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Kultur: Was alles bleibt

Dass gestern auch schon ein Tag gewesen sei, mag erst einmal banal klingen. Als Titel des Erzählungsbands von Finn-Ole Heinrich gibt dieser Satz aber durchaus treffend die Stimmung wieder, die den acht Geschichten zugrunde liegt.

Dass gestern auch schon ein Tag gewesen sei, mag erst einmal banal klingen. Als Titel des Erzählungsbands von Finn-Ole Heinrich gibt dieser Satz aber durchaus treffend die Stimmung wieder, die den acht Geschichten zugrunde liegt. Wenn morgen auch noch ein Tag ist, dann wird sich etwas Neues ereignen, wenn gestern auch schon ein Tag war, dann ist schon vieles passiert, das man nicht mehr ändern kann und fortan mit sich herumträgt. Das Bewusstsein davon, dem immer auch eine gewisse Melancholie eingeschrieben ist, markiert so gut wie kaum etwas anderes die Schwelle zum Erwachsenwerden. Heinrich, der bereits den Roman „Räuberhände“ und den Erzählungsband „Die Taschen voll Wasser“ veröffentlicht hat, ist Jahrgang 1982.

Die überzeugendste und eindrücklichste Erzählung in „Gestern war auch schon ein Tag“ heißt „Marta“, sie ist mit gut fünfzig Seiten auch die längste des Buchs. Explizit arbeitet Finn-Ole Heinrich darin mit den Prinzipien von Rückblende und Erinnerung. Marta ist, als die Erzählung beginnt, schon tot. Von ihren letzten Tagen, deren Ausgang man kennt, handelt die Geschichte. In eckigen Klammern in den Text gefügt sind Fragen und kleine Ansprachen, die Paul, der wie in allen Geschichten dieses Bandes ein Ich-Erzähler ist, vom Heute aus an die tote Marta richtet. Eines Morgens hat Paul sie schlafend in der S-Bahn gefunden – Spucke im Mundwinkel, abgemagert – und nimmt das drogensüchtige, todkranke Mädchen mit nach Hause. Nicht nur Mitleid treibt ihn dabei, sondern ein eigenartiger, fast kruder Egoismus. „Ich habe sie vom ersten Moment an genossen. Und das nicht, weil Marta schön ist, das sicherlich nicht. Vielleicht aber, weil ich sofort wusste, dass es die letzte Gelegenheit war.“ Paul selbst hat bis dahin ein Leben am Schreibtisch und nach einem strengen Plan geführt, asketisch beinahe, weil der Abgabetermin seiner Diplomarbeit und das Ende des Studiums näherrücken. Marta, die ihre Tage in Cafés und die Nächte mit Parties verbringt, ist einerseits ein Ausweg aus dieser selbst auferlegten Pflichterfüllung. Sie fasziniert ihn aber auch deswegen, weil die Art und Weise, in der sie ihren Körper zugrunde richtet, etwas Bedingungsloses hat – das in seiner Bedingungslosigkeit viel vitaler ist als er selbst.

Den Frauenfiguren in Finn-Ole Heinrichs Geschichten wohnt eine zuweilen etwas störrische Vitalität inne, die von den männlichen Figuren, gerade weil sie sehr viel verhaltener sind, mit einer Mischung aus Faszination und Befremden angeschaut wird. In „Wenn man gesungen sagt“ ist es eine Neunzehnjährige, die ihren behinderten Bruder und ihre demenzkranke Großmutter versorgt, bis diese schließlich stirbt. In „Sie hat den Herbst gewonnen“, kaum sieben Seiten lang, will die breitschultrige Svana die Arbeiter einer Fischkonservenfabrik davon überzeugen, für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Der Erzähler, linkisch und schüchtern im Gegensatz zu ihr, wohnt dem Ganzen mit einer stummen Bewunderung bei.

Das Befremden der Männer indes, das die Faszination über die Stärke dieser jungen Frauen stets begleitet, rührt nicht zuletzt auch daher, dass diese körperlich zumeist wenig anziehend, wenn nicht gar abstoßend sind. Svana ist breitschultrig und robust, Marta ist dürr bis auf die Knochen, ihre Haut voller Ekzeme. In „Zeit der Witze“ wird diese Widersprüchlichkeit beinahe überdeutlich ausgestellt, genauso die Unabänderlichkeit dessen, was einmal geschehen ist. Susan hat bei einem Unfall ein Bein verloren. Nicht nur, dass sie beständig mehr oder minder verunglückte Späße über ihren Zustand macht und nur so zu sprühen scheint vor Energie, irritiert ihren Freund, den Ich-Erzähler. Viel mehr peinigt ihn, dass die Versehrtheit seiner Freundin Unbehagen in ihm auslöst. „Ich habe Angst, dass das, was ich fühle, Ekel ist.“ Er nimmt Fotos ab, die sie vor der Amputation zeigen. Er kann sich nicht mehr vorstellen, mit ihr zu schlafen. Diese Erzählung bildet den Auftakt von Heinrichs Buch, dem es guttut, dass sich diese Eindeutigkeit auf den folgenden Seiten verflüchtigt.

Stets aber, auch in den Geschichten, in denen Frauenfiguren kaum eine Rolle spielen, ist es das Dazwischen, das Ausgewogene, das Mittelmaß, das Heinrichs Figuren zu fehlen scheint. Sie sind entweder bis zur Selbstzerstörung auf der Suche nach Lustgewinn, so wie Marta. Oder sie führen ein Leben wie Paul, das auf maximale Vermeidung von Impulsen angelegt ist und so auch einer Art Selbstauflösung gleichkommt. Womöglich sind das zwei Möglichkeiten, auf das Gestern und das Unabänderliche zu reagieren. Anders als seine Figuren für ihr Leben hat Finn-Ole Heinrich für sein Schreiben einen Ton gefunden, der angenehm unaufgeregt ist, manchmal fast ein wenig beiläufig, so wie die norddeutsche Landschaft, in der viele von ihnen spielen.

Finn-Ole Heinrich: Gestern war auch schon ein Tag. Erzählungen. Mairisch Verlag, Hamburg 2009, 156 Seiten, 16,90 €

Wiebke Porombka

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