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Kultur: Was der Maler sah

Krieg und Frieden (10) – das Finale: Künstler sind keine geborenen Moralisten, und heute kämpfen ihre Bilder vom Krieg auch mit dem Krieg der Bilder

„Alles, was die Kulturentwicklung fördert, arbeitet auch gegen den Krieg.“ Der Optimismus, den Sigmund Freud am Ende seiner vor siebzig Jahren erschienen Studie „Das Unbehagen in der Kultur“ aufscheinen lässt, ist noch heute fast ungebrochen. Kultur gilt als Gegenteil der Barbarei, also hieße das auch: je mehr Kultur, desto weniger Krieg. Daraus folgt gleichsam im Umkehrschluss, dass es den kriegsbegeisterten Künstler nicht gibt – will sagen: Es kann oder darf ihn nicht geben. Denn sonst würde das „Unbehagen in der Kultur“ erst richtig unbehaglich!

Freuds tiefenpsychologische Logik aber hatte schon immer die doppelte Bewandtnis, dass sie nicht den Künstler allein auf die Couch drückt, sondern auch die Gesellschaft. Als seine Schrift 1930 erschien, war der Erste Weltkrieg längst nicht verarbeitet, das katastrophale Ausmaß des Zweiten noch nicht absehbar. Viel Grund zu der angesprochenen Zuversicht scheinen indes beide Kriege nicht gegeben zu haben – wenn man sich die Begeisterung vergegenwärtigt, mit der auch die Künstler einer vergleichsweise jungen Avantgarde dem Ersten Weltkrieg entgegenfieberten. „Wir wollen den Krieg verherrlichen“, skandierten die Futuristen um Marinetti schon vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges; er sei die „einzige Hygiene der Welt“, reinigende Kraft gegenüber einer restaurativen Mentalität, aus deren Schutt und Asche endlich die Begeisterung für das Neue, das Dynamische, den unaufhaltsamen Fortschritt aufsteigen sollte.

„Uns hat der große Krieg erfrischt und befreit“, bekennt 1915 der ein Jahr später bei Verdun gefallene junge Expressionist Franz Marc; schließlich sei es „immer noch besser mit aller Glut auf die regenerative Wirkung des Krieges zu bauen als in die Unkenrufe der Pessimisten, der Ideenarmen und Müden einzustimmen“. In den Schützengräben Flanderns wiederum sitzt zur selben Zeit der fünfundzwanzigjährige Otto Dix, der sich ein halbes Jahrhundert später erinnert: „Der Krieg war eine scheußliche Sache, aber trotzdem etwas Gewaltiges. Das durfte ich auf keinen Fall versäumen!“ – „Ich musste auch erleben, wie neben mir einer plötzlich umfällt und, und weg, und die Kugel trifft ihn mitten. Das musste ich alles ganz genau erleben. Das wollte ich. Also bin ich doch gar kein Pazifist. Oder vielleicht bin ich ein neugieriger Mensch gewesen...“

Was mag die Künstler damals getrieben haben: War es tatsächlich bloße Neugier? Oder war es insgeheim die Faszination durch jenes „Ungeheuer an Kraft“, das der Krieg für den Philosophen Friedrich Nietzsche verkörperte? War es die Anziehungskraft, die der Krieg in dem innigen Ringen von Eros und Thanatos ausübt? Oder war es am Ende gar die Versuchung jenes Willens zur Macht, der bisweilen selbst die Kunst ergreift? Die in jeder Hinsicht machtvolle Ästhetik des Krieges jedenfalls hat den Willen zur Kunst immer wieder zu gewaltigen Darstellungen inspiriert – von der Antike bis zur Moderne. Vor mehr als zweitausend Jahren entstand die lebensgroße Darstellung der Schlacht zwischen den Göttern und Giganten, die heute nur noch in Teilen den in Berlin ausgestellten Sockel des Zeus-Altars von Pergamon einfasst. Unter der Lava des Vesuv konnte in Pompeji ein Mosaik überleben, das die legendäre „Schlacht von Issos“ zeigt – jenes weltkriegsähnliche Aufeinandertreffen von Griechen und Persern, die Albrecht Altdorfer dann 1529 in seiner monumentalen „Alexanderschlacht“ festhielt.

