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Kultur: Was ehrlich währt

Neue Musik in Zeiten gesellschaftlicher Verunsicherung: zum Abschluss des Berliner Ultraschall-Festivals

Für den eiligen Leser das Wichtigste in Kürze: Nein, es gibt keinen neuen Trend in der Neuen Musik. Aber auch der endgültige Triumph des Konservativen, die Restauration alter Hörgewohnheiten, erst kürzlich im Feuilleton der „Süddeutschen Zeitung“ konstatiert, hat sich nicht eingestellt, oder allenfalls als belächelnswerte Randerscheinung. Das Panorama, dass das Ultraschall Festival in 19 fast durchgängig sehr gut besuchten Konzerten aufreißt, zeigt eine Szene, die die Umstürze der letzten 100 Jahre in kleinen Brocken verdaut. Nicht der große Wurf bestimmt das Tun, sondern die mühevolle Aneignung des Fremden – und das ist ehrlich.

Ein Komponist, der eine neue Theorie mit triumphaler Geste als Weg zum Licht präsentiert, ist kaum noch vorstellbar: Wir sind alle abgeklärter und mutloser geworden als in der Aufbruchszeit vor 50 Jahren. Vertrauen ohne Utopie, das ist die Herausforderung für die, die den Weg der Neuen Musik weitergehen. Und genau hier spiegelt sich Gesellschaft in Kunst, hier öffnen sich Möglichkeiten, gesellschaftlichen Diskurs anzureichern.

Neueste Musik und klassische Moderne, Länderschwerpunkte und Komponistenportraits, ergänzt um Diskussionsrunden und erstmals eine Hörspielwerkstatt: Die Organisatoren des Ultraschall-Festivals, Rainer Pöllmann und Martin Demmler, bieten ein rundum stimmiges Konzept, das Vielfalt keineswegs zu Beliebigkeit werden lässt. Alte Stützen bewähren sich hier aufs beste: Die Klaviernacht etwa bot mehr noch als in den vergangenen Jahren auf engstem Raum einen ganzen Musikkosmos. Und das traditionelle Konzert des TU-Studios überzeugte mit Uraufführungen von Trevor Wishart und Chatschatur Kanajan.

Spitzenkräfte wie das Ensemble Recherche und die MusikFabrik NRW hingegen boten durchgehend schwache Programme. Die szenische Komposition „Cuerpos Deshabitados“ von José María Sánchez-Verdú kam über dünne Hintergrundmusik nicht hinaus, so wacker sich die spanischen Schauspieler mühten, die recht dünne Geschichte um Körper, Seele und Identität darzustellen.

Der Komponistenschwerpunkt lag neben Salvatore Sciarrino (der leider nicht erschien, mit seinem abendfüllenden minimalistischen „Sui Poemi concentrici“ aber für viel Diskussion sorgte) und Olga Neuwirth (mit „anaptyxis“, einem überraschend subtilen, von rhythmischen Energien geprägten Orchesterstück) auf Iannis Xenakis. Musik von Xenakis ist immer ein Ereignis. Der vor drei Jahren Verstorbene wurde mit selten zu hörenden Werken geehrt, eine gute Gelegenheit, seine abstrakt-archaische Musik kennen zu lernen. Sein Orgelwerk „Gmeeoorh“, von Christof Maria Mossmann im Konzerthaus aufgeführt, gehört zu den unerwarteten Geschenken des Festivals. „Horos“ für Orchester, vom DSO unter Alexander Briger gespielt, hätte wohl etwas mehr Probenarbeit verdient. Virtuos dagegen „Diktos“ für Violine und Klavier, vom Ensemble Intégrales aufgeführt. Überhaupt präsentierte dieses Ensemble eines der schlüssigsten Programme des Festivals.

Der letzte Abend war ganz der französischen Musik gewidmet. Das Ensemble Court-Circuit bot ein Porträt von Jean-Luc Hervé. Interessant zu hören, wie sich führende französische Komponisten mit ihrem nationalen Erbe – der Klangfarbenorientierung und der spektralen Musik – herumschlagen. Allzu oft bekommt man von ihnen nur dekorativ-gleißende Klangmalerei zu hören, auch Hervé ist davon nicht frei. Aber gerade in der kleinen Besetzung gelingen ihm Kabinettstücke: „Rêve de vol“ (Traum vom Fliegen), ein Duo für Viola und Klarinette, verbindet feinste Klanglichkeit mit schlüssiger Gestik. Verbundenheit und Lösung werden hier thematisiert, die Spieler ketten sich aneinander, heben gemeinsam ab. Wunderschön auch das Schlussstück: „Dans l’heure breve“ für Ensemble, eine Studie in komplexer Zeitgestaltung.

Zum Abschluss musste dann leider noch ein Orchesterkonzert her, und das bot böse Überraschungen. Am DSO lag es nicht, es hat sich unter der Leitung von Dominique My wacker geschlagen. Pascal Dusapins „Watt“ war mit einem virtuosen Posaunenpart und allerlei Klangeffekten noch erträglich. Hugues Dufourts „Lucifer d’après Pollock“ hätte wunderbar als Neue-Musik-Parodie durchgehen können, war aber wohl ernst gemeint. 40 quälende Minuten musste das Publikum langweilige Schwellklänge pseudoromantischer Art über sich ergehen lassen. Aber es sollte noch schlimmer kommen: Ein Klavierkonzert von Yves Prin setzt locker-flockig Schlagzeug, E-Baß und Keyboard ein, und zeigt, was für eine groteskverkrampfte Vorstellung von Jazz E-Musiker haben können. Ein schwarzer Fleck auf der Kariere des glänzenden Pianisten Ueli Wiget, der sich hier als Tanzbär vorführen ließ.

Ulrich Pollmann

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