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Kultur: Was bleibt, stiftet der Cognac

Die FU Berlin ehrt Grass und Kertész

Und es gibt sie noch, die Universität als rituelle Anstalt. Alle rabiaten Durchlüftungsaktionen gegen den professoralen „Muff von tausend Jahren“ konnten die universitären Rituale, die sich vor acht Jahrhunderten aus dem klösterlichen Leben entwickelten, nicht gänzlich zerstören. Und das ist gut so, möchte man nach der Ehrendoktorverleihung der Freien Universität an die Literaturnobelpreisträger Imre Kertész und Günter Grass am Dienstag im Dahlemer HenryFord-Bau hinzufügen: Heute begrüßt man jeden gelungenen Fest- und Gedenkakt – und sollte sich daran erinnern, dass der freie Geist nicht nur die Fortsetzung des heiligen Geistes mit anderen Mitteln ist.

Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker und viel Berliner Prominenz lauschten den präzisen und unprätentiösen Laudationes der Literaturwissenschaftler Eberhard Lämmert und Joachim Küpper, die sich bei aller Kürze der Redezeit subtil auf die Autoren einließen und dennoch den symbolischen Raum der doppelten Doktoratszeremonie ausleuchteten: Kurz vor dem 8. Mai werden ein Auschwitz-Überlebender, der seit einigen Jahren in Berlin lebt, und ein ehemaliger Wehrmachtssoldat geehrt von einer Universität, die nach dem Krieg mit Hilfe der Amerikaner gegründet wurde, um am freiheitlich-geistigen Fundament der neuen Bundesrepublik zu arbeiten.

Nach den Ehrungen brachte der Germanist Gert Mattenklott die beiden Doctores ins Gespräch. Grass bekannte sich zu seiner juvenilen ideologischen Verblendetheit: Er habe „als 17-jähriger Dummkopf“ bis Kriegsende an den „Endsieg“ geglaubt. Deshalb halte er nichts von der Bezeichnung „Befreiung“ für den 8. Mai 1945, die nur für die befreiten Opfer der Nazis gelten könne. Erst allmählich habe seine Generation das „Geschenk der Freiheit“ schätzen gelernt. Kertész, der Überlebende des Horrors, analysierte den Vorsprung Westeuropas in der Erinnerungskultur. Wie Diktaturen mit Massen umgehen, habe er schmerzhaft in seiner ungarischen Heimat studiert. Beide Nobelpreisträger bekannten sich zum Projekt Europa. Grass ging – parallel zu seinem großen Essay in der aktuellen „Zeit“ – auf die Kapitalismusdebatte ein und kritisierte den Neoliberalismus als „letzte Ideologie“.

Nach dem Gala-Dinner – die Veranstaltung war der Auftakt eines Fund-Raising-Projekts „Dahlemer Impulse“ – lasen die beiden frisch promovierten Autoren aus ihren Werken. Und bei Kaffee und Cognac konnte man den Verleger Klaus Wagenbach und seinen alten Freund Günter belauschen, wie sie sich über ihr Lieblingsthema unterhielten: Pilzesammeln.

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