Während in Altdorfers Gemälde der Krieg im Ornament einer mächtigen Truppenbewegung aufgeht, sucht Francisco de Goya fast dreihundert Jahre später im spanisch-französischen Krieg von 1808 das Einzelschicksal. Besonders drastisch schildert sein Radier-Zyklus über die „Desastres de la Guerra“, wozu der Mensch als Soldat und Mitläufer im Stande ist: Es wird gefoltert, vergewaltigt, exekutiert. Schonungslos, das sind auch die Bilder, in denen Otto Dix – nach anfänglicher Euphorie – die Erfahrungen des Ersten Weltkrieges verarbeitete. Man müsse den Krieg „als eine Naturerscheinung betrachten“, so Dix. In der Tat lässt sich in seinen Gemälden und Radierungen kaum noch unterscheiden, wo der Soldat anfängt und der Dreck aufhört, wo der Mensch und wo die zerbombte Natur die Extremitäten streckt. Fasziniert und angewidert zugleich schildert Otto Dix das Grauen der Schützengräben, Granattrichter und Leichenberge.

Fünfzehn Jahre danach wird Pablo Picasso jenes Großbild malen, das bis heute der Inbegriff des Antikriegsbildes ist: In „Guernica“ (1937) bannt der Künstler seine Wut und sein Entsetzen über die Bombardierung des gleichnamigen baskischen Städtchens durch Nazibomber auf die Leinwand. Das düstere Grauweiß der schmerzverzerrten und fragmentierten Körper gemahnt an das Leid ziviler Opfer, von Menschen und auch Tieren – an jene Schrecken des Krieges also, die man heute euphemistisch nur noch als unkalkulierbare Kollateralschäden bezeichnet. Als kürzlich die Kopie von „Guernica“, die seit Jahrzehnten schon im New Yorker Stammhaus der UNO hängt, anlässlich der Beratungen des Weltsicherheitsrats über den Irak- Konflikt verhüllt wurde, zeigten sich manche empört. Und doch war bei Künstlern und Intellektuellen auch eine gewisse Genugtuung zu erkennen: dass ein solches Fanal der Kunst nach wie vor die Kriegsmächtigen zu beeindrucken weiß.

Dennoch: Gehören Kunst und Kultur nicht unauflöslich in jene gesellschaftlich-politischen wie auch individuell-anthropologischen Zusammenhänge, die Kriege und Gewalt seit jeher zum Teil der Menschheitsgeschichte machen? „Wir können als Künstler“, so schreibt der Kunst- und Medientheoretiker Peter Weibel aus heutiger Sicht, „gegen gewisse Aspekte der Kultur ankämpfen. Wir können andere Kunstsysteme schaffen, wir können Anti-Kunst schaffen. Wenn wir realisieren, dass die Kunst ein Teil des Krieges ist, müssen Künstler gegen die Kunst sein, um gegen den Krieg selbst zu sein. Kunst ist Teil der Kultur, die Krieg überhaupt erst ermöglicht.“

Dies kommt nicht etwa einer ästhetisch- moralischen Niederlage gleich, die Einsicht verdankt sich einem Verdacht, der die Insignien des Bösen, der Gewalt und des Krieges, auch in anderen Sphären vermutet: dort nämlich, wo die Bilder als Teil der Kultur selbst verdächtig erscheinen. Nicht umsonst hat man es in der jüngeren Geschichte nicht nur mit Bildern vom Krieg, sondern zunehmend mit einem Krieg der Bilder zu tun. Spätestens seit Vietnam haben Bild-Journalismus und Fernsehen den Krieg „nach Hause“ gebracht: so, als wären Kampf-Szenen nur ein weiteres Stück Unterhaltung.

Das eigentliche „Unbehagen in der Kultur“ äußert sich heute in einem tiefen Misstrauen. Die Kritik des Krieges hat die Kritik des von ihm verbreiteten Bildes bereits internalisiert. Eine „authentische“ oder „ehrliche“ Kriegserfahrung sucht man darin so vergeblich wie das emblematische Antikriegsbild. Seit der Popart, seit Warhols serieller Bearbeitung von Nachrichtenbildern oder Wolf Vostells Lippenstift-Bombern, operieren zeitgenössische Malerei, Foto- und Videokunst auf der Ebene einer Repräsentationskritik, welche die propagandistischen Schlachtrufe und medialen Streitkräfte unter der Oberfläche des Bildes freilegt. Gelingt diese Enthüllung und Transzendierung des allgemein verbreiteten Bilds vom Krieg, dann macht sie den Künstler noch immer zum Gewissen der Gesellschaft – und unserer Zeit.

Mit dieser zehnten Folge endet unsere Essay-Serie zum Thema „Krieg und Frieden“ in den Genres der Kultur. Im Brennpunkt standen: Theater (am 8.1.), Literatur (11.1.), Film (18.1.), Witz und Satire (24.1.), Philosophie (8.2.), Popmusik (14.2.), Fotografie (25. 2.), Klassische Musik (9. 3.) und Architektur (13.3.).

Ralf Christofori

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