoper" von 1928 sind fast völlig verschwunden, ebenso alle Brechtsche Didaktik. Ernst Bloch sprach von "einem jüdischen Verdi", Weill selbst nannte die Oper "meinem Ring". Ein Jahr nach der Premiere aber war er auf der Flucht und landete in Amerika. Dort versuchte er, sich dem Broadway und dem kommerzielleren, dem populäreren Komponieren zuzuwenden, und war nie mehr so ambitioniert wie bei seiner "Bürgschaft". Zwischen spätmittelalterlichem Passionsspiel und historischer Parabel oszilliert "Die Bürgschaft", die bei der US-Premiere in Charleston im US-Bundesstaat South Carolina von Julius Rudel dirigiert wird, der die Weill-Oper als "entscheidendes Werk des 20. Jahrhunderts" definiert.

Die Handlung spielt im mythischen Lande Urb, wo der Viehhändler Johann Mattes zweimal von dem Getreidehändler David Orth aus höchster Bedrängnis gerettet wird. Die vom Talmud beeinflußte Erzählung "Der afrikanische Rechtsspruch" von Johann Gottfried von Herder über den rechthaberischen Hochmut Alexanders des Großen ist die Grundlage des Librettos von Weill und Caspar Neher. David Orth (Dale Travis) bürgt für Johann Mattes (Frederick Burchinal) und erspart ihm die Verfolgung durch drei Diebe, die mal als Wegelagerer, mal als legitime Gläubiger und mal als Erpresser auftreten.

Ein privater Zwist zwischen Mattes und Orth um Geld wird in Urb durch einen salomonischen Spruch des örtlichen Richters gelöst - Eaton sieht in ihm "eine Art Hindenburg-Figur". Doch dann kommen die Emissäre der fremden Großmacht. Sie rollen das Verfahren neu auf und machen aus Mattes und Orth Kriminelle. Als Kriegsgewinner werden beide zwar reich, doch zuviel Mitläufertum wird dem einen zum Verhängnis. Der andere vergißt seine Freundschaft, verrät den Partner und zerstört jenes Vertrauensverhältnis, auf dem Bürgschaften - und Gesellschaften - beruhen.

"Es ändert sich nicht der Mensch, es sind die Verhältnisse", singt der bis zu 40köpfige Chor beidseits der Bühne unaufhörlich. Steven Sloane, der Musikdirektor des Spoleto-Festivals und der Mann, der aus den Bochumer Symphonikern ein ernstzunehmendes Orchester gemacht hat, hält die Weisheit des Chors für "eine dekadente, zeittypische Berliner Philosophie". "Jeder im Deutschland der frühen dreißiger Jahre wußte, daß Weill Jude war und den Kommunisten nahestand", sagt Eaton. Weil er und Sloane in dem Komponisten eher den liberalen Humanisten sehen, haben beide eine Gegenposition zum Chor in diesen hineininszeniert, eine Stimme, die jede Formelsprache und Ideologiegläubigkeit kritisiert.

Dazu besteht auch Anlaß. Denn so präzise Weills historische Vorausahnungen sein mögen, so krude ist das Gesellschaftsbild, das sein Chor verkündet. Orth, der Überlebende, gesellt sich am Ende dem Chor hinzu, der die "Grosse Macht", die alles Vertrauen zerstört hat, auf eine klare Formel bringt: Geld bringt Macht, Macht gebiert Gesetze, Gesetze dienen dem Gefügigmachen. Von einer "Mysteriums-Oper" hat Weill selbst gesprochen, und sie markierte auch seinen Bruch mit Brecht. So läßt die Regie Orth sich die Augen zuhalten, als er dem Chor beitritt.

Eine über ein halbes Jahrhundert lang vergessene Weill-Oper wird in den USA erstaufgeführt, weil die Macher glauben, daß es an der Zeit sei, einen neuen Blick auf das Werk zu werfen. Das amerikanische Publikum reagierte auf den gemäßigten Modernisten Weill mit Jubel. Sloane und Eaton haben das ihnen Mögliche getan, um Weill nicht auf einen Propheten des Faschismus zu reduzieren. "Die Augen zu verschließen und sich der Verantwortung zu verweigern sind keine deutschen Themen", sagt Jonathan Eaton. Und dann redet der Weill-Regisseur ausführlich über die Gründe, warum westliches Geld die Probleme in Ostdeutschland nicht gelöst habe - und über den Krieg im Kosovo.

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